Kanzleramtschef Helge Braun im Interview „Das Virus ist grausam“

Berlin · Kanzleramtschef Helge Braun spricht im Interview über Ärzte unter Druck, Kontaktbeschränkungen, Besuche bei Sterbenden und Fußball in Zeiten von Corona.

Krankenhauspersonal unter Druck: eine Krankenpflegerin auf der Corona-Intensivstation im Universitätsklinikum Dresden.

Krankenhauspersonal unter Druck: eine Krankenpflegerin auf der Corona-Intensivstation im Universitätsklinikum Dresden.

Foto: dpa/picture alliance/dpa

Kanzleramtschef Helge Braun hat in Corona-Zeiten dazu aufgerufen, Patientenverfügungen zu verfassen, wenn jemand  nicht beatmet werden und lieber Zuhause sterben will. Das Gottesdienstverbot verteidigt er „schweren Herzens“. Weitere Hilfen für die Wirtschaft schließt er nicht aus. Mit Braun sprachen Kristina Dunz und Holger Möhle.

Herr Braun, in Corona-Zeiten könnten Sie als gelernter Anästhesist zum Einsatz im Krankenhaus angefordert werden. Wie gut sind Sie darauf vorbereitet?

Helge Braun: Ich bin seit mittlerweile 2009 in Regierungsverantwortung. Deswegen bräuchte ich sicher einige Tage, bis ich auf einer Intensivstation wieder voll einsatzfähig wäre. Aber ich habe schon öfter gesagt: Wenn die Corona-Krise im Bundeskanzleramt überstanden wäre, dann würde ich in einem Krankenhaus helfen. Ich denke jedenfalls sehr häufig an die vielen Ärztinnen und Ärzte, besonders auf den Intensivstationen, die mit Corona-Patienten bis zum letzten Bett ausgelastet sind.

Die größten seelischen Belastungen erleiden gegenwärtig Familienangehörige von Sterbenden, weil auch sie Abstand halten müssen. Wäre es nicht christlicher, hier das Besuchsverbot zu lockern?

Braun: Auch hier sieht man, wie grausam das Virus ist. Sterbende sind häufig hoch betagt, ihre Angehörigen teilweise auch. Man kann nur hoffen, dass im Einzelfall damit sensibel umgegangen wird. Das zeigt aber, dass eine solche Pandemie uns in viele Situationen bringt, die man nicht zufriedenstellend auflösen kann.

Also keine Lockerung des Besuchsverbotes, selbst bei Sterbenden nicht?

Braun: Wir haben bewusst immer wieder deutlich gemacht, dass wir ältere und sehr alte Menschen besonders schützen müssen, weil sie oft sehr schnell, sehr schwer erkranken. Deswegen brauchen wir gerade in Pflegeheimen, aber auch in Heimen für behinderte Menschen besonderen Schutz. Wir müssen alles tun, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, teilweise auch mit Maßnahmen, die sehr schmerzhaft sind. Die Begleitung von Sterbenden muss aber zumindest durch professionelles Personal gewährleistet sein.

Palliativmediziner raten, Patientenverfügungen für den Fall einer Covid-19-Erkrankung anzupassen, wenn man nicht auf der Intensivstation behandelt werden möchte, weil man mit dem Tod rechnet und die restliche Zeit lieber bei den Liebsten ist. Wie sehen Sie das als Mediziner?

Braun: Eine Patientenverfügung ist immer sinnvoll, gerade bei hochbetagten und stark vorerkrankten Menschen. Und auch in dieser Corona-Krise. Beispielsweise, wenn jemand festlegen möchte, dass er im Krankenhaus nicht mehr intubiert oder beatmet werden, sondern lieber im Kreis der Familie sterben möchte. Eine Patientenverfügung kann auch verhindern, dass man Angehörige in eine Situation bringt, schwierige Entscheidungen treffen zu müssen, die sie vielleicht überfordern. Es ist für alle – den Kranken, die Familie und auch die Ärzte – eine Hilfe, wenn der Wunsch für die Behandlung oder eben Nichtbehandlung schriftlich festgelegt ist. Das ist nicht immer leicht. Es gibt aber gute Berater, die beim Aufsetzen einer Patientenverfügung helfen.

Trost können die Religionsgemeinschaften spenden. Es darf aber keine Zusammenkünfte in den Gotteshäusern geben. Wird sich daran bald etwas ändern?

Braun: Glaube und Gottesdienste sind gerade in diesen Zeiten besonders wichtig. Deswegen haben wir hier besonders lange diskutiert, was derzeit möglich ist und was nicht geht. Wir haben an der Ausbreitung des Virus etwa im Elsass gesehen, dass dort Gottesdienste, wo auch viel gesungen wurde, das Virus katapultartig verbreitet haben. Deswegen haben wir uns hier schweren Herzens entschlossen, die Kirchen für gemeinsame Gottesdienste vorerst nicht zu öffnen.

Wenn ein Impfstoff frühestens in etwa einem Jahr zur Verfügung steht, was heißt das für Kontaktbeschränkungen oder auch für Großveranstaltungen in dieser Zeit?

Braun: Der Erfolg der bisherigen Maßnahmen beruht ja darauf, dass wir alle gesagt haben: Wir bleiben Zuhause! Das kann man nicht ewig durchhalten. Jetzt wollen wir schrittweise wieder zurückkommen in ein Leben mit weniger Beschränkungen. Aber die Epidemie ist nicht weg. Wir müssen lernen, damit zu leben – bis es einen Impfstoff gibt.

Also keine Fußball-Bundesligaspiele vor Zuschauern mehr bis Frühjahr 2021? Kein CDU-Bundesparteitag mit Vorstandswahl und 1001 Delegierten?

Braun: So weit möchte ich nicht in die Zukunft gehen. Es geht um kleine Schritte und die Frage: Schaffen wir es, Regeln zu finden, wie wir auch unter akzeptablen infektiologischen Bedingungen zunächst kleinere Veranstaltungen wieder anlaufen lassen können. Und dann sehen wir weiter. Niemand kann heute seriös sagen, was in drei Monaten oder in sechs Monaten möglich sein wird.

Für wie seriös halten Sie die Heinsberg-Studie, wonach 15 Prozent der Bürger bereits Antikörper gegen das Coronavirus gebildet hätten und nun immun seien und nur 0,37 Prozent der Infizierten gestorben seien – während die Johns-Hopkins-Universität für Deutschland bislang eine fünffach höhere Quote von fast zwei Prozent ermittelt hat?

Braun: Ich kann diese Studie nicht beurteilen. Es gibt da einen Streit der Wissenschaftler. Die Politik sollte sich da nicht einmischen…

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat die Studie doch als wichtige Grundlage für die politischen Entscheidungen abgekündigt.

Braun: Wichtig ist die Frage, die dieser Studie zugrunde liegt: Wie hoch ist die Dunkelziffer und wie viele Menschen haben sich womöglich mit Corona infiziert, ohne dass sie es merken, weil sie gar keine Symptome, aber am Ende doch eine Immunität entwickelt haben. Um das sicher sagen zu können, setzt die Bundesregierung auf weiterentwickelte Antikörper-Tests und eine geplante großangelegte, deutschlandweite Studie zur Immunität der Bevölkerung.

Stellen Sie sich darauf ein, dass es in wenigen Wochen Beratungen über ein zweites großes schnelles Hilfspaket mit Zuschüssen für Betriebe geben muss?

Braun: Wir sehen uns unsere Hilfsprogramme ganz genau an. Viele Branchen und Betriebe sind von der Corona-Krise schwer getroffen. Für die nächste Sitzungswoche des Bundestages erwarte ich noch keine Notwendigkeit für ein nächstes Hilfspaket. Aber wir können für die Zeit danach nicht ausschließen, dass wir mit weiteren Hilfsmaßnahmen nachsteuern müssen.

Wird es nach der Corona-Krise eine neue Normalität geben? Kein Handschlag mehr?

Braun: Ob wir den Handschlag tatsächlich ganz aus unserem Alltag verbannen, kann ich mir nicht vorstellen. Aber es könnte doch sein, dass man den Handschlag künftig gezielter einsetzt. Vielleicht macht man in einem Raum mit 30 Personen nicht mehr die Runde wie früher, sondern grüßt allgemein in den Saal.

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