Asylverfahren Führten Dolmetscherfehler zu falschen Asylentscheidungen?

Bonn · Den Dolmetschern kommt beim Bamf eine entscheidende Rolle zu. Doch Bonner Flüchtlingshelfer und Fachverband vermissen Professionalität und bemängeln Fehler.

 Die Außenstelle des Bamf in Bonn: Hier arbeiten rund 135 Mitarbeiter, darunter 75 Entscheider. Laut Bamf werden pro Monat durchschnittlich 260 Anhörungen durchgeführt.

Die Außenstelle des Bamf in Bonn: Hier arbeiten rund 135 Mitarbeiter, darunter 75 Entscheider. Laut Bamf werden pro Monat durchschnittlich 260 Anhörungen durchgeführt.

Foto: Benjamin Westhoff

Viele Monate hatte der junge Iraner auf seine Anhörung gewartet, doch als er endlich im Bonner Ankunftszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) saß, lief das Gespräch ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Denn als er der Entscheiderin von seiner Hinwendung zum Christentum berichtete, funkte der Dolmetscher dazwischen. „Er zischte meinen Mandanten an und beleidigte ihn“, sagt Jens Dieckmann, ein Bonner Anwalt für Asylrecht. Es habe sich ein Wortwechsel auf Persisch entwickelt, nach dem der Dolmetscher schließlich behauptete, der Iraner habe die Entscheiderin beleidigt. Folge: Der Asylbewerber wurde des Bamf-Geländes zwischen Ermekeilstraße und Reuterstraße verwiesen.

Letztlich ging für den Iraner, „gut integriert, mit einem festen Arbeitsplatz in einer Hotelküche“, wie Dieckmann erzählt, alles gut: Der Anwalt beschwerte sich beim Bamf über den Dolmetscher, die Anhörung wurde wiederholt und der Iraner bekam seine Anerkennung. „Das Bamf hat hier ausgesprochen professionell reagiert“, lobt Dieckmann.

Trotzdem zeigt der Fall aus dem Jahr 2016 ein großes Problem im Asylverfahren auf: die Qualität der Dolmetscherleistungen. Das Gespräch zwischen Antragsteller und Entscheider ist elementar im Asylverfahren, das „unterschriebene Protokoll ist wie Beton in der Verfahrensakte“, wie es Dieckmann ausdrückt. Doch das Protokoll gibt es nur auf Deutsch. „Die Dolmetscher sind also der Schlüssel“, sagt der Anwalt.

Dieckmann ist nicht der Einzige, der sich über die Dolmetscherleistungen beim Bamf beklagt. Mitarbeiter der Bonner Caritas, die Flüchtlingen eine Verfahrensberatung rund um die Anhörung anbietet, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. „Es entstehen oft Missverständnisse und es passiert häufig, dass falsch übersetzt wird“, sagt eine Verfahrensberaterin, die in Anhörungen dabei war. „Es hapert an der Qualität der Dolmetscher und es fehlt an Schulungen“, sagt sie.

Mit dem Vokabular überfordert

Sie hat es erlebt, dass die Sprachmittler mit dem Vokabular im Asylverfahren überfordert waren. Oder dass sie von der Thematik der Gespräche peinlich berührt waren und das Gesagte kommentierten oder verurteilten. „Für die Antragsteller ist es eine große Hürde, Dinge preiszugeben, über die sie vielleicht noch niemals öffentlich gesprochen haben“, sagt die Flüchtlingshelferin. Sie schildert den Fall einer Irakerin, die in ihrem Heimatland massiver häuslicher Gewalt ausgesetzt war, und daraufhin vor ihrem Ehemann nach Deutschland floh.

In der Anhörung sei sie dafür jedoch von dem Dolmetscher angegangen worden und habe daraufhin gar nichts mehr gesagt – auch hier kam es letztlich zu einer neuen Anhörung. „Ein Qualitätsmanagement für die Dolmetscher ist nicht vorhanden“, bemängelt die Caritas-Mitarbeiterin. Fest angestellte Dolmetscher gebe es nicht, es handele sich ausschließlich um Honorarkräfte.

Gerade in den Hochzeiten der Flüchtlingskrise sei händeringend nach Dolmetschern gesucht worden, ergänzt Gabi Al-Barghouthi, Fachbereichsleiterin Erwachsene und Familien beim Bonner Caritasverband. Deren Qualifikationen seien deshalb nicht immer ausreichend gewesen. Al-Barghouthi hält es für möglich, dass es durch Dolmetscherfehler auch zu falschen Asylbescheiden gekommen ist. „Aber das gilt nicht nur für das Bamf in Bonn“, sagt sie. Unabhängig davon betont sie die gute Zusammenarbeit mit dem Bamf.

90 Prozent verfügen über keine entsprechende Ausbildung

Rund 90 Prozent der zurzeit etwa 5400 Dolmetscher, die deutschlandweit für das Bamf arbeiteten, verfügten über keine entsprechende Ausbildung, erläutert Monika Eingrieber, Projektleiterin und Expertin für das Dolmetschen in Asylverfahren beim Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ). Für die Mängel sieht sie vor allem zwei Gründe: Einerseits liege es an den Sprachen wie zum Beispiel Dari oder Farsi in Afghanistan, Wolof in Somalia oder Igbo in Nigeria, für die es überhaupt keine Ausbildungen gebe. Und es mangele an den Finanzen. „Das Bamf bezahlt einfach nicht genug für professionelle Dolmetscher“, sagt sie. Zumindest das Ausbildungsmanko versuchten die Universitäten gerade zu beheben, doch das dauere.

Für Eingrieber liegt das Hauptproblem darin, dass die Dolmetscher nicht alles übersetzten, was gesagt wurde. „Und neben der Vollständigkeit hapert es an der Genauigkeit, weil das Fachvokabular fehlt“, sagt sie. „Wenn ein Dolmetscher Belehrung mit Information übersetzt, ist das einfach falsch.“ Das Bamf arbeite intensiv daran, die Situation zu verbessern, sagt sie. Auch in Bonn bietet ihr Verband in diesem November zum Beispiel eine Weiterbildungsveranstaltung für das Dolmetschen beim Bamf an.

Bamf verweist auf systematisches Beschwerdemanagement

Das Bamf selbst äußert sich nicht zu Einzelfällen im Asylverfahren. Grundsätzlich verweist Sprecherin Natalie Bußenius in einer schriftlichen Stellungnahme darauf, dass das Bundesamt seit 2017 ein systematisches Beschwerdemanagement in Bezug auf Sprachmittler betreibe. „Qualitätsmängel können dazu führen, dass der/die SprachmittlerIn nicht mehr eingesetzt wird.“ Auf jeden Fall hat das Bamf offensichtlich Mängel erkannt und bereits ausgesiebt. „Im Zuge der Etablierung eines erweiterten Qualitätssicherungskonzepts für SprachmittlerInnen im Bamf wurden 2017 und 2018 rund 2100 SprachmittlerInnen von weiteren Einsätzen für das Bamf ausgenommen. Die Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses können neben der Neutralität auch die Integrität, die Zuverlässigkeit (bspw. Pünktlichkeit) oder Verhaltensstandards sein“, schreibt Bußenius. Im Jahr 2017 sei zudem in 30 Fällen die Zusammenarbeit mit Dolmetschern aufgrund von Verletzungen gegen den Verhaltenskodex beendet worden.

Kürzlich hat das Bamf selbst zwei Dolmetscher angezeigt, gegen die ein Korruptionsverdacht bestehe. „Dies zeigt, dass die vom Bundesamt ergriffenen Qualitätssicherungsmaßnahmen greifen“, findet Bußenius.

„Wir sind schon viel weiter als vor zwei Jahren“, formuliert es Eingrieber vorsichtiger. Man dürfe aber keine Wunder erwarten, die Mühlen in den Behörden mahlten bekanntlich etwas langsamer.

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