Evangelischer Kirchentag in Stuttgart "Gegen Liebe können wir uns nicht stellen"

STUTTGART · Pastorin Nora Steen aus Hildesheim, weithin bekannt als Sprecherin des "Wort zum Sonntag" in der ARD, eroberte am Sonntagvormittag mit ihrer Predigt im Schlussgottesdienst des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentages unter dem Thema "Mit dem Herzen wissen" im Sturm die über 90 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Canstatter Wasen und die Millionen vor den Fernsehgeräten. Sie übersetzte den Traum des Königs Salomos vor 3000 Jahren in die Gegenwart.

Mit einem Großgottesdienst auf dem Cannstatter Wasen ging am Sonntag der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag zu Ende.

Foto: dpa

Damals gab Gott dem jungen König einen Wunsch frei. Und Salomo nutzte die Gelegenheit, Gott um ein hörendes, ein wissendes Herz zu bitten. Heute muss das hörende Herz, so Pastorin Steen, unter anderem für die Flüchtlinge schlagen, von denen allein in der Nacht zuvor wieder 3500 im Mittelmeer gerettet wurden. Alle Kollekten des fünftägigen evangelischen Laientreffens waren für die Flüchtlingsarbeit der Kirchen bestimmt. Mehrere Hunderttausend Euro kamen zusammen.

Pastorin Steen machte in ihrer Predigt deutlich, dass es auf der Erde für jeden Menschen einen Platz gebe und kein Mensch überflüssig sei. Es komme darauf an, mit einem "hörenden Herzen" auf die Not zu reagieren und "die Hornhaut vom eigenen Herzen zu reiben".

Kirchentagspräsident Professor Andreas Barner sprach von "schönen und intensiven Tagen" und gab unter Anspielung auf die Losung "damit wir klug werden" der Hoffnung Ausdruck, dass durch den Stuttgarter Kirchentag die Menschen auch etwas weiser im Blick auf die drängenden Fragen der Menschheit wie Frieden, Flüchtlinge, Klima und sozialen Frieden geworden seien. Im Blick auf die umstrittene Homo-Ehe, die in den Diskussionen auf dem größten evangelischen Laientreffen eine große Rolle spielte, meinte Barner: "Gegen Liebe können wir Christen uns nicht stellen."

Die Evangelische Kirche im Rheinland beteiligte sich mit den Schwesterkirchen von Westfalen und Lippe mit einer immer gut besuchten Open-Air-Bühne auf dem Karlsplatz an dem Programm des Kirchentages. Einen ganzen Tag setzten sich Ärzte - darunter der Ärztliche Direktor der Universitätsklinik Essen, Eberhard Nagel - und Theologen - darunter der frühere rheinische Präses Nikolaus Schneider mit seiner Frau Anne - mit dem Thema "klug sterben" auseinander.

Die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen standen zweifellos im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses an diesem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag - am Samstagvormittag lauschten über 10 000 Menschen der Diskussion des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan und von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zum Thema "Die Welt ist aus den Fugen geraten".

Aber auch die täglichen einstündigen Bibelarbeiten lockten jeweils Zehntausende Menschen an. Ob Margot Käßmann, Eckart von Hirschhausen, Karl Kardinal Lehmann oder Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (um nur einige wenige Namen zu nennen) - die Hallen und Kirchen waren immer überfüllt.

Der Evangelische Kirchentag war eben nicht nur ein "Event", wie ein Hotel in der Innenstadt unverfroren seinen Preisaufschlag von 70 Euro pro Tag begründete, sondern ein großes Glaubensfest. Und ein ökumenisches dazu, worüber sich nicht zuletzt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, freute. Selbstverständlich zählte er - ebenso wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx - zu den "Bibelarbeitern" .

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, sprach in seiner Bilanz des Stuttgarter Treffens von einem "lebendigen und fröhlichen Kirchentag" und bezeichnete den "Markt der Möglichkeiten" mit seinen 800 Ständen, die von 900 Initiativen getragen wurden, als Potpourri der Vielfalt und einen der "vielen Gründe, für und in der Kirche zu arbeiten". Er sei schlicht und einfach "stolz auf den Kirchentag". Für den gastgebenden württembergischen Landesbischof Frank-Otfried July ist es "das Klügste, was Sie tun können: Halten Sie Stuttgart 2015 in Erinnerung."