Kölner Silvesternacht Hätten Übergriffe verhindert werden können?

Düsseldorf · Die Dimension der Übergriffe in Köln war am Neujahrstag erkennbar, sagt der Wiesbadener Wissenschaftler Rudolf Egg. Die Polizisten seien völlig überfordert und unzureichend ausgestattet gewesen.

 Ausschreitungen und massenhafter Missbrauch: Der Untersuchungsausschuss will Licht in das Dunkel um die Vorgänge in Köln bringen.

Ausschreitungen und massenhafter Missbrauch: Der Untersuchungsausschuss will Licht in das Dunkel um die Vorgänge in Köln bringen.

Foto: dpa

Einer der bekanntesten Kriminalpsychologen Deutschlands hat der rot-grünen Landesregierung bei der Aufarbeitung der Kölner Silvesternacht überraschend deutlich widersprochen.

Der Wiesbadener Wissenschaftler Rudolf Egg durchkreuzte am Montag als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags die zentrale Verteidigungslinie von Innenminister Ralf Jäger (SPD), derzufolge das Ausmaß der massenhaften Übergriffe durch einen Mob aus jungen Migranten erst am 4. Januar absehbar gewesen sei. „Die Zahlen sprechen dagegen“, sagte Egg. Bereits am Neujahrstag seien schließlich 22 Prozent aller späteren Anzeigen bei der Polizei eingegangen.

Egg hat als Gutachter für den Untersuchungsausschuss mehr als 1000 Anzeigen zu den Kölner Übergriffen ausgewertet. Fast die Hälfte bezog sich auf sexuelle Übergriffe. Offenbar kam es in vielen Fällen zu keinem sonderlich sensiblen Umgang mit den Opfern, die nach Eggs Analyse zum überwiegenden Teil selbst Migrantinnen waren. Die meisten Frauen mussten die Übergriffe bei männlichen Polizeibeamten zur Anzeige bringen. Laut Egg sind 62 Prozent der Sexualdelikte von Männern aufgenommen worden. Die in Köln erstatteten Anzeigen zeichneten sich überdies dadurch aus, dass sie „sehr knapp gehalten“ worden seien, so der Wissenschaftler. Motto: Einen solchen Fall hatten wir schon, die Strafverfolgung erscheint ohnehin wenig aussichtsreich.

"Null-Toleranz-Strategie" notwendig

Die Kölner Polizisten waren dem Gutachter zufolge völlig überfordert und unzureichend ausgestattet. „Es waren von vornherein zu wenige“, erklärte Egg. Das Land hatte den Kölner Einsatzplanern im Vorfeld einen beantragten Hundertschaftzug mit 38 Beamten verweigert. Weil nicht bereits bei den ersten Anzeichen für einen Ausnahmezustand am frühen Abend konsequent eingeschritten worden sei, habe sich am Dom „ein Zustand der scheinbaren Regellosigkeit“ eingestellt, so Egg. Die Übergriffe seien kein völlig neues Kriminalitätsphänomen gewesen und auch nicht Ergebnis einer kriminellen Verabredung. Die Eskalation der Nacht sei vielmehr „Folge einer sozialen Ansteckung“, da die Polizei nicht eingeschritten sei. „So konnte eine Art Jagdstimmung entstehen“, erklärte Egg. Notwendig wäre aus seiner Sicht eine „Null-Toleranz-Strategie“ gewesen.

Im Untersuchungsausschuss des Landtags wurden erstmals Notrufe aus der Kölner Silvesternacht eingespielt. Daraus ergeben sich weit vor Mitternacht über Stunden zahlreiche Hinweise von Bürgern auf den „Ausnahmezustand“ und die „außer Kontrolle“ geratene Lage rund um Hauptbahnhof und Dom. Gegen 23 Uhr meldete eine hörbar verzweifelte Frau, das Männer „einem unters Kleid grapschen“ und die Polizei nichts mache.

Kriminalpsychologe Egg las zudem die Email einer Frau vor, die von einem „Spießrutenlauf“ durch eine aggressive Masse berichtete, von der sie beschimpft und attackiert worden sei. „Unter den Peinigern befand sich kein einziger Deutscher“, zitierte Egg die Frau. Und: „Ich hätte mir Polizeipräsenz gewünscht.“

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