„Wir wollen moderne Heimatpartei werden“ Interview mit dem NRW-SPD-Chef Michael Groschek

Bonn · Vier wichtige Wahlen hat die SPD in diesem Jahr verloren. Beim Neuaufbau der Partei kommt Michael Groschek, dem Vorsitzenden des Landesverbands NRW, dem bundesweit größten, eine Schlüsselrolle zu.

 Der Landesvorsitzende der SPD, Michael Groschek.

Der Landesvorsitzende der SPD, Michael Groschek.

Foto: dpa

Wie lange geben Sie Martin Schulz noch als SPD-Parteichef?

Groschek: Wer mit 100 Prozent auf einem Parteitag zum Vorsitzenden gewählt wurde, der hat ein langes politisches Leben.

Ist Martin Schulz noch der Richtige für den Neuanfang? Bisher sieht er die Gründe für die Wahlniederlage ja vor allem bei der Kanzlerin...

Groschek: Ein „Weiter so“ mit unserem bisherigen Politikangebot wäre ein ignoranter Gang der Lemminge. Wir hätten uns viel früher und gründlicher selbst an die Nase packen müssen, auch schon nach der Wahl 2005, die Gerhard Schröder gegen Angela Merkel verloren hat.

Hat Martin Schulz denn zumindest noch den Rückhalt der NRW-SPD?

Groschek: Davon können Sie ausgehen. Martin Schulz kann sich natürlich auf seinen Landesverband verlassen.

Ist es richtig, dass Hannelore Kraft Martin Schulz daran hinderte, sich stärker im NRW-Wahlkampf zu engagieren?

Groschek: Hannelore Kraft hat Wert darauf gelegt, dass der NRW-Wahlkampf nicht mit Diskussionen um Bundesthemen wie Rente und Steuern belastet wurde, damit die Landespolitik im Mittelpunkt steht.

Warum erreicht die SPD ihre Wähler nicht mehr – und das ausgerechnet in ihren früheren Hochburgen im Ruhrgebiet?

Groschek: Es gibt offensichtlich eine Glaubwürdigkeitslücke. Wer, wenn nicht die SPD, ist der Garant für soziale Gerechtigkeit. Wir sind die Partei, die den Aufstieg für alle ermöglicht. Wären wir glaubwürdig auf diesem Gebiet, hätten uns mehr Menschen ihre Zustimmung gegeben. Dieses Vertrauen wollen wir uns wieder erarbeiten.

Muss die SPD also mehr nach links oder mehr nach rechts rücken, um die Wähler wieder zu erreichen?

Groschek: Sie muss vor allem dem Alltag der Menschen wieder näherkommen. Offenbar haben wir den Bezug zu vielen Alltagsproblemen verloren. 20 Prozent – das ist ein historisches Warnsignal. Denn wir befinden uns in einer Situation, in der nicht entschieden ist, ob der Aufzug nach oben oder weiter nach unten geht. Die SPD muss sich im Bund so aufstellen, dass 30 Prozent wieder realistisch werden.

Mit welchen Themen will die SPD die Menschen zurückgewinnen?

Groschek: Links und Rechts sind Kategorien der Alt-68er, die höchstens noch am Rande des Politikbetriebs eine Rolle spielen. Wir leben in einer Epoche der Digitalisierung und Globalisierung. Die Menschen sind verunsichert ob dieser radikalen Umbrüche und vermissen eine gestalterische Kraft, wie sie die SPD vor 150 Jahren war, als es darum ging, den Industriekapitalismus zu bändigen und den Sozialstaat einzuführen. Jetzt stehen wir wieder vor einer ähnlichen historischen Herausforderung: Darum brauchen wir ein europäisches und globales Abkommen mit verbindlichen Sozialstandards, um diese Verunsicherung zu stoppen – vergleichbar mit dem Weltklimaabkommen.

Was bedeutet das für die SPD in NRW?

Groschek: Wir wollen eine moderne Heimatpartei werden.

Heimatpartei? Das klingt stärker nach CDU als nach SPD…

Groschek: Vielleicht noch stärker nach CSU. Ernsthaft: Heimat ist ein Stück weit aus der Mode gekommen. Dabei hat der Begriff nichts mit Heidi oder dem Förster vom Silberwald zu tun. Es geht um soziale Sicherheit und Geborgenheit. Die junge Generation geht mit Heimat ganz unbefangen um. Schauen Sie sich nur die Oktoberfest-Welle im Ruhrgebiet an. Das drückt Sehnsucht aus nach einem Ort des Wohlfühlens, an dem man sich gut aufgehoben und zu Hause fühlt.

Sie haben sich über die Nominierung von Andrea Nahles zur Fraktionschefin geärgert…

Groschek: Ich habe mich nicht über die Person, sondern über das Verfahren geärgert. Denn es wäre klüger gewesen, dass sich die Bundestagsfraktion erst konstituiert und Andrea Nahles eine Woche später mit einem noch besseren Ergebnis gewählt worden wäre.

Können Sie sich Nahles 2021 als SPD-Kanzlerkandidatin vorstellen?

Groschek: Diese Frage stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Prinzipiell muss jede und jeder in einem solchen Spitzenamt in der Lage und bereit sein, die Kanzlerin oder den Kanzler herauszufordern.

Und Sie selbst? Wo sehen Sie als ehemaliges Kabinettsmitglied und SPD-Vertreter der alten Garde Ihre Rolle bei der Erneuerung der SPD?

Groschek: Ich sehe mich als Brücke der Erneuerung und des Übergangs.

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