Interview mit Grünen-Chef Robert Habeck „Die Union ist biegsam“

Interview | Berlin · Die Grünen-Parteizentrale ist derzeit eine Baustelle. Umbau für den bevorstehenden Wahlkampf. Vermutlich auch mit einer Grünen-Kanzlerkandidatur. Ein Interview mit dem Co-Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck.

 Bei der Besichtigung des Energiebunkers: Robert Habeck in Hamburg-Wilhelmsburg.

Bei der Besichtigung des Energiebunkers: Robert Habeck in Hamburg-Wilhelmsburg.

Foto: dpa/Christian Charisius

Was ist Ihre bisher größte Lehre aus der Bekämpfung der Corona-Pandemie?

Robert Habeck: Es gibt drei Lehren. Erstens: Unsere Politik muss vorausschauender werden. Trotz Warnungen der WHO und Experten in Deutschland vor potenziellen Infektionskrankheiten sind wir von dieser Pandemie überrascht worden. Wir müssen unser Gesundheitssystem grundsätzlich besser auf Virenausbrüche vorbereiten und die Produktionskapazitäten für Schutzkleidung, Schutzmasken oder Beatmungsgeräte, aber auch medizinische Grundsubstanzen in Europa vorhalten. Zweitens: Eine Gesellschaft, die sich über Weg und Ziel einig ist, kann sich sehr viel schneller verändern, als sie das vorher für möglich gehalten hat. Und drittens: Wenn wir die Klimakrise eskalieren lassen und sie schließlich so bekämpfen wie anfangs Corona, also in dem Fall dann Wasser und Strom rationieren, Städte gegen Verkehr abriegeln oder Ausgangssperren verhängen, dann haben wir wirklich alles falsch gemacht. Corona hat uns gezeigt, dass wir rechtzeitig vorsorgen müssen.

Ist es konsequent, wenn Menschen in Deutschland zu Abstand angehalten werden, Fluggesellschaften aber voll besetzte Flieger nach Mallorca bringen und sich deutsche Touristen dann dort danebenbenehmen?

Habeck: Bei allem Verständnis, mal über die Stränge zu schlagen, sind die Bilder von der Partymeile am Ballermann verstörend. Man darf unterstellen, dass es Leute gibt, die dorthin reisen, um Grenzen zu überschreiten. Und die kommen ja auch wieder nach Deutschland zurück, treffen hier Familie und Freunde. Insofern ist die Reaktion der balearischen Behörden nur konsequent.

Was ist los im Grün-regierten Stuttgart und im Grün-regierten Baden-Württemberg, wo eine junge Partyszene eine Innenstadt verwüstet und ihre Gewalt gegen Polizisten ungehemmt auslebt?

Habeck: Krawalle, wie die in Stuttgart, sind in keiner Weise akzeptabel. Die Täter müssen ermittelt und bestraft werden.

Das hat der Stuttgarter OB harmlos formuliert. Sieht das nach Durchgreifen aus? Was sagen die Gewaltexzesse einer Partyszene für Sie über eine junge Generation aus?

Habeck: Die Auswüchse in Stuttgart waren extrem, keine Frage, die Gewalttäter stehen aber natürlich nicht stellvertretend für eine ganze Generation. In jeder Generation gibt es immer auch Menschen, die Regeln missachten oder gar gewalttätig sind, dagegen muss klar und eindeutig vorgegangen werden. Insgesamt aber hat sich die junge Generation während des Corona-Lockdowns sehr verantwortungsbewusst gezeigt.

Die EU-Staats- und Regierungschefs ringen bei ihrem Gipfel um Zuschüsse und Kredite für Mitgliedsstaaten in Corona-Not. Was sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel den „Sparsamen Vier“ – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden – anbieten, damit diese einer Einigung zustimmen?

Habeck: Deren vermeintliche Sparsamkeit kann Europa teuer zu stehen kommen. Ich erwarte auch von Herrn Kurz in Österreich oder von Herrn Rutte in den Niederlanden ein größeres historisches Bewusstsein und eine staatspolitische Haltung. Es geht hier nicht um einen Deal nach dem Motto: Ich mach‘ da nur mit, wenn ich etwas kriege. Die Lage ist so ernst, dass erst der Euro-Raum und dann Europa auseinanderfliegt, wenn jetzt nicht gemeinschaftlich gehandelt wird. Alle Mitgliedstaaten sollten sich dessen bewusst sein. Es ist vor allem im Interesse der exportorientierten Länder, dass der Euro-Raum und die Währung stabil sind. Deshalb müssen die Stärkeren bereit sein, gemeinsame Haftung für coronabedingte Schulden mitzutragen. Es ist in ihrem eigenen Interesse, in unserem Interesse. Der jahrelange Widerstand der Kanzlerin ist genau dieser Einsicht gewichen. Jetzt muss sie die konservativen Regierungen und ihre Partei davon überzeigen, dass das richtig ist. Uns hat sie dabei an ihrer Seite.

Sie haben gerade eine alte Grünen-Forderung recycelt: Tempolimit 130 auf Autobahnen. Sind die Vorkoalitionsverhandlungen mit der Autopartei CSU schon eröffnet?

Habeck: Ein solches Tempolimit ist einfach umzusetzen, weil es wenig kostet und schnell zu beschließen wäre. Es kann also gut eine der ersten Maßnahmen einer Bundesregierung unter grüner Beteiligung sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber natürlich geht die Aufgabe einer nächsten Regierung deutlich über solche Einzelmaßnahmen hinaus. Sie muss die Wirtschafts- und Konsumweise so verändern, dass wir nicht nachträglich immer die Schäden reparieren müssen, sondern dass diese gar nicht erst entstehen. Geschlossene Stoffkreisläufe, Besteuerung klimaschädlichen Verhaltens, neue Formen der Mobilität, ein anderes Verständnis von Wohlstand, dass nicht gleich eins zu eins dem BIP-Wachstum ist, das Dumpingsystem beim Fleisch beenden und den Verkauf von Lebensmitteln unter dem Erzeugerpreis unterbinden, massiver Ausbau und Einsatz der Erneuerbaren – das alles sind Bestandteile eines Systemwechsels. Diese Veränderungen werden anstrengend, aber sie werden neue Sicherheit und neuen Halt schaffen. Daran wird sich eine nächste Regierung messen lassen müssen.

Und die Union macht da mit?

Habeck: Die Union ist biegsam. Gemeinsame europäische Anleihen, Ausgaben des Staates fürs Binnenkonjunkturpaket und Klimaschutz, Einführung einer CO2-Steuer, selbst beim Kastenstand bei Schweinen, der auf Sicht beendet werden soll, haben wir uns durchgesetzt.

Es wird viel über Kanzlerkandidaten spekuliert. Werden die Grünen überhaupt mit einem solchen Kandidatin oder einer solchen Kandidatin in den Bundestagswahlkampf gehen?

Habeck: Wir analysieren, was in Europa und Deutschland passiert. Wir sehen die große Verantwortung, die unsere Partei auch trägt. Aus dieser Verantwortung heraus werden wir klug entscheiden.

Wann? Noch in diesem Jahr?

Habeck: Zu einem Zeitpunkt, den wir für richtig halten und selber festlegen.

Pferde sind in der Politik gerade hoch im Kurs. Sie haben gemeinsam mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther schöne Fotos mit Wildpferden geliefert. Wie könnte dieser Satz weitergehen: Das Glück der Pferde liegt…

Habeck: … darin, nicht bei Twitter zu sein.

Noch ein Satz: Wenn Markus Söder eine Kutschfahrt mit Angela Merkel macht, …

Habeck: …dann ist es ein Fortschritt, dass er nicht mehr Viktor Orbán eingeladen hat.

Wenn Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin der Grünen wird, dann…

Habeck: …haben wir uns entschieden.

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