GA-Interview mit FDP-Chef Christian Lindner „Ich denke nicht eine Sekunde an ein Scheitern“

Christian Lindner, Spitzenkandidat der FDP in NRW, lässt keinen Zweifel an seinen Plänen: Er will die Partei erst in den Landtag und dann in den Bundestag führen. Seine Zukunft sieht er in Berlin.

 Will seine Partei zuerst in den Landtag und dann in den Bundestag führen: Christian Lindner.

Will seine Partei zuerst in den Landtag und dann in den Bundestag führen: Christian Lindner.

Foto: dpa

Herr Lindner, wie gefällt Ihnen die Vorstellung, in NRW stellvertretender Ministerpräsident in einer Regierung Kraft zu werden?

Christian Lindner: Mein Ziel ist, die FDP im Mai in NRW stark zu machen. Mit diesem Rückenwind will ich sie danach in den Bundestag führen. Ich selbst möchte dort arbeiten. Mein Wort gilt, davon kann mich kein Ministeramt ablenken.

Aber Sie treten als Spitzenkandidat der NRW-FDP bei der Landtagswahl an.

Lindner: Jawohl. Während der wichtigen Phase der Regierungsbildung in NRW brauche ich ein Landtagsmandat, das ich voll ausfüllen werde.

Norbert Röttgen ist auf die Nase gefallen, weil er sich als Spitzenkandidat nicht klar dafür ausgesprochen hat, in NRW zu bleiben.

Lindner: Er hat gesagt, nach der Wahl entscheide ich, wo ich das schönere Amt bekomme. Bei mir gibt es Klarheit vor der Wahl.

Trotzdem: Der Wähler könnte sagen, Lindner ist ja eigentlich schon weg.

Lindner: Wer ein Comeback der Freien Demokraten wünscht, der wird es genau anders sehen. Eine Stimme bei der Landtagswahl für uns zählt doppelt, weil man schon ein Signal nach Berlin senden kann.

Bleiben Sie in NRW, wenn es die FDP wieder nicht in den Bundestag schafft?

Lindner: Ich denke nicht eine Sekunde über ein Scheitern nach.

Könnte es denn ein SPD/FDP-Bündnis in Düsseldorf ohne Sie geben?

Lindner: Es gäbe eine solche Mehrheit jetzt schon, seit 2012. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Frau Kraft von den Grünen zu Wirtschaftsbremsen wie dem Landesentwicklungsplan, zu Bürokratismus wie dem Tariftreuegesetz, zum Planungsstopp von Straßen oder zur Vernachlässigung der Gymnasien gezwungen werden musste. Ob sie nach dem 14. Mai eine ganz andere Politikerin sein wird? Ich habe meine Zweifel.

Heißt das: Sie erweitern die Absage an die Ampel-Koalition zu einer Absage an ein sozialliberales Bündnis?

Lindner: Die Ampel ist ausgeschlossen. Da würden wir in ein Regierungsboot einsteigen, das schon sieben Jahre auf See ist. Da kann man keine neue Politik erreichen. Wenn die Karten neu gemischt werden, sind wir zu Gesprächen bereit. Aber wenn wir unsere Handschrift in einer Regierung nicht zeigen können, gehen wir lieber in die Opposition. Im Bundestag sieht man, was passiert, wenn es keine Opposition aus der Mitte gibt.

Wer wird denn die Nummer eins der FDP nach Lindner?

Lindner: Auf unserer Liste sind starke Persönlichkeiten, beispielsweise unsere Nummer zwei, Joachim Stamp aus Bonn, der in der Flüchtlingspolitik kritisch gegenüber Frau Merkel und der AfD zugleich Profil gewonnen hat.

Wer Lindner wählt, bekommt Stamp?

Lindner: Wer FDP wählt, bekommt FDP. Es geht doch nicht um Personen, sondern um unser Land.

Sie haben in den vergangenen fünf Jahren viel Kritik an der rot-grünen Regierung geübt. Was müsste sich ändern, damit SPD und FDP Partner werden könnten?

Lindner: Wir werden vor der Wahl klarstellen, anhand welcher Projekte wir Koalitionsoptionen bewerten. Aber klar ist: Wir wollen die Menschen in unserem Land einfach mal wieder machen lassen. NRW muss von Bürokratie entfesselt werden, die Qualität der Bildung von der Kita bis zur Hochschule muss gestärkt und die Infrastruktur muss modernisiert werden. Straße und Glasfaser. Nordrhein-Westfalen darf einfach keine Zeit mehr verlieren.

Schulpolitik?

Lindner: Schluss mit der Vernachlässigung von Gymnasium und beruflicher Bildung. Und ein Neustart für die Inklusion. Man darf die Förderschulen nicht einfach alle schließen lassen. Der Blick auf die Schulpolitik ist wie in einen Altglascontainer, ein einziger grüner Scherbenhaufen. Deshalb darf Frau Löhrmann keine Verantwortung mehr für die Schulen bekommen. Die CDU steht ja trotzdem noch zu deren Schulkonsens. Deshalb glaube ich, die Union wäre für die SPD billiger zu haben als die FDP.

In einem rot-rot-grünen Bündnis könnten die Grünen weiterhin die Schulministerin stellen.

Lindner: Ich fordere Frau Kraft auf, eine solche Koalition vor der Wahl definitiv auszuschließen. AfD und Linke wollen keine andere Regierung, sondern eine andere Republik.

Bleiben wir bei der Schulpolitik: Sie waren bis zum vorigen Jahr für das achtjährige Gymnasium. Warum wollen auch Sie jetzt G9 ermöglichen?

Lindner: Ich halte G8 für das beste Modell, wenn die Bedingungen stimmen. Der Unterrichtsausfall muss bekämpft werden, die Lehrpläne entschlackt. Wenn ein Gymnasium dennoch zu G9 zurück will, vielleicht auch nur mit zwei von vier Klassenzügen, dann soll das möglich sein. Die FDP ist die Partei der Wahlfreiheit. Ich will aber nicht, wie SPD und Grüne, dass jede Schule das anbieten muss.

Wollen Sie das nicht? Sie haben doch gerade gesagt, dass Sie den Gymnasien ermöglichen wollen, in zwei von vier Klassen G9 anzubieten.

Lindner: Nur die Schulen, die das wollen, sollen zu G9 ganz oder teilweise wechseln dürfen. SPD und Grüne wollen, dass jede Schule den Bildungsgang umstellen muss. Also auch diejenigen, wo G8 schon funktioniert. Die würden wir gerne in Ruhe lassen.

Die SPD proklamiert das Jahrzehnt der Baustellen und kündigt an, dass der Verkehr noch schwieriger vorankommen wird. Schuld sei auch die FDP, weil in Ihrer Regierungszeit 2005 bis 2010 nach dem Motto Privat vor Staat Planerstellen abgebaut worden seien.

Lindner: Ablenkungsmanöver. Die Grünen haben den Ausbau unserer Infrastruktur aktiv gestoppt. Auf deren Druck wurden 2011 mehr als 100 Maßnahmen aus dem vordringlichen Bedarf der Verkehrsplanung des Bundes abgemeldet. Eine Katastrophe, weil jetzt das Geld des Bundes da wäre. Planungen könnten übrigens mindestens so effektiv von privaten Planungsbüros übernommen werden.

Rot-Grün sagt, private Planungsbüros habe man nicht beauftragen können, es handle sich um hoheitliche Aufgaben, so etwas müsse der Staat machen.

Lindner: Schutzbehauptung.

Und was ist nun mit dem Abbau der Planerstellen in Ihrer Zeit?

Lindner: Die Frage darf Ihnen der damalige CDU-Verkehrsminister beantworten. Fakt ist aber, dass nie mehr Bundesfernstraßen gebaut und geplant wurden als zu unserer Regierungszeit bis 2010 – und dass in jedem Jahr seit 2010 neue Stellen in der grünen Umweltbürokratie aufgebaut wurden. Nach sieben Jahren immer noch auf Vorgängerregierungen zu verweisen, ist ein Armutszeugnis.

Will die FDP denn mehr Straßen bauen?

Lindner: Absolut. Wir brauchen mehr Geld im Landesstraßenbau. Und wir brauchen intelligente Telematiksysteme, um den Verkehr besser fließen zu lassen. NRW sollte Modellstandort für autonomes Fahren werden.

Wie finden Sie es, dass Ihr ehemaliger Weggefährte Gerhard Papke kurz vor dem Bundestagswahlkampf seine Erinnerungen mit kritischen Passagen über Sie veröffentlichen will?

Lindner: Die Öffentlichkeit kann solche Literatur einordnen. Ich wünsche Gerhard Papke persönlich alles Gute.

Die Steuern sprudeln, der Staat macht Gewinne. Früher war der Reflex der FDP, Steuersenkungen zu fordern. Ist das jetzt wieder ein Thema für die FDP?

Lindner: Ja. Der Staat ist maßlos geworden. Eine normale Familie schafft es nicht mehr, das Eigenkapital zusammenzusparen, das sie braucht, um eine Wohnung zu kaufen. Mit dem Überschuss im Bundeshaushalt könnte man den Solidaritätszuschlag für alle Einkommen unter 50.000 Euro sofort entfallen lassen. Als Einstieg in die komplette Abschaffung. Wir wollen darüber hinaus 500.000 Euro Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für eine selbstgenutzte Immobilie. Heißt: Erst ab 500.000 Euro fällt überhaupt die Grunderwerbsteuer an.

Die schwarze Null, große Investitionen in die Infrastruktur und Steuersenkungen. Geht das zusammen?

Lindner: Ja, mit einer gelben Null. Die ergibt sich aus einem schlanken Staat und daraus, dass der Fantasie von Frau Nahles und Frau Schwesig eine Grenze gesetzt wird – also nicht immer neue Lücken im Wohlfahrtsstaat suchen, die man mit dem Geld der Steuer- und Beitragszahler schließen will. Nach der Prognose von Herrn Schäuble gibt es 100 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen bis 2019. 30 Milliarden jährlich für Entlastung sind möglich. Von den Investitionen würde ich die Länder stärker profitieren lassen. Insbesondere im Bildungsbereich. Gegenwärtig darf Herr Schäuble wegen des Kooperationsverbots von Bund und Ländern in Burundi und Botswana Schulen sanieren, in Bonn und Bottrop aber nicht.

Wie betrachten Sie die Schulz-SPD? Ist sie im Bund auf Dauer ein möglicher Koalitionspartner oder verorten Sie die Partei eher im linken Spektrum, nur ausgerichtet auf große Koalitionen oder ein Linksbündnis?

Lindner: Martin Schulz steht François Hollande näher als Gerhard Schröder. Dort liegt die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Trümmern. Der Kandidat Macron empfiehlt Frankreich zu investieren, zu liberalisieren und zu entbürokratisieren, also deutscher zu werden. Herr Schulz will Deutschland französischer machen. Wir kennen sein Wahlprogramm noch nicht, aber eine Verheißung für Liberale scheint es nicht zu werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort