Kommentar zum Wahlkampf Merkel/Schulz Im Schlafwagen

Meinung · Wenn Merkel mit einem Risiko spielt, dann damit, dass sie den richtigen Zeitpunkt für ihren Abgang verpassen könnte. Sie verströmt den Eindruck, als könne auch sie von der Macht nicht lassen, kommentiert GA-Redakteur Holger Möhle.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Foto: dpa

Deutschland döst im Schlafwagen durch diesen Wahlkampf. Bundeskanzlerin Angela Merkel tut alles, um eine pointierte Auseinandersetzung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Der offene Schlagabtausch ist ihre Sache nicht. Zu viel Risiko, zu groß die Gefahr, dass der Gegner einen nicht vorhersehbaren Treffer landet. Herausforderer Martin Schulz wiederum hat bislang nicht jene zwei oder drei Themen gefunden, mit denen er der Kanzlerin tatsächlich gefährlich werden kann. Merkel lieferte bei ihrer Sommer-Pressekonferenz einen Vorgeschmack, wie sie das Fernsehduell mit dem SPD-Kanzlerkandidaten gestalten will. Sie wird ihre Rolle als Staatsfrau betonen, Niederungen des Parteiengezänks passen dazu nicht.

Im Boxen wird ein Unentschieden für den Titelverteidiger gewertet, weil der Herausforderer es eben nicht geschafft hat, ihm die Krone zu entreißen. Dasselbe gilt auch für Schulz am Sonntag. Nur eine gute Figur abzugeben, wird für den SPD-Vorsitzenden nicht genügen, um den Rückstand auf Merkel zu verkleinern. Schulz muss, wenn er eine Chance auf das Kanzleramt wahren will, wenigstens mehrere Wirkungstreffer setzen. Schwierig genug, denn Merkel hat zurückliegend mehrfach bewiesen, wie schnell sie zu einer Kehrtwende bei Themen in der Lage ist, von denen sie annehmen muss, dass diese für sie gefährlich werden könnten.

Zügige Ankündigung eines Atomausstiegs nach dem GAU in Fukushima, Rückrudern in der Flüchtlingskrise, auch wenn sie dem ewig quertreibenden CSU-Chef Horst Seehofer die Obergrenze bis heute nicht spendiert hat. Bei der Ehe für alle, die die Unionsparteien über Jahre blockiert haben, schwenkte Merkel gleichfalls geschmeidig ein und nahm damit der SPD den Wind aus den Segeln.Und auch die Diesel-Krise taugt offenbar nicht zum nationalen Aufreger, solange keine Fahrverbote in deutschen Innenstädten drohen. Genau ein solches Szenario will Merkel am kommenden Montag im Gespräch mit Kommunen, die solche Verbote planen, noch vor der Wahl publikumswirksam abräumen.

Schulz versucht mit Bildung, Verteidigung (Ablehnung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato) und bei der Rente zu punkten. Die über 60-Jährigen wachsen längst zur einflussreichen Wählergruppe. Gerade beim TV-Duell mit Merkel werden viele ältere Zuschauer zusehen. Doch auch wenn 40 Prozent der Wähler angeben, noch unentschlossen zu sein, ist ein echter Verdruss über Merkel nicht zu erkennen. Gerechtigkeit bleibt ein echtes, ein notwendiges Thema. Wenn es einer Mehrheit gutgeht, kann dies schon als gerecht empfunden werden. Merkel löst in diesem Land keine Begeisterungsstürme aus. Marktplätze kann Schulz besser. Doch die CDU-Chefin regiert solide und Schulz muss aufzeigen, warum ein Wechsel zwingend wäre.

Wenn Merkel mit einem Risiko spielt, dann damit, dass sie den richtigen Zeitpunkt für ihren Abgang verpassen könnte. Sie verströmt den Eindruck, als könne auch sie von der Macht nicht lassen. Es ist auch zu verlockend, eine der mächtigsten Volkswirtschaften der Erde zu regieren. Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt: Rennen können auf der Zielgeraden noch verloren werden. Schulz hat eine dünne Chance. Nur daraus bezieht das Fernsehduell seine Spannung.

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