Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen Halbbekannt gegen Unbekannt

KREMMEN/CAPUTH · Sie streiten längst auch schon über Autos. Nicht über Dienstfahrzeuge, aber doch über insgesamt vier Polizeistreifenwagen zusätzlich, die Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor Wochen in seinen Wahlkreis Spree-Neiße I nahe der deutsch-polnischen Grenze in den Dienst gegen Autodiebstahl, Einbruch und andere Grenzkriminalität schicken ließ.

 Der Wahlkampf kam nur langsam in Fahrt: Plakate von SPD und CDU an einem Radweg in Fürstenwalde.

Der Wahlkampf kam nur langsam in Fahrt: Plakate von SPD und CDU an einem Radweg in Fürstenwalde.

Foto: dpa

Plötzlich geht, was über eine gesamte Legislaturperiode nicht ging. Grenznahe Polizeiposten werden aufgerüstet, ausgerechnet in den Städten Forst und Guben im Wahlkreis des Ministerpräsidenten. Schnell zog das Innenministerium nach und meldete auch noch für die Grenzstädte Frankfurt/Oder und Eisenhüttenstadt Polizeiverstärkung. Doch dieses Sicherheitsplus gibt es nur befristet bis Mitte Oktober. Dann ist der Wahlkampf längst zu Ende.

Woidke hat den Posten des Ministerpräsidenten in Brandenburg erst Ende August vergangenen Jahres von Matthias Platzeck (SPD) übernommen, der nach elf Jahren im Amt und mehreren gesundheitlichen Einschlägen den Stressjob des Regierungschefs abgeben musste. Woidke, 52 Jahre alt, Diplom-Agraringenieur mit Promotionsgrad, zuvor Innenminister des Landes, übernahm.

Woidke fährt in der 7000-Einwohnerstadt Kremmen nordwestlich von Berlin vor, wo die Landes-SPD zu einem "Strohballenfest" geladen hat. Der Ministerpräsident soll mit Wählern im ländlichen Brandenburg ins Gespräch kommen. 400 Gäste warten.

Einen Amtsbonus oder gar Landesvater-Status hat Woidke noch nicht, auch wenn er bekannter ist als CDU-Spitzenkandidat Michael Schierack, den zum Wahlkampfauftakt im Juli 75 Prozent der Brandenburger gar nicht kannten. Wahlkampf eines Halbbekannten gegen einen Unbekannten. Auch das ist Brandenburg.

Schierack, Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin aus Cottbus, nimmt die kleine Polizeioffensive des Ministerpräsidenten denn auch zum Anlass, um gegen eine "Lex Woidke" zu wettern. Der SPD-Spitzenkandidat mache "plötzlich" in seinem Wahlkreis möglich, was viele Menschen zwischen Schwedt an der nördlichen Landesgrenze zu Polen und Lauchhammer im Süden "dringend brauchen": mehr Polizei.

Es hat Wochen gedauert, bis der Wahlkampf in Fahrt gekommen ist. Lange stellte sich gar die Frage: Kneift da einer? Woidke oder Schierack? Oder beide? Über Wochen haben sich beide Kandidaten mit dem Vorwurf überzogen, nicht den Mumm für einen richtigen Wahlkampf zu haben.

In Kremmen lästert Woidke zwischen Traktoren und Strohballen über Schierack: "Das größte Problem ist, dass man den Gegner nicht sieht." Einige versuchten wohl, "unter dem Radar durchzutauchen", schaltet der Ministerpräsident in den Angriffsmodus.

Einige Tage später auf dem Fährfest in Caputh bei Potsdam kontert Schierack, der auch CDU-Landesvorsitzender und Fraktionschef ist: "Ich muss mich über einen solchen Satz schon wundern. Ich bin bereit, mich auf jedem Podium dieses Landes dem Wettbewerb mit dem Ministerpräsidenten zu stellen. Wer sich dort nicht blicken lässt, ist Herr Woidke selbst", so Schierack. Fünf Tage vor dem Wahltermin haben sich Woidke und Schierack dann doch noch in die Augen gesehen: beim einzigen Fernsehduell.

Woidke unterstellt Schierack und der lange tief zerstrittenen Brandenburg-CDU vor allem, auf den positiven Trend und den Rückenwind der Bundes-CDU zu setzen. Tatsächlich greift Bundeskanzlerin Angela Merkel mit gleich drei Auftritten in Eberswalde, Wittstock/Dosse und zum Finale in Cottbus zur Verstärkung von Schieracks "Brandenburg.Besser.Machen."-Tour in den Landtagswahlkampf ein.

Dass Woidke vor der CDU Angst haben müsste, ist allenfalls Wahlkampf-Rhetorik. Nachdem die CDU im Juni bis auf zwei Prozentpunkte (28 Prozent) an die SPD (30 Prozent) herangerückt war, ist der Abstand zwischen beiden Parteien mittlerweile wieder deutlich.

Nach jüngsten Umfragen liegt die SPD - je nach Institut - mit 31 bis 33 Prozent inzwischen wieder deutlich vor der CDU (24 bis 25 Prozent), die wiederum vor der Linkspartei (21 bis 22 Prozent) rangiert. Die Grünen kommen auf sechs Prozent, die FDP muss mit zwei bis drei Prozent wohl in die außerparlamentarische Opposition. Die Alternative für Deutschland (AfD) kommt auf acht bis neun Prozent.

Die FDP plakatierte wegen dramatisch schlechter Werte schon sarkastisch: "Keine Sau braucht die FDP!" Die Grünen stellen sich, wenn sie es schaffen, auf weitere fünf Jahre Opposition ein. Fraktionschef Axel Vogel, der mit Ursula Nonnenmacher das Grünen-Spitzenduo bildet, geht davon aus, dass es bei Rot-Rot in Brandenburg bleibt.

Der Ministerpräsident habe sich klar zur Koalition mit der Linken bekannt. Und tatsächlich: Woidke auf die Frage, was gegen die Fortsetzung von Rot-Rot spreche: "Erst mal gar nichts."

Schierack wiederum sagt, Rot-Rot bedeute Stillstand, wie die Legislaturperiode gezeigt habe: "Wer Woidke eine Stimme gibt, wird die Linke in der Regierung haben." Die Linke ficht das nicht an. Sie will weiter Rot-Rot, wie Spitzenkandidat und Finanzminister Christian Görke betont, auch wenn die vergangenen fünf Jahre "nicht einfach" gewesen seien.

Das ist schön gesprochen, wenn man berücksichtigt, dass zu Beginn der Legislaturperiode gleich mehrere Linke-Abgeordnete wegen bis dato nicht aufgedeckter Stasi-Vergangenheit Mandate niederlegen mussten.

Die Chancen sind gering, aber eventuell kommt doch noch Rot-Schwarz ins Gespräch, sollte die Linke zu übermütig werden. Mit einer großer Koalition hat Brandenburg schon Erfahrung.

Mindestens jedoch hat Woidke die CDU als Druckmittel gegen die Linke im Falle von Koalitionsgesprächen. Woidke kann abwarten. Er ist der Amtsinhaber. Er muss nicht angreifen. Vier "Polensprinter", wie über die vier zusätzlichen Polizeiautos in seinem Wahlkreis gespottet wird, stören da nicht weiter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort