Möglicher nächster Bundespräsident Höchst präsidial: Frank-Walter Steinmeier

Berlin · Frank-Walter Steinmeier ist vom Auswärtigen Amt auf dem Weg ins Schloss Bellevue. SPD-Chef Sigmar Gabriel kann ihn ins oberste Staatsamt hieven, weil er seinen Kandidaten zeitig ausgerufen hat und die Unionsparteien keine Alternative aufbieten können.

Der Schamane der Kogi, ein indigenes Volk in den Bergen Kolumbiens, tritt auf den Gast aus Deutschland zu. Der Mann mit den weißen Haaren und der schwarz eingefassten Brille soll seine Hände zu einer Schale formen, dort seine schlechten Gedanken hineingeben, aufstehen und die Schale mit dem imaginären Inhalt „El Mamo“, dem spirituellen Führer der Kogi, übergeben. Frank-Walter Steinmeier glaubt natürlich nicht an solchen Zauber, aber bitte, wenn vielleicht doch ein schlechter Gedanke weniger beispielsweise helfen würde, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Warum nicht?

Es ist Mitte Februar des vergangenen Jahres. Der deutsche Außenminister ist auf seiner Tour durch Südamerika mit Stationen in Brasilien, Peru und Kolumbien noch 19 Monate von dem Tag entfernt, an dem SPD-Chef Sigmar Gabriel bekannt geben wird, dass CDU, CSU und SPD sich auf Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl am 12. Februar 2017 verständigt haben. Doch schon auf dieser Reise wird Steinmeier im Flugzeug gefragt, was denn dran sei: Ob er sich eines Tages das höchste Staatsamt vorstellen könne. Der deutsche Chefdiplomat hat solche Fragen weggelächelt. Der Jurist aus Detmold-Brakelsiek mit Wahlkreis Brandenburg an der Havel sagt später in einem Interview: „Ich habe eine klare Vorstellung, und das, was ich mir wünsche, ist, dass Joachim Gauck ein zweites Mal antritt.“ Als Gauck, der elfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, später entscheidet, dass er wegen seines Alters von dann 77 Jahren keine zweite Amtszeit mehr anstreben werde, formuliert Steinmeier um: „Ich bin Außenminister. Und wie Sie sehen: Ich bin es gerne.“

Kein Vertun, Steinmeier ist wirklich gerne Außenminister. Der frühere Kanzleramtschef von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist national wie international angesehen, diplomatisch erfahren und krisenerprobt. Ex-Kanzler Schröder sagt denn auch am Montag: „Ich glaube, er ist einer der Besten, die wir bekommen können, ohne Zweifel. (…) Gerade in schwieriger werdenden Zeiten, was die Außenpolitik angeht, ist es gut, einen versierten Außenpolitiker als Bundespräsident zu haben.“ Steinmeier, Mitarchitekt der auch in der SPD lange umstrittenen Reformagenda 2010, guckt auf die Welt mit klarem Blick. Wenn sich Kräfteverhältnisse verschieben, kann sich eine Regierung nicht wegducken. Und so mahnt er im Februar 2014 bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt an. „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.“ Steinmeiers Anleihe beim Fußball, die Außenlinie, muss man verstehen: Steinmeier ist Schalke-Fan und versuchte es in jüngeren Jahren auch selbst im Trikot von TuS 08 Brakelsiek.

Sigmar Gabriels besonderer Coup

Sieg und Niederlage. Das gibt es nicht nur auf dem Platz. Im September 2009 führt er als SPD-Kanzlerkandidat seine Partei in die schwerste Niederlage bei einer Bundestagswahl. Aufprall bei 23,0 Prozent. Schmerzhaft für eine Volkspartei. Steinmeier erklärt noch in der Nacht der Wahlniederlage seinen Anspruch auf den Vorsitz der Bundestagsfraktion und rettet damit seine weitere politische Karriere. Sigmar Gabriel übernimmt im November 2009 bei einem Parteitag in Dresden die SPD als Bundesvorsitzender.

Steinmeier und Gabriel sind Parteifreunde, das schon, aber sie sind nicht allerbeste Freunde. Es heißt, sie hätten ein eher angestrengtes Verhältnis. Dass der SPD-Chef jetzt den einst gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten aller Voraussicht nach ins höchste Staatsamt hievt, darf als Coup Gabriels gelten. Wer Steinmeier an der Spitze des Außenamtes nachfolgt? Schon länger halten sich Gerüchte, Gabriel könnte EU-Kommissionspräsident Martin Schulz im Bundeskabinett platzieren, wenn denn erst eine neue Aufgabe für Steinmeier gefunden wäre.

Einen bei den Bürgern höchst beliebten Außenminister aus dem Amt zu tragen, wäre für Gabriel (und Schulz) ein zu großes Risiko gewesen. Jetzt aber fügen sich die Dinge wunderbar. Gabriel genießt den Triumph still: „Ich habe gar nichts geschafft, sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt.“.

Weil bei Bundespräsidenten das Private häufig (staats-)politisch wird, kommt an dieser Stelle Elke Büdenbender, seit 21 Jahren Steinmeiers Ehefrau, ins Spiel. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter. 2010 zog sich Steinmeier für einige Wochen aus der Politik zurück, um seiner damals schwer kranken Frau eine Niere zu spenden. Das Leben für die Politik hat eben Grenzen.

Für Bundespräsidenten, die das Land abseits des operativen Regierungsalltags zu repräsentieren haben, gilt in aller Regel das Paar-Prinzip: Präsidenten-Gattinnen begleiten das Staatsoberhaupt häufig auf Reisen – namens und im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland. Elke Büdenbender ist Verwaltungsrichterin und müsste beruflich zurückstecken, wollte sie die Rolle der Präsidenten-Gattin ausfüllen. Doch das neue Amt hätte auch einen Vorteil: Endlich hätte die Politik die Terminpläne des Ehepaares Büdenbender/Steinmeier zusammengeführt.

Das Wohnzimmer eines Außenministers ist das Flugzeug. Nicht ohne Grund hat auch das neue Buch Steinmeiers, das dieser Anfang Dezember vorstellt, den Titel: „Flugschreiber“. Der Chefdiplomat und Krisenmanager bringt eine Welt in Veränderung so auf den Punkt: „Zu viele sind mit dem Streichholz unterwegs, anstatt den Feuerlöscher zu benutzen.“ Als Bundespräsident wäre er nationaler und internationaler Versöhner – natürlich mit Feuerlöscher.

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