Neues Grundsatzprogramm Die Grünen haben den Anspruch, das Land zu führen

Berlin · Die Grünen formulieren in ihrem neuen Grundsatzprogramm den unverblümten Anspruch, das Land zu führen. Eine Bewerbung für eine Koalition mit der CDU soll der Entwurf aber nicht sein.

 Dynamisch zur Vorstellung des Grundsatzprogramms: Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Dynamisch zur Vorstellung des Grundsatzprogramms: Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

58 Seiten, neun Kapitel, 383 Paragrafen, jede Menge Arbeit, Nachtsitzungen der sogenannten „Schreibgruppe“. Manchmal hätten während der Debatten über neue Inhalte, Werte, Neuorientierung und Veränderung „Kinder die ganze Küche verwüstet, die Amsel hat gezwitschert, man hat sein Wort kaum verstanden“, wie der Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, über die Zeit im Homeoffice mit virtuellen Konferenzen erzählt. Aber jetzt ist das Werk fertig. Die Grünen haben ein neues Grundsatzprogramm, jedenfalls den Entwurf dazu, denn endgültig muss noch ein Bundesparteitag im November in Karlsruhe darüber beschließen.

Karlsruhe ist kein Zufall: Dort haben die Grünen vor 40 Jahren ihren Weg in die deutsche Parteienlandschaft gestartet. Jetzt wollen sie mit einer großen Debatte über ihr neues Grundsatzprogramm in die Stadt ihrer Gründung zurückkehren.

Die Konkurrenz hat den Entwurf auch schon. Zum 75. Geburtstag der CDU haben die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck den Christdemokraten einen schönen Geschenkkorb zurechtgemacht: Ingwer, Rhabarberschorle und, na klar, das neue Grundsatzprogramm „als kleiner Denkanstoß“. Baerbock: „Ob man’s kopiert oder als Kampfansage versteht, das muss, glaube ich, jeder für sich selbst entscheiden.“ CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak habe sich jedenfalls schon bedankt.

Keine „Farbspielchen“

Eine Bewerbung für Schwarz-Grün? Nein, dies soll der Entwurf ganz gewiss nicht sein, stellt Baerbock gleich klar. Die Grünen formulierten mit dem Programm „unseren Führungsanspruch“ an das Land. Das ist ein Wort: Die Grünen wollen führen. Es gehe eben „nicht um irgendwelche Farbspielchen“, verweist Baerbock darauf, dass die Grünen doch über die Inhalte kommen.

Die ewige, weil bislang nicht beantwortete Frage nach einem eigenen Grünen-Kanzlerkandidaten beantwortet Bundesgeschäftsführer Kellner derzeit so: „Wir werden das entscheiden – ganz selbstbewusst und aus eigener Kraft zum richtigen Zeitpunkt.“

Erst einmal wollen die Grünen mit ihrem neuen Programm in die Zukunft aufbrechen. Bundesgeschäftsführer Kellner betont, dass dieser Entwurf anders als die vorherigen Programme eben „kein Korrektiv“ sei, auch keine Selbstvergewisserung der Partei. „Dieser Entwurf ist die Antwort auf das überholte Modell der Volkspartei.“ Die Grünen wollten Bündnispartei sein, suchten Partner aus der Breite der Gesellschaft, um etwa die Wirtschaftsproduktion auf der Basis fossiler Energien zu überwinden. Denn: „Das schafft niemand alleine. Dazu braucht man Partner“, so Baerbock.

Die Menschen im Mittelpunkt

Die Grünen-Vorsitzende betont noch einmal: „Dieses Programm ist der Anspruch, anzuführen.“ Die Partei mit der Sonnenblume im Emblem will auf dem Weg in die Zukunft nicht mehr nur in ihren angestammten Segmenten wie Umwelt, Klima, Freiheit, Frieden und Demokratie, sondern auch bei Bildung, Sicherheit, Währungspolitik, Finanzen und Gesundheit die Debatte anführen.

In jedem Fall wollen sie den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik rücken und spielen mit der Überschrift des neuen Grundsatzprogrammes auf Artikel 1 des Grundgesetzes an: „…zu achten und zu schützen… – Veränderung schafft Halt.“ In Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Jetzt wollen Bündnis 90/Die Grünen rein in eine neue Epoche der Veränderung – als Bündnispartei. Autofreie Innenstädte, die Bürgerversicherung für alle Bevölkerungsgruppen als Nachfolgemodell der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, Vorsorgepauschalen statt Fallpauschalen bei der Krankenhausfinanzierung, der Ausstieg aus allen fossilen Ressourcen oder künftig bundesweit nur noch Schulklassen mit maximal 20 Schülern. Das Themenspektrum ist breit. Jetzt soll die Basis mitdiskutieren. Für Kellner ist die Reihenfolge klar: Erst kommt das Grundsatzprogramm „mit Werten für das nächste Jahrzehnt“, dann das Wahlprogramm „mit konkreten Zielen für 2021“, dann der Wahlkampf, „auf den ich mich sehr freue“, und dann die Bundestagswahl. „Da gibt es sehr viel zu gewinnen.“

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