Bildung Jede zweite Lehrerstelle in NRW unbesetzt

Düsseldorf · Schulministerin Yvonne Gebauer legt ein Maßnahmenpaket vor. Die Lehrergewerkschaft VBE fordert gerechtere Bezahlung.

Die Wände weiß, die Tische grau, die Tafel grün. Die neue Schulministerin wirft einen kurzen Blick in den Raum, macht eine kurze Pause und sagt: „So sieht Schule aus: Das ist, was wir in den meisten Schulen in NRW vorfinden.“ Für ihren ersten großen öffentlichen Auftritt hat Yvonne Gebauer (FDP) eine ungewöhnliche Umgebung gewählt: das Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Düsseldorf. Hier werden sonst Referendare zu Lehrern ausgebildet.

Damit ist die neue Schulministerin auch schon mittendrin im Thema: In NRW kann in diesem Schuljahr, das am kommenden Mittwoch beginnt, nur etwas mehr als jede zweite der zur Verfügung stehenden Stellen besetzt werden, nämlich 53 Prozent. In Zahlen: Von 5407 offenen Stellen können 2139 bisher nicht besetzt werden, bei 385 läuft das Verfahren noch. Vor allem an Grundschulen, Förderschulen und Berufskollegs sei die Situation dramatisch, sagte sie und fügte hinzu: „Die Zahlen betrüben mich, es darf keine weitere Zeit verstreichen.“

Erste Analyse

Wie groß die Unzufriedenheit von Lehrern, Eltern und Schülern ist, weiß Gebauer aus ihrer Zeit als schulpolitische Sprecherin der FDP. Die Verärgerung über ihre Vorgängerin, die Grüne Sylvia Löhrmann, ist einer der Hauptgründe, warum die rot-grüne Regierung in NRW abgewählt wurde. Vor allem das Turbo-Abitur, der Unterrichtsausfall und die Inklusion erregten die Gemüter. So sind es diese Themen, die Gebauer in den Mittelpunkt ihrer ersten Wochen als Schulministerin stellte. Das Ergebnis ihrer Analyse präsentierte sie am Freitag.

Herausgekommen ist eine Mischung aus Bestandsaufnahme und Sofortmaßnahmen. Dem Lehrermangel, insbesondere an den Grundschulen, will die neue Ministerin mit einem unkonventionellen Angebot begegnen. Lehrer, die eigentlich für die Sekundarstufe II ausgebildet sind, sollen vorübergehend auch an Grundschulen unterrichten. Denn dem Lehrer-Mangel in einigen Bereichen, vor allem in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, stehen mehrere Tausend beschäftigungslose Lehrer mit anderen Fächerkombinationen gegenüber. Damit diese die mit einem Wechsel zur Grundschule einhergehenden Gehaltseinbußen akzeptieren, sollen sie die Garantie bekommen, nach zwei Jahren an eine weiterführende Schule wechseln zu können.

Quereinstieg soll leichter werden

Zudem soll es Seiteneinsteigern an Grundschulen nach einer Qualifizierung künftig auch möglich sein, nicht nur Kunst, Musik und Sport zu unterrichten, sondern auch Englisch. Daneben soll im kommenden Frühjahr eine Werbekampagne für den Lehrerberuf starten. Von 2018/19 an soll zudem der Unterrichtsausfall schulscharf erfasst werden.

Der Lehrergewerkschaft gehen diese Pläne nicht weit genug, sie fordert eine gerechtere Bezahlung für Grundschul- und Sekundarstufen-Lehrer. „Die von der Landesregierung angekündigte Kampagne zur Anwerbung weiterer Lehrkräfte wird ohne eine gerechtere Bezahlung kaum Erfolg haben“, erklärte gestern Udo Beckmann, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE). Dies sei zwingend erforderlich, damit aus der Notlösung Seiteneinstieg keine Dauerlösung werde. Grundschullehrer verdienen weniger als Gymnasiallehrer, die rot-grüne Vorgängerregierung wollte diesen Unterschied abschaffen. Dagegen begrüßte die Lehrergewerkschaft, dass Gebauer das Abitur nach neun Jahren erst vom Schuljahr 2019/20 an einführten will. „Bei der Rückkehr zu G9 nichts zu überstürzen, ist richtig“, sagte Beckmann.

Gebauer wartete dabei mit einer Neuigkeit auf: Nicht nur die Kinder, die jetzt im dritten Schuljahr sind, sondern auch die Viertklässler könnten noch zu G9 zurückkehren. Die Ministerin räumte allerdings ein, dass die rechtlichen Voraussetzungen erst noch geprüft werden müssten. Denn die aktuellen Viertklässler entscheiden sich schon in diesem Herbst für ein Gymnasium. Zu diesem Zeitpunkt können sie aber noch gar nicht wissen, ob die Schule, die sie gewählt haben, bei G8 bleibt oder zu G9 wechselt. Nach Gebauers Modell müssten also alle Gymnasien für die kleine Zahl der Schüler, die G8 gewählt haben, am Ende aber G9 bekommen, auch einen G8-Zweig offen halten.

Regelfall ist aber künftig der Wechsel zu G9. Wenn eine Schule bei G8 bleiben will, muss darüber jeweils die Schulkonferenz vor Ort entscheiden, in der Lehrer, Eltern und Schüler vertreten sind, und zwar mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, wie Gebauer jetzt erläuterte. Zudem soll es neue Lehrpläne für G9 geben. Der Zeitplan ist eng: „2018 muss dafür die gesetzliche Grundlage stehen, 2019 muss es abgeschlossen sein“, sagte Gebauer. Um diese Frist einzuhalten, sollen die Eckpunkte für die Rückkehr zu G9 in diesem Herbst im Kabinett beraten, die Verbände im Winter an dem Verfahren beteiligt werden und der Gesetzentwurf zu Beginn nächsten Jahres eingebracht werden, damit er im Sommer 2018 verabschiedet wird.

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