Ministerpräsident Bodo Ramelow? Heißester Politkrimi der Republik

BERLIN · Bodo Ramelow hatte schon im Frühjahr eine präzise Vorstellung, was passieren wird, wenn er zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt werden sollte - als erster Politiker der Linkspartei.

 Bodo Ramelow mit dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, der gestern im Landtag unterzeichnet wurde.

Bodo Ramelow mit dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, der gestern im Landtag unterzeichnet wurde.

Foto: dpa-Zentralbild

"Die Sirenen werden aufheulen, die Drohnen aus Ramstein Richtung Erfurt ausschwärmen", und dann, wusste er, "gehen die Lichter aus".

Er hat Sinn für Ironie. Heute könnte es nun so weit sein. Nicht, was die Sirenen angeht. Aber er könnte gewählt werden. Landespolitik ist nicht immer spannend. Aber in Thüringen spielt derzeit der heißeste Polit-Krimi der Republik. Rechnerisch verfügt seine Koalition aus Linken, SPD und Grünen über eine Stimme Mehrheit gegenüber CDU und AfD.

Er braucht Geschlossenheit - und rechnet selbst nicht damit. "Es wird wohl drei Wahlgänge geben", sagt er voraus. Dennoch sei er "entspannt". Im dritten reicht die einfache Mehrheit. Das sollte hinhauen. Hofft er.

Zeit für die ganz großen Worte. Eigentlich. Ungefähr so: Ein politisches Erdbeben. 25 Jahre nach Mauerfall kehren die SED-Nachfolger an die Schalthebel der Macht zurück. Sozialistische Experimente! Gemach. Selbst die Union in Thüringen versagt sich derzeit die besonders donnernden rhetorischen Breitseiten.

Das Programm der Drei-Parteien-Koalition fügt sich den Sachzwängen und bietet nichts, was den klassenkämpferischen Furor altlinker Salonrevolutionäre anfachen könnte. Auf drei Kernvorhaben haben sich Rote, ganz Rote und Grüne verständigt: Es soll ein kostenfreies Kita-Jahr eingeführt werden, das es in vielen Bundesländern schon gibt.

Es wird eine Kommunalreform mit größeren Landkreisen geben. Andere ostdeutsche Länder haben das längst hinter sich. Und beim Landesverfassungsschutz sollen die V-Leute abgeschafft werden, außer wenn sie in Sachen Terror-Abwehr tätig sind. Darüber kann man streiten. Aber den Stoff, aus denen Revolutionen sind, wird man im Koalitionsvertrag nicht finden.

Stattdessen das Bekenntnis, dass die DDR ein "Unrechtsstaat" gewesen ist. Die Grünen hatten das vehement verlangt. Die Linke hatte damit Probleme. Ramelow nicht. Er pflegt eine klare Sprache, wenn er über die DDR spricht. Etwa so: "Jedes kleine oder größere Arschloch im DDR-Apparat konnte in das Leben der anderen eingreifen. Das war entsetzlich."

Er kann da ganz unbefangen reden. Als die Mauer aufging, war er als Gewerkschaftssekretär in einem Penny-Markt an der Lahn, der von Schließung bedroht war. Ramelow gehört eindeutig zu den Profiteuren der Wende, was nicht zu seiner Beruhigung beitragen wird, wenn heute gewählt wird.

Manchem in der Linkspartei fehlt eindeutig die Ost-Sozialisation Ramelows. Das kann er nicht ändern. Er ist ein Wessi. Der Vater stirbt früh, mit der Mutter zieht er von Niedersachsen nach Hessen. Hauptschulabschluss, knapp, dann Lehre als Einzelhandelskaufmann bei Karstadt, kaufmännische Fachhochschulreife. Später ist er Filialleiter bei der Jöckel-Vertriebs GmbH. Daneben immer die Gewerkschaftsarbeit. Die Wende ist für ihn eine Chance. Eine Karrieretür öffnet sich. 1990 geht er nach Thüringen. Bis 1999 ist er Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen.

Im selben Jahr erst tritt er in die PDS ein. Dort geht es schnell voran. 2005 ist er Wahlkampfleiter für die Bundestagswahl. Vor allem aber verhandelt er für den Osten die Fusion mit den West-Linken der Partei "Die Wahlalternative" (WASG). Ziemlich effizient. Sein Verhandlungsstil ist mal rüde, mal autoritär. "Ich habe gedacht, der frisst jeden Morgen Reißnägel", erinnert sich Klaus Ernst, der für die Wessis verhandelte. Wer einen Eindruck von seinen Wutanfällen bekommen will, für die er damals bekannt und gefürchtet war, sollte im Netz unter "Ramelow flippt bei Friedmann aus" nachschauen. Da bricht es im TV-Studio aus ihm heraus, als ein CSU-Politiker gegen Gregor Gysi lästerte.

Das alles hat Eindruck gemacht. Als Westimport gilt er nicht mehr. Aber anders bleibt er. Nicht nur, weil er unbefangener über die DDR reden kann. Auch weil er protestantischer Christ ist. Nicht demonstrativ, aber bekennend. Nicht gerade üblich im Milieu der Linken. Es ist bezeichnend für Ramelow, wie er jüngst auf die harsche Kritik von Bundespräsident Gauck an der rot-rot-grünen Regierungsbildung reagierte.

Seine Parteifreunde echauffierten sich über die politische Einmischung. Ramelow störte etwas anderes: "Ich habe im Fernsehen gesehen, wie er mir - vor einem Altar mit brennenden Kerzen und einem Kreuz - abgesprochen hat, Christ zu sein." Das hat Gauck keineswegs bei seinem Interview in der Berliner Gehtsemane-Kirche. Persönlich hatte Gauck Ramelow nicht angesprochen.

Aber der sagt: "Mich trifft es in der Seele. Das Kreuz bedeutet mir etwas. Das sorgt schon in meiner Partei für genug kritische Nachfragen. Da muss nicht noch der Seelsorger Gauck kommen." So klingt echte Empörung des Mannes, der es als seinen Traum bezeichnet, einmal als Pilger auf dem Jakobsweg zu wandern.

Wenn alles nach Plan läuft, wird er in den kommenden vier Jahren keine Zeit dazu haben. Er hat viel dafür getan, Ministerpräsident zu werden. Er hat sich verändert. Als er in die Landespolitik kam, hatte er sich seinen Rüpel-Ruf hart erarbeitet. Legendär ist sein Ausspruch "Ich habe einen schlechten Ruf, und ich habe nicht vor, ihn zu verbessern."

Hat er aber doch. Nicht nur äußerlich. Den "Brilli" im Ohr hat er abgelegt, die Haare stehen nicht mehr gelgestärkt zu Berge, sondern fügen sich zum staatstragend strengen Seitenscheitel. Das Wadenbeißen überlässt er seinem durchaus gefürchteten Büro-Terrier "Attila". Im politischen Tagesgeschäft war Ramelow ein auf Mäßigung bedachter Oppositionsführer. Manchem ging der Schmusekurs viel zu weit.

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