In Ankara Innenminister Horst Seehofer zu Besuch in der Türkei

Istanbul · Bundesinnenminister Seehofer spricht bei seiner Kurzvisite in Ankara über Flüchtlinge. Die Erdogan-Regierung mahnt Unterstützung bei der geplanten "Sicherheitszone" an.

 Horst Seehofer

Horst Seehofer

Foto: dpa/Jörg Carstensen

"Gemeinsam", "zusammen", "miteinander:" Während seiner nicht einmal 24 Stunden in Ankara betonte Horst Seehofer immer wieder das Verbindende zwischen der Türkei und Europa. Er habe "die feste Absicht, die Zusammenarbeit zu stärken", sagte der deutsche Innenminister am Freitag vor seiner Weiterreise nach Athen.

Hinter der Gesprächsbereitschaft steht die Furcht der Deutschen und der anderen Europäer vor einer neuen Flüchtlingskrise. Seehofer versprach der Türkei mehr Unterstützung. Doch die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan will mehr als Geld und Küstenwach-schiffe.

Seehofers Kurzvisite war sein erster Abstecher in die Türkei überhaupt und der erste Besuch eines deutschen Bundesministers in Ankara in diesem Jahr. Dass dieser Besuch erst Anfang Oktober zustande kam, spricht Bände über die Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis. Die Inhaftierung von Bundesbürgern in der Türkei, der Demokratieabbau in Ankara und türkische Klagen über die Weigerung Deutschlands, türkische Regierungsgegner auszuliefern, sind chronische Streitherde.

Doch darüber wollte Seehofer diesmal nicht sprechen. Sein "primäres Interesse" gelte dem Flüchtlingsabkommen zwischen Türkei und EU, sagte der Minister, der mit EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in Ankara und Athen war. Die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge steigt derzeit deutlich an. Auch könnten Kämpfe in der syrischen Provinz Idlib nach türkischen Regierungsangaben fast vier Millionen neue Flüchtlinge in die Türkei treiben, die bereits 3,6 Millionen Syrer aufgenommen hat.

Erdogan hatte die Europäische Union kürzlich mit der Bemerkung geschockt, sein Land könnte dann die "Tore öffnen". Auch bei Seehofer zeigte die Warnung Wirkung. Eine "Politik des Durchwinkens" müsse verhindert werden, sagte der Minister. Manche EU-Politiker werfen der Türkei einen Erpressungsversuch vor: Mit zwei Tranchen von jeweils drei Milliarden Euro hat die EU seit 2016 die Aufnahme von mehreren Millionen Syrern in der Türkei unterstützt. Nun ist das Geld fast aufgebraucht und eine dritte Tranche im Gespräch.

Auch in Athen betonte Seehofer die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns. Griechenland beklagt, dass sich einige EU-Staaten schlicht weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. Der deutsche Minister sagte ebenfalls: "Wenn wir als Europäische Union nicht die Kraft haben, dieses große Thema, das uns noch lange beschäftigen wird, solidarisch und gemeinsam zu lösen, dann soll sich niemand einbilden, dass das Thema weit weg ist" - denn dann drohe eine Krise wie im Jahr 2015, als rund eine Million Syrer in die EU kamen.

Griechenland misstraut auch dem Nachbarn Türkei. Kurz vor der Ankunft des deutschen Ministers in Athen schimpfte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, die Türkei könne die Überfahrt von Flüchtlingen auf griechische Inseln sehr wohl verhindern, wolle aber offenbar nicht. Es gehe nicht an, dass Ankara den Eindruck vermittele, das Thema missbrauchen zu wollen. Dagegen betont die Türkei, seit Jahresbeginn habe die Küstenwache fast 40 000 Flüchtlinge an der Überfahrt nach Griechenland gehindert.

Seehofer zeigte Verständnis für die türkische Forderung nach mehr Geld. "Man kann nicht mit den Mitteln der Vergangenheit die Zukunft bewältigen", zitierte er seinen türkischen Amtskollegen Süleyman Soylu. Darüber müsse in der EU gesprochen werden. Deutschland werde der Türkei zudem möglicherweise "mit dem ein oder anderen Boot zur Küstenüberwachung helfen". Soylu will seinem deutschen Kollegen einen Wunschzettel zukommen lassen.

Noch wichtiger als Geld und Küstenwachschiffe ist für die Türkei derzeit aber ein anderer Aspekt. Erdogan will seine Armee in den Nordosten Syriens schicken, um dort eine "Sicherheitszone" zur Ansiedlung von bis zu drei Millionen Syrern aus der Türkei zu schaffen. Mit der Zone will Ankara gleichzeitig die Macht der Kurdenmiliz YPG östlich des Euphrats brechen. Die Kurden und die USA als Schutzmacht der YPG wollen die Türkei von dem Vorhaben abbringen.

Deshalb fordert Erdogans Regierung jetzt die Unterstützung der EU ein - und zwar nicht nur einen großen Beitrag zu den gigantischen Kosten von 23,5 Milliarden Euro für den Bau von 140 neuen Dörfern für die Rückkehrer, sondern auch politische Schützenhilfe gegenüber den USA.

Erdogans Plan für die Zone war einer der wenigen Punkte, an denen Seehofer klare Differenzen mit seinen Gastgebern konstatierte. "Ich habe deutlich gesagt, dass es viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, die da ihre Probleme haben", sagte er. Auch bei der türkischen Forderung nach Visafreiheit bewegte sich Seehofer nicht. Trotz aller Beschwörungen von Gemeinsamkeiten bleibt das deutsch-türkische Verhältnis schwierig.

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