Symposium zum 98. Geburtstag Henry Kissinger ist auch mit 98 ein scharfsinniger Analytiker

Bonn · Henry Kissinger ist eine lebende Legende. Der US-Politiker mit deutschen Wurzeln feierte am Donnerstag 98. Geburtstag. Und er hat noch einiges zu sagen, wie ein Symposium aus diesem Anlass bewies.

 Ex-US-Außenminister Henry Kissinger im Jahr 2014.

Ex-US-Außenminister Henry Kissinger im Jahr 2014.

Foto: dpa/Britta Pedersen

1938 mit seiner Familie – Eltern und Bruder – von den Nazis in die Emigration gezwungen, machte er in den USA eine politische Karriere im Eiltempo. Sie führte ihn 1969 als Nationalen Sicherheitsberater von Präsident Richard Nixon bis ins Weiße Haus und 1973 auf den Chefposten im Außenministerium. Er wurde d e r Experte für die transatlantischen Beziehungen in den USA, zum Brückenbauer zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und zum Lehrmeister für Generationen von Historikern und Politikwissenschaftlern: Henry Kissinger. An diesem Donnerstag wurde er 98 Jahre alt. Anlass für die Deutsche Atlantische Gesellschaft, das Fürther Ludwig-Erhard-Zentrum und die Henry-Kissinger-Professur für Sicherheits- und Strategieforschung der Bonner Uni, ein Symposium auszurichten. Und mittendrin in der virtuellen Runde: Henry Kissinger selbst.

Vielleicht ein bisschen bedächtiger als früher, aber weiterhin scharfsinnig und klug analysierend, stellte er die aus seiner Sicht wichtigsten Herausforderungen für die nächsten Jahre dar. Die Umwälzungen in der globalen Weltordnung infolge der Digitalisierung würden so grundlegend sein wie kaum jemals zuvor, meinte er. Dabei sei es für Europa wichtig, sich nicht als Vermittler zwischen den Weltmächten zu sehen, sondern ein Teil des Westens zu bleiben. Europa müsse sich als atlantisches Europa betrachten, nicht als europäisches Europa, lautete der Appell Kissingers an die Politiker des alten Kontinents.

Gerade mit Deutschland fühle er sich weiterhin eng verbunden, sagte der gebürtige Fürther. Für seine gesamte Familie sei die Beziehung zur alten Heimat „von großer Bedeutung“. Auch für seinen ein Jahr jüngeren Bruder, mit dem er mehrfach die gemeinsamen persönlichen Wurzeln im Fränkischen aufsuchte, galt das. Walter Kissinger, der als Wirtschaftsmanager in den USA zu Ruhm und Ansehen kam, starb erst vor wenigen Wochen. Auch an ihn wurde bei dem Symposium erinnert. Nicht die demütigende Flucht, sondern viel Positives verbindet Henry Kissinger mit der alten Heimat. „Wenn ich an Deutschland denke, denke ich an den Aufbau, die Demokratisierung und die politische Verbundenheit mit Amerika“, sagte Kissinger im Gespräch mit den Wissenschaftlern und Publizisten Karl Kaiser und Theo Sommer.

Einflussreich und mit Verständnis für Deutschland

Der Bonner Historiker und Inhaber der Henry-Kissinger-Professur für Sicherheits- und Strategieforschung, Ulrich Schlie, erinnerte daran, dass es in den USA keinen einflussreicheren Politiker gegeben habe, der ein so tiefes Verständnis für Deutschland gehabt habe wie Kissinger und dass es dort niemanden gegeben habe, der so sehr für die Bundesrepublik geworben habe. Dass Deutschland nach dem Krieg eine Bewährungsprobe im westlichen Bündnis erhalten habe, „daran haben auch Walter und Henry Kissinger ihren Anteil gehabt“, meinte Schlie.

An die Rolle Kissingers für Willy Brandts Ostpolitik erinnerte Harvard-Professor Kaiser. Brandt-Berater Egon Bahr habe die einzelnen Schritte hin zu den Verträgen mit Moskau und Warschau sehr eng mit Kissinger abgestimmt. Stets mit dem Gedanken verbunden, dass diese Politik nicht den US-Interessen entgegenlaufe und Deutschland keinen irreparablen Schaden beschere. „Ohne Henry hätte es keine Ostpolitik gegeben“, zitierte Kaiser eine Aussage, die Bahr bei der Einrichtung der Bonner Kissinger-Professur aus Anlass des 90. Geburtstages gemacht hatte.

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