Fazit der Bürgerschaftswahl 2020 Welche Auswirkungen hat die Wahl in Hamburg auf die Parteien?

Berlin · Was macht der Sieg mit der SPD und den Grünen, der Absturz mit der CDU und das Zittern mit der FDP und der AfD? Das Votum der Hamburger hat auch Wirkungen auf die Entwicklung der Parteien auf Bundesebene sowie auf Nordrhein-Westfalen.

 Blumen nach dem Wahlerfolg: Peter Tschentscher (Mitte) mit den SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Blumen nach dem Wahlerfolg: Peter Tschentscher (Mitte) mit den SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Das komplizierte Wahlverfahren in Hamburg gibt die genaue Entscheidung der Wähler nicht sofort preis. Aber als derzeit geplante einzige Wahl auf Landesebene in diesem Jahr ist sie mehr als ein Stimmungstest. Sie zeigt überraschend deutliche Trends auf, die faszinierende und für manche Betroffene auch frustrierende Blicke in die Zukunft erlauben.

Da ist zum einen der Blick in den Abgrund. Eigentlich war vor fünf Jahren klar, dass es für die CDU, die in der Hafenstadt noch Anfang des letzten Jahrzehnts mit absoluter Mehrheit regierte, nicht tiefer gehen kann als beim damaligen Sturz auf 15 Prozent. Die Lehre für die CDU: Schlimmer geht immer. Wo nur noch sechs Prozent der Erstwähler die CDU stärken, gibt es so schnell auch keine Zukunft mehr. Der Kontakt zu den Hanseaten scheint dieser CDU vollständig abhanden gekommen zu sein.

Und wenn dann auch noch die Bundespartei führungslos erscheint, gibt es kein Halten mehr. Die Wähler neigen eher und in größerem Maße zu wechselhaften Entscheidungen. Und wer gerade noch für 40, mindestens aber 30 Prozent eingepreist war, kann ein Jahrzehnt später in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein. Damit ist klar, dass Hamburg aus christdemokratischer Sicht gemahnt: Erstens das Machtvakuum an der Bundesspitze schnellstmöglich zu beenden, zweitens das Lavieren in Thüringen in ein von Orientierung geprägtes Verhalten umzuwandeln und drittens eine systematische Wiederaufbauphase in Hamburg zu starten.

Sozialdemokraten können wieder jubeln

Da ist zum zweiten das Gefühl für die Sozialdemokraten, an Wahlabenden wieder jubeln zu können. An der Alster ist das berechtigt. Es war eine Personenwahl. Peter Tschentscher war die richtige Figur zum passenden Programm für die Stadt. Doch an der Spree sieht das anders aus. Der SPD-Wahlkampf in Hamburg war ein einziges Misstrauensvotum gegen die neue Parteispitze. Sie waren vor Ort unerwünscht und fügten sich der Bitte, möglichst nicht zu stören. Dass Tschentscher-Vorgänger Olaf Scholz, ebenfalls mal Wahlsieger in Hamburg, am Wahlabend gefühlt einen halben Meter größer wirkte, ist auch eine späte Genugtuung für die Niederlage, die ihm die Genossen beim Mitgliederentscheid zufügten, indem sie nicht ihn, den Inbegriff soliden Regierens, sondern die Groko-Zweifler Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Parteispitze beförderten. So dürfte in der SPD denn bald die Debatte an Fahrt aufnehmen, nach dem Erfolg 2020 für 2021 wieder einen realistischen Kanzlerkandidaten aufstellen zu können. Seit dem Wahlsonntag von Hamburg sind die Chancen von Scholz jedenfalls gehörig gestiegen.

Was also muss eine SPD machen, um wieder erfolgreich sein zu können? Tschentscher setzte gemeinsam mit einem Team um den Wahlkampfstrategen Frank Stauss (er beriet schon erfolgreich Gerhard Schröder) auf die Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Also: bezahlbare Wohnungen schaffen, die quälenden Staus bekämpfen, den Klimaschutz mit umweltfreundlichen Bussen und mehr Radwegen vorantreiben, den wirtschaftlich bedeutenden Hafen ausbauen. Gut für Tschentscher, dass aus der Zeit der SPD-Regentschaft schon einiges vorzeigbar ist. Die Mietsprünge fielen in Hamburg zuletzt wieder geringer aus, im vergangenen Jahr wurde der Bau von 12 700 Wohnungen genehmigt, und schon im Jahr zuvor belegte Hamburg mit 58 neuen Wohnungen je 10 000 Einwohnern den Spitzenplatz deutscher Metropolen.

Rot-Grün ist in Hamburg mit veränderten Gewichten bestätigt worden. Aber es ist Rot-Grün geblieben und nicht Grün-Rot geworden, wie zeitweise spekuliert worden war. Die Umfragewerte für die Grünen mögen also bei Sonntagsfragen durch die Decke gehen, bei Sonntagsantworten durch die Wähler werden sie zwar stark und stärker, aber außerhalb von Baden-Württemberg gibt es noch keinen Anspruch auf den Regierungschefposten. Die These vom Stimmentausch wurde bestätigt: Was die SPD an Vertrauen verliert, landet zu großen Teilen bei den Grünen. Und es funktioniert auch in die andere Richtung.

AfD lernte am Wahlabend das Zittern

Die FDP ist wieder dort angekommen, wo sie vor dem von Christian Lindner angeführten Wiedereinzug in den Bundestag stand: Nie sicher, ob es reicht. Das ist auch eine Folge des Tabubruchs von Erfurt. Die Hamburger sind da deutlich sensibler als die Thüringer, was Experimente mit den parlamentarischen Rechtsauslegern von der AfD angeht.

Die AfDler lernten am Wahlabend für Stunden das Zittern. Für sie ungewohnt. Schon zuvor hatte Parteichef Tino Chrupalla dazu aufgerufen, eine klarere Grenze zu Rassisten zu ziehen. Nun wollen sie die anderen Parteien zum „Abrüsten“ bringen. Jedenfalls lehrte Hamburg, dass es beim Kampf gegen die AfD auch darauf ankommt, sich um die konkreten Anliegen der Menschen zu kümmern und sich nicht andere Themen aufzwingen zu lassen, mit denen nur die AfD gewinnen kann.

Die Koalitionsbildung ist nicht einfacher geworden. Die Grünen werden sich nicht länger, wie noch unter Scholz, als „Anhängsel“ abspeisen lassen. Sie fühlen sich fast auf Augenhöhe mit der SPD und wollen entsprechend in der inhaltlichen wie in der personellen Regierungspolitik vorkommen. Tschentscher ist in der Lage, auch mit der CDU (zum Schein) anzubandeln. Das wäre sicherlich der pflegeleichtere Partner und könnte den Wünschen der Grünen Grenzen aufzeigen. Am Ende wird jedoch auch aus Berlin der Druck auf die Genossen im Norden wachsen, eine weitere Alternative zu Schwarz-Rot im Bund zu stabilisieren. Und das ist für 2021 definitiv die wichtigste Lehre aus Hamburg.

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