Peer Steinbrück im Bonner Universitätsclub "Hochmut ist nicht angebracht"

Bonn · Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peer Steinbrück sieht Deutschland vor großen Herausforderungen und die europäische Integration gefährdet.

Er ist ein Mann der klaren Worte und starken Sprüche. „Hätte, hätte, Fahrradkette“ ist so ein Satz Peer Steinbrücks – eine flapsige Replik auf die Frage eines Journalisten im Bundestagswahlkampf 2013, ob er als Kanzlerkandidat der SPD die eine oder andere Wahlkampfpanne nicht hätte vermeiden können. Oder der berühmte Hinweis in einem Gespräch über die Frage einer Kindergelderhöhung, dass er Wein für fünf Euro die Flasche für nicht trinkbar halte.

Am Freitagabend im Bonner Universitätsclub ging es freilich nicht um so etwas Banales wie Weinpreise, sondern um das ganz große Thema: „Deutschland und Europa im Kontext globaler Machtverschiebungen“ lautete die Überschrift über dem Vortrag Steinbrücks bei der Reihe „Globale Trends“ 2016 des Center for Global Studies (CGS) der Universität Bonn.

Steinbrück widersteht weitgehend der Versuchung, sich in die aktuelle politische Debatte einzumischen. Und er weiß, wie man auch bei einem sperrigen Thema das Publikum bei der Stange hält: Hier eine Anekdote, dort ein kleiner Scherz, amüsant ist der heutige SPD-Bundestagsabgeordnete allemal.

Den Zuhörern präsentiert er zunächst die gute Nachricht: „Deutschland ist glänzend aufgestellt.“ Eine große, wettbewebersfähige Industrie, ein starker Mittelstand, eine („noch“) gute Infrastruktur, sozialer Frieden und „eine Politik, die nicht immer alles so verkehrt gemacht hat, wie Sie glauben“, erklärt er mit Blick auf die in den letzten Jahren gesunkenen Steuern und die Agenda 2010. In dieser Gegenwart, so seine Diagnose, würden die Deutschen es sich am liebsten gemütlich einrichten.

Nur ein deutsches Unternehmen in der globalen Software-Oberliga

Aber das – und jetzt schiebt er die schlechten Nachrichten hinterher – geht nicht: „Deutschland steht vor enormen Herausforderungen, die unterschätzt oder nicht wahrgenommen werden.“ Das beginnt laut Steinbrück bei der Vergreisung der Gesellschaft, die schon vor Jahren ein Einwanderungsgesetz nötig gemacht hätte.

Es geht weiter mit den Investitionen, die im internationalen Bereich seit langem viel zu niedrig seien, mit dem Schlüsselthema Bildung, für die viel zu wenig getan werde, mit der Schwäche bei technologischen Revolutionen wie der Digitalisierung. „Die digitalen Player von Weltruf sind nicht in Deutschland zu Hause“, sagt Steinbrück. Es gebe nur ein einziges Unternehmen, das in der globalen Software-Oberliga mitspiele, und das sei SAP. Deshalb, so seine Warnung, „dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Hochmut ist nicht angebracht angesichts einer sich rasant verändernden Welt.“

Und Europa? „Da habe ich Mühe, nicht in den Ton von Kassandra zu fallen.“ Steinbrücks Bilanz: „Ich habe das Projekt der europäischen Integration seit den römischen Verträgen von 1957 noch nie so gefährdet gesehen wie heute.“ Die Eurokrise werde derzeit nur überlagert vom Terror des IS und von der Flüchtlingskrise.

„Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist notwendig“, fordert er, „und der sollte verbunden sein mit einem temporären Ausscheiden aus der Eurozone.“ Was Steinbrück umtreibt, ist die zunehmende Isolation Deutschlands in Europa, der Trend zur Renationalisierung selbst in den skandinavischen Ländern. „Und ich wette darauf“, sagt er dann: „Die AfD kommt bei den nächsten Landtagswahlen über zehn Prozent.“

"Sie müssen sich einmischen"

Auch global macht Steinbrück einen Wendepunkt aus. Für die USA rücke der pazifische Raum in den Vordergrund, während Europa an Bedeutung verliere. Moskau habe mit dem Vorgehen auf der Krim und in der Ukraine die postsowjetische Friedensordnung, in die so viele Hoffnungen gesetzt wurden, aufgekündigt. Dazu komme das Erstarken von Ländern wie China oder Brasilien, die selbstbewusst auf ihre eigenen Interessen bedacht seien. Kurzum: „Es gibt enorme Verschiebungen auf globaler Ebene zu Lasten Europas.“

Europa müsse die Attraktivität seines wirtschaftlichen und demokratischen Modells wieder herausstellen, fordert Steinbrück. Und seinen vor allem jungen, studentischen Zuhörern gibt er mit auf den Weg: „Europa mit seinen Freiheiten und wirtschaftlichen Leistungen ist das Beste, was es auf der Welt gibt.“ Dass es so lange keinen Krieg in Europa gab, sei das Verdienst der europäischen Einigung. „Das ist nicht selbstverständlich, dafür muss man kämpfen. Sie müssen sich für Europa einsetzen, das können Sie nicht alten Knackern überlassen. Sie müssen sich einmischen“, mahnt Steinbrück.

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