Interview mit Grünen-Fraktionschef Hofreiter: „Ein zweiter Lockdown hätte eine verheerende Wirkung“

Berlin · Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, spricht im GA-Interview über die Auswüchse in der Fleischindustrie und dem Agieren der Bundesregierung in der Corona-Krise. Zudem mahnt er weiter zur Vorsicht während der Pandemie.

 Anton Hofreiter spricht über die bislang von der GroKo verweigerten Wahlrechtsreform und über das Patriotismus-Gefühl der Grünen.

Anton Hofreiter spricht über die bislang von der GroKo verweigerten Wahlrechtsreform und über das Patriotismus-Gefühl der Grünen.

Foto: dpa

Die Zeiten stehen weiter auf Abstand. Anton Hofreiter sitzt am Schreibtisch vor seinem Laptop, seine Interviewpartner werden per Video zugeschaltet. Man kann sich also sehen. Hofreiter warnt weiter vor den Folgen der Pandemie: „Das Virus ist nicht zu unterschätzen, auch wenn man jung und gesund ist.“ Mit dem Grünen-Fraktionschef im Bundestag sprachen Holger Möhle und Eva Quadbeck.

Herr Hofreiter, der Großschlachter Tönnies hat den Lockdown für zwei Landkreise verursacht. Muss diese Art der Fleischproduktion grundsätzlich verboten werden?

Hofreiter: Die ganze Kette der Herstellung muss grundlegend verändert werden. Angefangen von der Futtermittelproduktion in Südamerika, für die indigene Völker oder Kleinbauern vertrieben worden sind. Bei uns wiederum werden Tiere oft unter hochproblematischen Bedingungen gehalten. Wenn ein Bauer an einem Schwein, das er acht Monate bis zur Schlachtung großzieht, gerade noch 20 Euro verdient, steht er wirtschaftlich zwangsläufig mit dem Rücken zur Wand. Zu viel Gülle belastet das Grundwasser. In den Schlachthöfen werden Menschen brutal ausgebeutet. Diese Kette produziert fast nur Opfer und nur sehr wenige Profiteure wie etwa einen Milliardär Clemens Tönnies oder die großen Supermarktketten. Das müssen wir im eigenen Interesse und zum Wohl der Tiere ändern. Es braucht wirksame gesetzliche Regeln, damit sich die Fleischproduktion grundsätzlich ändert.

Was halten Sie von der Idee, dass Fleischproduzenten ihre Methoden mit Fotos auf den Packungen zeigen müssen - so wie man auf Zigarettenpackungen die Gesundheitsgefahren sieht?

Hofreiter: Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn wir eine klare und ehrliche Kennzeichnung bei allen tierischen Produkten erreichen würden, perspektivisch auch bei verarbeiteten Lebensmitteln. Derzeit können Verbraucher allenfalls zwischen konventioneller Herstellung und Bio unterscheiden. Dabei gibt es konventionelle Bauern, die ihre Schweine auf Stroh halten und andere in engen Kasten. Mit einer einfachen, aber verpflichtenden Kennzeichnung wie etwa bei Eiern könnten Verbraucher mit einem Blick sehen, wie die Tiere gehalten wurden. Doch Verbraucheraufklärung allein wird nicht ausreichen.

Schließen sich Agrargroßbetriebe und der Respekt vor der Kreatur aus?

Hofreiter: Es kommt nicht alleine auf die Größe von Höfen an. Größe ist nicht automatisch schlecht, sie ist auch nicht automatisch gut. Man kann auch eine Herde von 200 Rindern auf der Weide halten. Es kommt immer darauf an, wie man mit Tieren umgeht. Statt aber industrieller Großbetriebe sollten Bäuerinnen und Bauern gefördert werden, die etwas für den Natur-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz tun.

Woran liegt es, dass die Grünen in der Corona-Zeit so wenig zu hören waren. Fehlen ihnen die Rezepte für diese Art von Krise?

Hofreiter: Überhaupt nicht. Wir waren gut zu hören. Wir können allerdings auch sagen, dass die Regierung im Umgang mit der Pandemie relativ viel, wenn auch nicht alles, richtig gemacht hat. In einer Krise solchen Ausmaßes müssen die demokratischen Kräfte zusammenarbeiten. Wir haben aber auch von Anfang an auf Änderungen gedrängt und konstruktiv kritisiert, etwa bei den Hilfen für die Ärmsten der Gesellschaft, den Hartz IV-Empfängern, oder auch bei Solo-Selbstständigen.

Wie erklären Sie sich die stark gesunkenen Umfragewerte ihrer Partei. Ist das gesellschaftliche Interesse am Klimaschutz gesunken?

Hofreiter: Wir Grünen sind gut durch die Krise gekommen. Die Pandemie ist noch nicht bewältigt, da gibt es wichtigeres als zu schauen, wie gut die eine oder andere Partei in Umfragen dasteht. Was aber auch klar ist: Die Klimakrise verschwindet nicht. Es gibt viel zu tun. Den Menschen ist das sehr bewusst.

Die Bundesländer spielten irgendwann auf eigene Rechnung. War das klug?

Hofreiter: Das war nicht sehr klug von einigen Ministerpräsidenten. Insbesondere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat sich mit seinem eigenen Agieren keinen Gefallen getan. Vorpreschen bei den Lockerungen und dann wieder zurückrudern zu müssen, das schafft kein Vertrauen. Es ist besser, einige Tage zu spät zu lockern, als zu früh.

Müssen wir uns, auch wenn es einen Impfstoff gegen Sars Cov2 gibt, künftig auf weitere Pandemien einstellen. Was sagen Sie als Biologe?

Hofreiter: Das Virus ist nicht zu unterschätzen, auch wenn man jung und gesund ist. Die Symptomspannbreite reicht vom milden Verlauf über Langzeitschäden bis zum Tod. Was andere Pandemien angeht: Bei Tieren gibt es nach Schätzungen 1,5 Millionen bis 1,7 Millionen verschiedene Virentypen, von denen ein Teil auf den Menschen überspringen kann. Einige davon sind definitiv gefährlich. Man kann die Wahrscheinlichkeit einer neuen Pandemie verringern, indem man den Kontakt zu Wildtieren eindämmt, Wildtiermärkte unterbindet oder die Zerstörung von Ökosystemen stoppt.

Rechnen Sie mit einer zweiten Infektionswelle in Deutschland und kann der Staat ein zweites Mal Hunderte Milliarden Euro aufbringen, um wie bei der ersten Welle die Folgen abzufedern oder aufzufangen?

Hofreiter: So lange es keinen Impfstoff gibt, müssen wir alle vorsichtig bleiben. Wirtschaft und Gesellschaft ein zweites Mal herunterzufahren, hätte eine verheerende Wirkung – für den Arbeitsmarkt, wo große Jobverluste drohten, wie für viele Unternehmen, die nicht die Kraft hätten, einen zweiten nationalen Shutdown zu überstehen. Schätzungen gehen davon aus, dass eine Woche Runterfahren, volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von 35 Milliarden Euro verursacht.

CDU, SPD, aber vor allem CSU verhindern einen Neuzuschnitt der Wahlkreise und damit eine Reform des Wahlrechts mit weniger Überhangmandaten. Wie arbeitsfähig ist ein Parlament, in dem einige der dann 800 Abgeordneten in einer Legislaturperiode gerade zwei oder drei Reden im Plenum halten werden?

Hofreiter: Wächst der Bundestag noch weiter, wäre das hochproblematisch. Deshalb können wir als Opposition an CDU, CSU und SPD nur appellieren, ihre Blockade endlich zu beenden. Der Bundeswahlleiter hat ja gesagt, dass zeitlich auch jetzt noch eine Reduzierung der Wahlkreise mit Blick auf die nächste Bundestagswahl möglich wäre. Wir Grüne haben mit FDP und Linken eine Verkleinerung der Wahlkreise von derzeit 299 auf künftig 250 vorgeschlagen.

„…zu achten und zu schützen…“ heißt es in der Überschrift für das neue Grundsatzprogramm der Grünen in Anspielung auf Artikel 1 des Grundgesetzes zur Wahrung der Menschenrechte. Vor zwei Jahren gingen die Grünen-Vorsitzenden mit einer Zeile aus der Nationalhymne (… des Glückes Unterpfand…“) auf Sommerreise. Was halten Sie von Patriotismus?

Hofreiter: Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn damit gemeint ist, dass man sich dafür einsetzt, dass es allen Menschen bei uns im Land gut geht, sich dabei nicht über andere Nationen erhebt und ein Land sich europäisch und international einbettet, ist das eine gute Sache. Auch Heimat zum Beispiel gehört für mich als Bayer zu meinem Wortschatz ganz selbstverständlich dazu. Uns geht es darum, dass andere diese Wörter nicht für ihre niederträchtigen Zwecke missbrauchen und auf rechte Kampfbegriffe verengen.

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