Malca Goldstein-Wolf aus Köln „Gibt es für uns Juden in Deutschland noch eine Chance?“

Interview | Köln · Juden in Deutschland verfolgen die Diskussion zum Nahostkonflikt und die Proteste gegen Israel mit gemischten Gefühlen. Es herrsche Trauer, Wut und Hilflosigkeit, sagt die Kölner Aktivistin gegen Antisemitismus, Malca Goldstein-Wolf.

 Die jüdische Aktivistin Malca Goldstein Wolf.

Die jüdische Aktivistin Malca Goldstein Wolf.

Foto: Privat

Ihr Vater flüchtete mit 17 Jahren vor den Nazis nach Palästina und zwar auf dem berühmten Schiff Exodus 1947. Sie sind Deutsche und Jüdin. Wie erleben Sie die aktuelle Entwicklung in Israel und die Nachrichten über die militärische Auseinandersetzung?

Malca Goldstein-Wolf: Das macht mir große Sorgen. Es gibt eine neue Form von Antisemitismus, und die ist verkleidet als scheinheilige Israel-Kritik, besonders geführt vom linken Mainstream. Das ist ein Problem, weil sich das stark auf die Berichterstattung auswirkt.

Ein Beispiel, bitte.

Goldstein-Wolf: Das ZDF berichtete vor einigen Tagen auf Facebook von „Hamas-Aktivisten“. Aktivisten sind für mich Leute bei Fridays for Future oder in einer Flüchtlingsinitiative, aber sicherlich keine Mitglieder einer international als Terrororganisation bezeichneten Gruppe. Der Berliner Tagesspiegel schrieb: „Hamas reagiert auf israelischen Luftangriff im Gaza-Streifen“.

Was geht da in Ihnen vor?

Goldstein-Wolf: Die Terrororganisation Hamas reagiert auf Angriffe Israels? Ich fasse es einfach nicht, auf welche Weise da eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird. Israel wurde von der Hamas angegriffen. Punkt.

In den vergangenen Tagen gab es viele pro-palästinensische Proteste in Deutschland und anderen europäischen Städten. Die Proteste richten sich gegen einen scheinbar ungleichen Kampf: Hier David, dort Goliath, die modernen, hochgerüsteten Streitkräfte Israels gegen die technisch unterlegene Hamas. Ist das der richtige Ansatz?

Goldstein-Wolf: Nein, das ist Teil einer Propaganda. Richtig ist, dass Palästinenser das einzige Volk auf der Welt sind, die ihren Flüchtlingsstatus vererben dürfen. Das bedeutet, dass es Generation um Generation immer mehr Flüchtlinge werden. Die internationale Gemeinschaft unterstützt sie mit Millionen und Abermillionen von Hilfsgeldern.

Deutschland stellt für humanitäre Hilfe im Gazastreifen rund 40 Millionen Euro zur Verfügung. Das hat Bundesaußenminister Heiko Maas am Dienstag am Rande einer EU-Videokonferenz zur jüngsten Eskalation des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern angekündigt.

Goldstein-Wolf: Es ist zu befürchten, dass das Geld leider nicht da ankommt, wo es gebraucht wird. Es ist bekannt, dass bisher ein Großteil der Hilfsgelder unterschlagen wurde, warum sollte es diesmal anders sein? Deutschland ist der zweitgrößte bilaterale Geldgeber des UNRWA, des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten - wohlwissend, dass Geld in israelfeindliche Schulbücher investiert wird. Die Hilfsgelder landen nicht dort, wo sie landen müssten, nämlich beim palästinensischen Volk.

Es gibt immer wieder Berichte über Korruption und die Macht von Clans in Gaza und dem Westjordanland…

Goldstein-Wolf: Die Hamas-Führer leben in feudalen Anwesen. Ich möchte aber noch auf etwas Anderes hinaus. Wenn abends in der Tagesschau berichtet wird von 190 toten Palästinensern und neun toten Israelis, das sagt sich der Zuschauer: ‚Die armen Palästinenser.‘ Was außer Acht gelassen wird, ist, dass die Hilfsgelder nicht etwa für Bunker und zum Schutz der Bevölkerung investiert werden, sondern in Raketen gegen Israel. Übrigens: Jede fünfte Rakete der Hamas fällt zurück aufs eigene Gebiet und tötet dort Menschen der eigenen Bevölkerung.

Die Zerstörungen in Gaza sind enorm…

Goldstein-Wolf: Die Israelischen Streitkräfte (IDF) warnen vor jedem Angriff die Menschen in Gaza. Welche Armee tut das schon? Für Terrororganisationen wie die Hamas wiederum zählen Menschenleben nichts. Sie haben ihre Kommandozentralen wissentlich unter Schulen und Krankenhäusern untergebracht, um ihre Bevölkerung als lebende Schutzschilde zu missbrauchen.

Der Ursprung der Eskalation waren Spannungen, die verschärft wurden durch israelische Pläne, Häuser palästinensischer Familien in Ost-Jerusalem zu räumen…

Goldstein-Wolf: Kein vernünftig denkender Mensch kann doch ernsthaft rechtfertigen, dass Tausende von Raketen abgefeuert werden wegen einem Streit um vier Häuser. Wer in Köln über längere Zeit seine Miete nicht bezahlt, muss auch sein Haus räumen.

Korrespondenten berichten, dass Israel die Angriffe durch seine restriktive Politik gegen die Palästinenser provoziert habe.

Goldstein-Wolf: In Israel leben 20 Prozent nichtjüdische Araber. Sie lebten bislang ganz friedlich mit ihren jüdischen Nachbarn. Viele Araber bekleiden hohe Positionen, beispielsweise bei Banken oder am Obersten Gerichtshof. Der Hamas geht es nicht um Frieden. Sie wollen die Juden vertreiben. Die Führung hat überhaupt kein Interesse an der Zweistaatenlösung, sonst hätte es diese schon längst gegeben, sie wurde aber stets abgelehnt. Zudem gibt es doch keine Rechtfertigung dafür, dass eine Terrororganisation einen demokratischen Staat angreift.

Wo endet zulässige Kritik an der israelischen Regierung, wo beginnt Antisemitismus?

Goldstein-Wolf: Wissen Sie, das hat mit der Art und Weise zu tun, wie man diese äußert. Zum Beispiel: Wenn Sie berichten, die IDF habe neun Menschen an der Grenze zu Gaza ermordet und dabei verschweigen, dass es sich bei den Opfern um Terroristen der Hamas handelte, dann hat das für mich mit Antisemitismus zu tun, weil dann ein bestimmtes Bild von Israel vermittelt werden soll.

Kritik an Israel ist auch möglich?

Goldstein-Wolf: Natürlich. Wenn wir beide uns unterhalten, dann merke ich schnell, ob Sie etwas konstruktiv diskutieren wollen. Wenn Begrifflichkeiten wie „Apartheidstaat“ fallen, dann weiß ich, dass es nicht um Sachlichkeit, sondern um Diffamierung geht. Was uns immer wieder auffällt ist, dass Länder wie China, Russland oder Nordkorea nie so vehement kritisiert werden wie ein kleines Land wie Israel, ein winziger Staat, der umzingelt ist von feindlich gesinnten Ländern und bei dem es einem Wunder gleicht, dass es den überhaupt noch gibt. Wenn Kritik überall gleichberechtigt geübt würde, dann würde das bei Israel auch nicht so empfunden. Aber leider geht es bei Israel-Kritik häufig um Judenhass.

Um Judenhass geht es bei den Protesten, wo schlimme Parolen gerufen werden. Was empfinden Sie da?

Goldstein-Wolf: Ich finde das grauenvoll. Wir bekommen jeden Tag vor Augen geführt, wie misslungen Integrationspolitik ist. Ich frage mich, warum solche Proteste nicht verboten werden, wo im vorneherein klar ist, was da geschehen wird. Jedes Jahr müssen wir uns beim al-Quds-Marsch in Berlin anhören „Kindermörder Israel“ und „Tod allen Juden“. Das tut weh. Das ist unerträglich. Am vergangenen Samstag habe ich eine Karte mit No-Go-Areas für Juden veröffentlicht, um zu verdeutlichen, wo überall Hassdemonstrationen gegen Israel veranstaltet werden - und die Polizei steht daneben und macht nichts. Da darf Hetze verbreitet werden, ohne dass eingegriffen wird. Das ist beängstigend, und viele Juden in Deutschland haben den Glauben an die Politik verloren. Leider ist es häufig so, dass jene, die sich so in Betroffenheitsarien ergehen, auch israelfeindlich agieren.

Das ist jetzt aber eine gewagte These.

Goldstein-Wolf: Lassen Sie mich erklären. Als Heiko Maas Außenminister wurde, hat er eine Vorstellungsrede vor seinen Diplomaten im Auswärtigen Amt gehalten und gesagt: "Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen." Da habe ich wahre Jubelposts in die Welt gesetzt. Ich habe gedacht, dass da eine neue Zeit beginnt, eine Zeit, in der der deutsche Außenminister zu Israel steht. Dummerweise geschah genau das Gegenteil: Jede noch so absurde UN-Resolution gegen Israel wird von Deutschland durchgewinkt. Wenn wir Glück haben, enthält man sich der Stimme.

Die Bundesregierung hat die Raketenangriffe der Hamas und mit ihr verbündeter extremistischer Gruppen auf Städte in Israel scharf verurteilt. Der deutsche Staat stehe fest zu Israel. Reicht Ihnen das nicht?

Goldstein-Wolf: Wenn es ums Gedenken geht, ist Deutschland das stärkste Land der Welt. Aber es darf nicht nur um tote Juden gehen, es geht um die lebenden. Und solche Äußerungen sind Lippenbekenntnisse. Es ist so: Wenn ich meinem Partner die große Liebe und Treue schwöre, ihn aber gleichzeitig mit seinem besten Freund betrüge, dann werde ich unglaubwürdig. In diesem Fall: Man kann nicht das Regime in Iran subventionieren, das erklärtermaßen Israel auslöschen möchte, und gleichzeitig die „Deutsche Staatsräson“ leben. Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der moralische Kompass sein möchte, dann kann er nicht Holocaustleugnern aus dem Iran den roten Teppich ausrollen. Es gäbe noch mehr Beispiele, mit denen ich erklären könnte, warum mir schöne Worte nicht viel bedeuten.

Sie möchten also, dass man sich ehrlicher bekennt zu Israel und den Juden in Deutschland?

Goldstein-Wolf: Bekennen? Nein, ich möchte einfach ganz normal leben. Ich möchte nicht, dass man mich hasst, weil ich Goldstein heiße. Wenn man mich nicht mag, soll das aus anderen Gründen sein, als meine religiöse Zugehörigkeit. Ich wünsche mir mehr Normalität. Bis es soweit ist, müssen aber alle Formen des Antisemitismus benannt werden. Offen und ehrlich.

Wie wirkt sich diese Gesamtsituation auf das jüdische Leben in Deutschland aus? Was erleben und hören Sie?

Goldstein-Wolf: Depression, Trauer, Wut, Hilflosigkeit und immer wieder die Frage: Gibt es für uns in Deutschland eigentlich noch eine Chance? In Hagen wurde am Rathaus anlässlich des Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel die israelische Fahne gehisst. Die Proteste von Menschen mit Migrationshintergrund wurden so heftig, dass der Bürgermeister sie wieder abnehmen ließ. Das ist ein unfassbares Armutszeugnis, aber auch ein beängstigendes Symbol.

Haben Sie selbst Freunde und Verwandte vor Ort? Was hören Sie von dort? Was herrscht da für eine Stimmung?

Goldstein-Wolf: Angst. Sie haben 15 Sekunden Zeit, um sich vor eine Rakete der Hamas in einen Bunker in Sicherheit zu bringen. Und sie sich besorgt darüber, wie sich dieser Konflikt auf das Zusammenleben im Land auswirken wird.

Sie sind als Aktivistin gegen Antisemitismus bekannt. Und zwar seit ziemlich genau drei Jahren…

Goldstein-Wolf: Ich war etwa 15 Jahre ehrenamtlich in zwei christlichen Obdachloseninitiativen in Köln tätig. Und ich fuhr gerade im Auto nach Hause, als ich im Radio hörte, dass ein Konzert von dem früheren Pink-Floyd-Bassisten Roger Waters vom WDR mit dem Geld von Gebührenzahlern unterstützt werden sollte. Ich wusste, dass er bei Konzerten riesige Luftballons in Schweinsformen mit Judenstern abschießen lässt. Und da habe ich eine Petition gestartet und sie dem WDR-Intendanten Tom Buhrow geschickt.

Waters ist einer der prominenten Protagonisten der Israel-Boykott-Bewegung BDS.

Goldstein-Wolf: Ich bin Herrn Buhrow so lange auf die Nerven gegangen, bis ich eine E-Mail von ihm bekam, in der er mir schrieb, dass er meine Sichtweise ernst nehme und die Zusammenarbeit mit Roger Waters beende. Das Tolle war, dass dem Beispiel diesen anständigen Menschen, Tom Buhrow, auch andere Intendanten folgten.

Seitdem sind Sie für den früheren Pink-Floyd-Musiker die Frau, die seine Karriere ruinieren will.

Goldstein-Wolf: Richtig, das hat er jedenfalls auf mehreren Konzerten gesagt. Seitdem gab es Hassmails und Morddrohungen aus der ganzen Welt.

So begann Ihr Engagement gegen Antisemitismus. Seitdem schweigen Sie nicht mehr.

Goldstein-Wolf: Ich habe gesehen, dass ich als einzelne Person etwas bewegen kann. Ich dachte, jetzt hast du 15 Jahre etwas für Obdachlose getan, jetzt kannst du dich auch mal für Juden engagieren.

Jetzt organisieren Sie wieder einen Schweigemarsch und zwar am Samstag, 22. Mai, ab 15 Uhr auf dem Kölner Roncalliplatz. Warum ist das nötig?

Goldstein-Wolf: Es gab zuletzt nur Hassdemos. Polizisten und Journalisten sind mit Flaschen beworfen worden. Wir wollen dem etwas entgegensetzen. Ohne laut zu sein, als Signal „Solidarität mit Israel und Solidarität für uns Juden“. Vielleicht bringen wir den einen oder anderen zum Nachdenken, und ich habe die große Hoffnung, dass viele nicht-jüdische Menschen sich uns anschließen. Das braucht’s für die Seele, Seite an Seite Solidarität zu bekunden, zu zeigen, dass wir füreinander da sind, dass wir getragen werden von anständigen Menschen, die bei diesem Hass nicht mitmachen.

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