Hooligan-Krawalle in Köln Jäger klärt kaum auf

DÜSSELDORF/KÖLN · Je häufiger über die Eskalation bei der Kundgebung "Hooligans gegen Salafisten" am 26. Oktober in Köln debattiert wird, desto deutlicher wird die Überforderung und Überraschung auf Seiten der Polizei.

Wusste die Behörde wirklich, dass 4800 Chaoten am Breslauer Platz aufmarschieren würden? War darüber hinaus mit deren Gewaltbereitschaft zu rechnen? Der Auftritt von Innenminister Ralf Jäger (SPD) im Landtag förderte gestern weitere Widersprüche zutage.

Nach massiver öffentlicher Kritik äußerte Jäger erstmals Zweifel an der Einsatzstrategie der Polizei "Die verletzten Beamten, die erschreckenden Bilder der Krawalle - das war für uns kein Erfolg", räumte Jäger ein. Deshalb habe er volles Verständnis für das Entsetzen und die Empörung der Bürger. Jäger rückte damit von seinen umstrittenen bisherigen Äußerungen ab, das Polizeikonzept habe "funktioniert".

"Mit dieser massiven Gewalt haben die Sicherheitsbehörden und hat auch das Polizeipräsidium Köln nicht gerechnet", betonte Jäger aber auch. Aus dem polizeiinternen "Lagebild 2", das unserer Zeitung vorliegt, ergibt sich ein anderes Bild: In dem ausschließlich an Polizeiführer und andere Führungskräfte gerichteten Papier ist von einer "sehr hohen Anzahl von erlebnisorientierten und extrem gewaltbereiten Fußballhooligans" die Rede. Dieser Personenkreis könne nur mit "sehr starken Kräften an der Begehung von Straftaten gehindert werden", heißt es. Erstellt wurde dies bereits fünf Tage vor der Kundgebung.

Am Lagebild lässt sich zudem die große Ungewissheit bei der Einschätzung der gesamten Veranstaltung ablesen. Der Veranstalter hatte zunächst 300 Teilnehmer gemeldet, aufgrund eigener Erkenntnisse und einer Vielzahl von Zusagen bei Facebook hatte ihn die Polizei später gedrängt, die Zahl auf 1500 Teilnehmer nach oben zu korrigieren. Noch am 21. Oktober ist im Lagebild von 700 Anmeldungen bei den Polizeibehörden die Rede, zu diesem Zeitpunkt gibt es im Internet bereits 4900 Zusagen.

"Die inzwischen vorliegenden Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass der Anmelder die angemeldete Teilnehmerzahl erreichen könnte", heißt es im Lagebild - demnach ging die Polizei also allenfalls von 1500 Teilnehmern aus. Dennoch betonte Einsatzleiter Klaus Rüschenschmidt am Tag nach den schweren Krawallen, bei denen 49 Polizisten verletzt worden waren, man sei schon am 22. Oktober von 4000 Teilnehmern ausgegangen. Womit sich die Frage stellt, wie diese angebliche Erkenntnis über Nacht gereift ist.

Wie groß das Gewaltpotenzial in der Riege der Fußball-Chaoten ist, lässt sich aus dem internen Papier der Polizei ebenfalls ablesen, hier ist von bundesweit rund 20 000 Personen die Rede, die sich rund um die Vereine der ersten vier Ligen und der Oberliga versammelt haben. "Keine Sicherheitsbehörde der Länder oder des Bundes hatte Hinweise auf den überraschenden Gewaltausbruch in Köln", sagte Innenminister Jäger im Landtag.

Der als "Schlagzeilen-Jäger" bekannt gewordene Innenminister steht seit Wochen unter Druck. Erst die Misshandlungen von Flüchtlingen durch Sicherheitskräfte in NRW-Asylheimen, dann die Ausschreitungen von 4500 Hooligans und Rechtsextremen in Köln. FDP-Rechtsexperte Robert Orth wies Jäger auf die Möglichkeit hin, politische Verantwortung abzugeben: "Es gibt keine Mindestverweildauer für Minister."

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