Im Glückwunsch an die Hamburger Genossen schrieben Sie: „Wir haben verstanden, dass wir Wahlen nicht mit Theoriedebatten gewinnen.“ Theoretisieren Sie zu viel?
GA-Interview mit Sebastian Hartmann Hartmann: „Wir wollen echte Alternative sein“
Bonn · Der NRW-SPD-Vorsitzende Sebastian Hartmann spricht im GA-Interview über die nächsten Wahlen, Armin Laschet und Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan.
In Nordrhein-Westfalen finden im September Kommunalwahlen statt. Die Landes-SPD hofft auf ähnliche Erfolge wie am Sonntag in Hamburg.
Sebastian Hartmann: Nein. In Hamburg werden tatsächlich Wohnungen gebaut, es existiert dort ein Mobilitätskonzept jenseits vom Autoverkehr. Das ist genau das, was auch wir wollen. Uns um die realen Probleme von realen Menschen zu kümmern.
Kann der Wahlerfolg Vorbild für Köln, Bonn oder Dortmund sein?
Hartmann: Er ist es. Natürlich entscheiden unsere Kommunalpolitiker in den Städten, Kreisen und Gemeinden selbst über ihren Kurs. Aber ich bin lange genug im Rhein-Sieg-Kreis in der Kommunalpolitik aktiv gewesen und weiß, dass man sich an pragmatischen Beispielen aus anderen Regionen orientieren kann und diesmal besonders an der Hamburger Stadtpolitik: an der Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus etwa, am Erhalt von öffentlichen Grundstücken oder an der Entwicklung kommunalübergreifender Verkehrsprojekte.
2022 wird der nächste Landtag gewählt. Laut Umfrage wären Grüne (23 Prozent), SPD (20) und Linke (6) nahe an der Mehrheit. Eine politische Machtoption für Sie?
Hartmann: Die SPD möchte den Ministerpräsidenten stellen. Wir haben in Hamburg gesehen, dass sich da im Wahlkampf vieles ändern kann. SPD und Grüne sind gleichauf gestartet, aber die SPD hat klar gewonnen. Bisher haben wir es geschafft, in Nordrhein-Westfalen Zweierkoalitionen zu bilden. Aber über Koalitionen zu reden, ist viel zu früh.
Auch im Blick auf Grüne?
Hartmann: Schöne Worte und Taten fallen auseinander. Es reicht nicht, theoretisch für die Erneuerbaren Energien zu sein, aber ganz konkret gegen das Windrad in der Nachbarschaft. Oder dass sie den Nahverkehr fördern wollen, aber gegen den Ausbau von Schnellbuslinien und Schiene sind, obwohl damit Engpässe beseitigt werden können. Wer den Nahverkehr will, muss auch Schienen in die Landschaft legen. Das müssen sich auch die Grünen merken.
Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty hat jüngst ein Bündnis von SPD und FDP ins Spiel gebracht. Was haben Sie gedacht?
Hartmann: Auch eine sozialliberale Koalition stand einmal für einen Aufbruch in Deutschland. Sie hat es geschafft, das Land in Wirtschaft und Gesellschaft zu demokratisieren.
Bei gemeinsam knapp unter 30 Prozent scheint ein solches Bündnis derzeit aber eher unrealistisch.
Hartmann: Warten wir ab. Ich sehe auch Schnittpunkte mit der FDP. Wir könnten gemeinsam über analoge und neue digitale Grundrechte der Bürger reden oder über faire Regeln für den digitalen Wirtschaftsraum der Zukunft. Die Digitalisierung kann eine große Chance sein, zum Beispiel weil Arbeitnehmer souveräner über ihre Zeit verfügen können. Wenn sich die FDP auf diesen Pfad begibt, ist sie eine willkommene Partnerin. Wenn sie aber immer noch auf dem Standpunkt steht, dass der Markt alles regelt, gibt es keine Zusammenarbeit.
Kutschaty und Ihnen wird ein schwieriges Verhältnis nachgesagt.
Hartmann: Wir tauschen uns regelmäßig aus. In der Kölnarena haben wir sehr einträchtig miteinander gefeiert.
Wann wird entschieden, wer 2022 Spitzenkandidat wird?
Hartmann: Nach den Kommunalwahlen werden wir den Prozess starten und letztlich die Mitglieder entscheiden lassen.
Die CDU/FDP-Regierung ist seit gut zweieinhalb Jahren im Amt. Wo sehen Sie Defizite?
Hartmann: Sie ist nicht in der Lage umzusetzen, was sie den Bürgern verspricht. 6000 Lehrerstellen sind nicht besetzt, der soziale Wohnungsbau geht zurück, wir haben ein Problem mit der Sicherheit, weil Polizisten einen Riesenberg an Überstunden vor sich herschieben. Und die Kommunen müssen endlich von ihren Altschulden entlastet werden, damit sie wieder investieren können. Ich habe nicht verstanden, warum sich Armin Laschet als Ministerpräsident nicht mehr für die Kommunen einsetzt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will die Entlastung. Das Land muss dann aber dafür sorgen, dass die Kommunen nicht wieder hohe Schulden aufbauen.
Erhöhen sich Ihre Chancen, wieder Regierungspartei zu werden, wenn Laschet nach Berlin geht?
Hartmann: Wir wollen eine echte Alternative sein und aus eigener Stärke gewinnen. Unsere Themen sind bezahlbares Wohnen für die solidarische Mitte, wie wir Arbeitsplätze sichern, Umweltschutz solidarisch gestalten und dass wir in Infrastruktur und Bildung investieren. Dafür wollen wir streiten. Die Union muss sehen, wen sie aufstellt.
Sie haben im vorigen Jahr im GA mit der Aussage Aufsehen erregt, dass Bonns OB Ashok Sridharan die Bonn/Berlin-Gespräche nicht beherzt genug anpackt. Sind Sie immer noch der Meinung?
Hartmann: Ja, ich bleibe dabei: Das hätte beherzter angepackt werden müssen. Es gab noch immer keine Gespräche. Wir haben hier ein einmaliges Angebot: Der Bund möchte mit der Region Bonn einen Vertrag schließen und hat das auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Andere Regionen hätten sich die Finger danach geleckt und wären mit einem Großaufgebot in Berlin aufgetaucht. Man hätte den Vertrag Anfang 2020 in trockenen Tüchern haben können.
Was fehlt Ihnen konkret?
Hartmann: Gut ist, dass wir uns gegenüber dem Bund als Angebotsgeber und nicht als Bittsteller verstehen. Die Region kann sich sehen lassen: Durch ihre enge Forschungslandschaft, die Nähe zu Brüssel, die Verschmelzung von Fragen analoger und digitaler Sicherheit, den UN-Standort. Diese Chancen muss man dann aber auch in konkrete Angebote münzen. Es gab Ansiedlungschancen, zum Beispiel für die Innovationsagentur ADIC, oder die Möglichkeit, BSI-Stellen zu bekommen. Aber die Angebote wurden nicht genutzt. Es gibt andere Oberbürgermeister und Bürgermeister, die deutlich engagierter sind, wenn es um ihre Region geht.
Viele Behörden und Institutionen gehen jetzt in den Osten.
Hartmann. Das verstehe ich, da gibt es Nachholbedarf. Aber Bonn kann mit seinem unverwechselbaren Profil punkten. Nehmen wir die Digitalisierung: Wir haben den Bundesdatenschutzbeauftragten, das BSI, Hochschuleinrichtungen, Institute. Das müssen wir immer wieder betonen und damit die Latte so hoch legen, dass der Bund kaum an Bonn vorbeikommen kann. Bei den Verhandlungen mit dem Bund vertreten die Landesregierungen in Düsseldorf und Mainz die Interessen der Region als Hauptakteure. Deshalb muss man als Bonner Oberbürgermeister da auch präsent sein.