„Weniger Gift, mehr Arbeitsschutz“ Interview mit Entwicklungsminister Gerd Müller

Berlin · Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) spricht im Interview über das neue Öko-Sozial-Textilsiegel "Grüner Knopf". Mit ihm unterhielt sich GA-Redakteur Hannes Koch.

 In einer Textilfabrik im bangladeschischen Savar sitzen Näherinnen und Näher bei der Arbeit.

In einer Textilfabrik im bangladeschischen Savar sitzen Näherinnen und Näher bei der Arbeit.

Foto: Nick Kaiser

Zum Start des staatlichen Öko-Sozial-Textilsiegels Grüner Knopf sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU): „Menschenrechte dürfen kein Wettbewerbsnachteil sein.“ Mit Müller sprach Hannes Koch.

Bald hängt der Grüne Knopf an manchen Kleidungsstücken in den Geschäften. Welche Textilfirmen nehmen teil?

Gerd Müller: 50 Unternehmen wollen mitmachen. Die unabhängigen Prüfstellen sind sehr aktiv, damit möglichst viele bereits zur Einführung am 9. September geprüft sind. Die gute Nachricht lautet also: Der Grüne Knopf kommt – als staatliches Siegel, eingetragen beim Deutschen Patent- und Markenamt, mit festgelegten, anspruchsvollen ökologischen und sozialen Standards. Das bedeutet weniger giftige Abwässer und gesundheitsschädliche Chemie, mehr Arbeitsschutz in den Zulieferfabriken. Ein Unglück wie der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013 mit tausend Toten darf nie mehr passieren. Das ist meine Motivation.

Die Händler können für einzelne Produkte den Grünen Knopf bekommen, wenn sie bereits etablierte Zertifikate wie Fair Trade oder GOTS verwenden. Worin besteht der Mehrwert für die Verbraucher?

Müller: Für die Produkte wie T-Shirts oder Bettwäsche bauen wir auf anerkannte Standards auf. Dies verbinden wir mit einer unabhängigen Zertifizierung des jeweiligen Unternehmens. Dabei müssen die Firmen etwa nachweisen, dass sie über Beschwerdemechanismen verfügen, damit die Näherinnen vor Ort Gehör finden. Die Unternehmen legen zudem offen, mit welchen Lieferanten sie zusammenarbeiten. Das ist das Besondere am Grünen Knopf: Das gesamte Unternehmen wird überprüft. Einzelne Vorzeige-Produkte reichen nicht aus. Wir können den Verbrauchern also guten Gewissens sagen: Kleidung mit dem Grünen Knopf erfüllt höchste Ansprüche.

Werden die Produkte dann teurer?

Müller: Eine Näherin in Äthiopien verdient gerade einmal 18 Cent pro Stunde. Das reicht kaum zum Leben. Selbst eine Verdoppelung bis Verdreifachung ihres Lohns muss nicht unbedingt zu höheren Preisen führen.

Lohnt sich der Aufwand angesichts der Tatsache, dass nur 50 Firmen mitmachen wollen – eine kleine Nische im gesamten Textilmarkt?

Müller: Zahlreiche Unternehmen haben sich bei uns gemeldet und wollen einsteigen. In unserem Textilbündnis, das ebenfalls an vielen konkreten Verbesserungen in der Textillieferkette arbeitet, sind inzwischen etwa 50 Prozent des deutschen Marktes vertreten. Das betrachte ich als großen Erfolg. Allerdings sollte auch die andere Hälfte mitmachen. Außerdem wünsche ich mir, dass bestimmte Wirtschaftsverbände den Nachhaltigkeitspionieren nicht ständig Steine in den Weg legen. Die Einhaltung von Menschrechten darf kein Wettbewerbsnachteil sein.

Der Grüne Knopf führt nicht dazu, dass sich die Bedingungen in den Zulieferfabriken verbessern.

Müller: Das sehe ich anders. Manche Unternehmen erfüllen die Anforderungen bereits. Andere müssen noch Hausaufgaben erledigen, bevor sie das Siegel erhalten. Die strengen sich an. Deswegen ist es gut für die Näherinnen, wenn es den Grünen Knopf gibt. Das entspricht im Übrigen dem Wunsch der Verbraucher. Für drei Viertel ist faire Kleidung wichtig. Doch bisher fehlt ihnen eine klare Orientierung. Mit dem Grünen Knopf ändert sich das. Deshalb hat der Grüne Knopf auch eine Signalfunktion: Raus aus der Nische, rein in die Normalität.

Ein Kriterium besagt, dass die Textilbeschäftigten in Asien und Afrika nur die niedrigen, staatlich festgesetzten Mindestlöhne erhalten sollen. Warum fordern sie nicht gleich existenzsichernde Gehälter?

Müller: In Bangladesch und anderen Staaten wurden die Mindestlöhne bereits angehoben. Trotzdem liegen sie noch zu tief. Deswegen steht in der Satzung des Grünen Knopfes: Perspektivisch sind existenzsichernde Löhne zu zahlen.

Einen Zeitplan gibt es aber nicht.

Müller: Doch. In zwei Jahren werden wir die Kriterien weiterentwickeln und die Anforderungen erhöhen. Ein unabhängiger Beirat wird uns beraten – auch wie wir existenzsichernde Löhne erreichen können.

Seit sechs Jahren versuchen Sie nun, die Konzerne zu überzeugen, dass sie freiwillig die Produktionsbedingungen verbessern. Wäre es nicht einfacher, ein Gesetz zu machen, das verbindliche Regeln für alle festschreibt?

Müller: Damit wären wir heute auch nicht weiter. Wir haben in der Bundesregierung einen Fahrplan vereinbart: Jetzt läuft eine Umfrage unter Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, ob sie ihrer Verantwortung in der Lieferkette nachkommen. Tun sie dies nicht, dann kommt ein Gesetz – da ist der Koalitionsvertrag eindeutig. Mit der Textillieferkette setzen wir jetzt einen hohen Standard und zeigen, dass es geht. Das kann niemand mehr in Frage stellen. Andere Lieferketten müssen folgen.

Sie sind gerade erst wieder nach Afrika gereist. Viele Menschen von dort ertrinken bei der Flucht im Mittelmeer. Hielten Sie es für richtig, wenn Migranten bereits aus ihren Heimatländern heraus Asyl in Deutschland beantragen könnten, damit sie nicht in die lebensgefährlichen Boote steigen müssen?

Müller: Wir können nicht jede Woche aufs Neue diesen menschlichen Tragödien zuschauen. Wir brauchen eine wirksame Seenotrettung. Und wir müssen noch mehr an den Ursachen ansetzen. Wenn Europa die vom Klimawandel betroffenen Regionen Afrikas nicht viel stärker unterstützt, werden dort in den nächsten Jahren hundert Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. Dann nimmt auch der Migrationsdruck gewaltig zu. Daher müssen wir in Afrika noch stärker in Waldschutz, erneuerbare Energie, Landwirtschaft und Bildung investieren. Die Klimadebatte wird viel zu einseitig, national geführt. Es ist entscheidend für das Weltklima, was in Afrika und den Entwicklungsländern passiert. Wer nur über Gebäudesanierung und Abgaswerte in Deutschland diskutiert, hat die Welt nicht verstanden.

Muss man die legale Migration erleichtern, um den Einwanderungsdruck zu vermindern?

Müller: Wir brauchen vor allem eine Neukonzeption der europäischen Afrikapolitik. Das muss die EU-Kommission zur Chefsache machen. Ich baue da auf Ursula von der Leyen. Dazu gehört ein Klima- und Investitionspaket für Waldschutz-Initiativen und zur Markteinführung erneuerbarer Energien. Und wir brauchen einen EU-Kommissar für Afrika, der die Aufgaben bündelt. Über Abkommen für legale Zuwanderung sollten wir auch diskutieren – um Schleppern die Möglichkeiten zu nehmen, Menschen ins Verderben zu führen.

Könnten Einwanderungsquoten für afrikanische Staaten helfen?

Müller: Man muss sich jedes afrikanische Land einzeln anschauen. In Nordafrika investieren bereits viele deutsche Unternehmen – in Tunesien, Marokko oder Ägypten. Hier geht es darum, diese Staaten perspektivisch in den europäischen Wirtschaftsraum einzubinden. Damit schaffen wir dringend benötigte Ausbildungs- und Beschäftigungsangebote für die jungen Menschen – das sind Win-Win-Effekte für beide Seiten. Der Austausch von Ausbildungs- und Fachkräften gehört auch dazu.

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