Grünen-Abgeordnete aus der Region Katja Dörner und Terry Reintke sprechen über Sexismus

BONN · Die beiden Grünen-Abgeordneten Katja Dörner und Terry Reintke sprechen im Interview über eine Frauenquote sowie Sexismus in Bundestag und EU-Parlament.

 Treffen in Bonn: Katja Dörner (links) und Terry Reintke.

Treffen in Bonn: Katja Dörner (links) und Terry Reintke.

Foto: Benjamin Westhoff

Wo stehen wir 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts?

Terry Reintke: Wir sind immer noch nicht so weit, wie wir sein sollten. Mit Sicherheit hat sich viel bewegt. Aber wenn wir uns anschauen, dass immer noch keine Parität in Parlamenten und anderen entscheidenden Positionen herrscht, dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Außerdem müssen wir auch das verteidigen, was wir haben. Wir erleben gerade einen massiven Angriff auf bereits Erkämpftes. In der europäischen Perspektive sehe ich das sehr stark beim Thema sexuelle und reproduktive Rechte. So ist in Polen ein absolutes Abtreibungsverbot vorgeschlagen worden. Aber das zeigt mir auch die Debatte um den Paragrafen 219a in Deutschland.

Katja Dörner: Auch das Thema Entgeltgleichheit ist zentral. Frauen verdienen in gleichen oder gleichwertigen Berufen immer noch deutlich weniger als Männer. Bei der Familiengründung bleiben dann oft die Frauen zu Hause, weil ihr Einkommen geringer ist. Das sind Strukturen, die eine echte Gleichstellung behindern. Und ich finde wie Terry, dass wir gewonnene Frauenrechte verteidigen müssen. Positiv ist, wie viele Frauen diesen Angriff bemerken und sich das nicht gefallen lassen wollen. Vor 15 Jahren hieß es oft, eine Quote ist kein Thema mehr. Das erlebe ich jetzt kaum noch.

Im Bundestag sind knapp 31 Prozent der Abgeordneten Frauen, im EU-Parlament 37. Was würde eine Quote bewirken?

Dörner: Eine Quote ist nie ein Ziel. Sie ist nur ein Mittel zum Zweck. Der Bundestag war nie paritätisch besetzt, aber jetzt ist der Frauenanteil sogar noch gesunken. Das ist ein Alarmsignal. Auch auf meine Initiative hin hat es ein interfraktionelles Treffen von Frauen gegeben. Und die Analyse war völlig klar: Der Frauenanteil ist zu niedrig. Es gibt nun unterschiedliche Vorschläge, wie man das ändern könnte. Ein Paritätsgesetz ist ein zentraler Baustein, um Frauen den Anteil von Macht und Einfluss zu verschaffen, der ihnen zusteht.

Reintke: Die Quote ist ein wirkmächtiges Instrument, weil sie an der Struktur etwas ändert, etwas aufbricht. Nur mit Lippenbekenntnissen und Selbstverpflichtungen kommt man nirgendwo hin.

Dörner: Wir haben bei den Grünen alle Gremien zur Hälfte mit Frauen besetzt. Das führt auch dazu, dass jeder Kreisverbandsvorstand gucken muss, „wo sind eigentlich meine fitten Frauen?“. Die müssen angesprochen und gefördert werden. Ich habe bei den Grünen Ende der 1990er Jahre als Beisitzerin im Vorstand des Kreisverbands Bonn angefangen, weil die eine Frau brauchten, und gesagt haben: Mach doch mal. Ich wäre damals nicht auf die Idee gekommen, in einem Parteigremium mitzuarbeiten. Ohne die Quote wäre ich wohl niemals Bundestagsabgeordnete geworden.

Gibt es Vorbilder in Europa, die es besser machen als Deutschland?

Reintke: In vielen Bereichen geht Skandinavien vorneweg. Norwegen hat schon vor mehr als zehn Jahren eine Frauenquote für Aufsichtsräte eingeführt. Und die führte nicht nur dazu, dass Frauen besser repräsentiert waren, sondern auch dazu, dass die Unternehmen erfolgreicher wirtschafteten. Diversität ist kein Selbstzweck, sondern bringt den Unternehmen etwas. Anderes Beispiel: In Schweden oder Spanien wurden früher und entschiedener Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen vorangebracht. In Deutschland gibt es die Selbstwahrnehmung, dass die Bundesrepublik ein moderner, emanzipierter Staat ist. Im Vergleich ist sie, was feministische Politik angeht, an vielen Stellen vor allem Schlusslicht.

Was wären die Folgen eines höheren Frauenanteils in der Politik?

Reintke: Im Umgang und den Debatten würde sich etwas ändern. Wenn wir im Europäischen Parlament nicht so viele feministische Abgeordnete hätten, wäre das Thema #MeToo dort untergegangen und weiter unter den Teppich gekehrt worden.

Sie selbst haben die Debatte dort im September 2017 in Gang gebracht und sind vom „Time Magazine“ als ein „Mensch des Jahres“ hinter #Me-Too ausgezeichnet worden.

Reintke: Ich habe dort von einer eigenen Erfahrung mit sexueller Belästigung in Duisburg berichtet. Ungefähr einen Monat später ging es dann richtig los, im Zuge der#MeToo-Debatte wurde zunächst in Hollywood und dann in anderen Bereichen das Schweigen gebrochen.

Was wurde aus dem EU-Parlament bekannt?

Reintke: Dass es sehr weit verbreiteten Sexismus im Europäischen Parlament und in anderen Parlamenten gibt, war nicht neu. In einer interparlamentarischen Ausschusssitzung meldete sich zum Beispiel ein Gast aus dem polnischen Parlament in einer live ins Internet übertragenen Sitzung zu Wort und sagte nach seiner Rede: Im Übrigen freue er sich im Europäischen Parlament zu sein, denn hier gebe es so viele weibliche Abgeordnete, da hätte man dann ja auch endlich mal was zum Angucken. Wenn er sich so sicher fühlt, das in einem öffentlichen Meeting zu sagen, was wird dann auf dem Flur oder in geschlossenen Räumen gesagt? Aber die Fälle, die nach #MeToo ans Licht kamen, haben mich schockiert. Es gab Berichte über Abgeordnete, die vor ihren Mitarbeiterinnen masturbiert haben, und den Fall einer Vergewaltigung im Parlament.

Was ist seitdem geschehen?

Reintke: Wir haben eine Resolution für einen Maßnahmenkatalog im Parlament auf den Weg gebracht. Darin geht es etwa um bessere Beschwerdestrukturen, Vertrauenspersonen, die anonym angesprochen werden können, und die Einführung von verpflichtenden Schulungen für Abgeordnete. Ich sehe das nicht nur als wichtigen Schritt, um die Arbeitsatmosphäre im EU-Parlament zu verbessern, sondern ich bin auch fest davon überzeugt, dass das Parlament eine Vorbildfunktion für die gesamte Gesellschaft hat.

Ist das alles umgesetzt worden?

Reintke: Beim Bewusstsein für das Thema hat sich wirklich etwas verändert. Vom Maßnahmenkatalog sind einige Dinge umgesetzt worden, andere wie die verpflichtenden Schulungen für die Abgeordneten aber immer noch nicht. Bisher haben daran nur 44 von 751 Abgeordneten teilgenommen.

Warum ist nicht viel passiert?

Reintke: Das liegt unter anderem an Personen wie Parlamentspräsident Antonio Tajani, der das Thema in Zeiten großer Medienöffentlichkeit unterstützt hat, aber am Ende des Tages wird es dann verstolpert und zum Teil auch bewusst verzögert, damit man es in der nächsten Legislaturperiode vielleicht wieder begraben kann. Deshalb ist es so wichtig, ins nächste Europäische Parlament viele Menschen zu wählen, die ein Bewusstsein dafür haben.

Wie ist es im Bundestag?

Dörner: Dort hat es eine solche Bewegung wie im EU-Parlament nicht gegeben. Es sind auch keine Fälle von sexueller Belästigung bekannt geworden. Wir haben aber natürlich eine Debatte über Sexismus und die Frage, wie Frauen im Bundestag wahrgenommen werden. Das geht schon bei etwas ganz Simplem los wie dem Geräuschpegel im Plenum. Es ist deutlich lauter, wenn eine Frau spricht. Schon daran kann man erkennen, dass Wertigkeit, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit noch immer sehr unterschiedlich sind. Wir haben mit Wolfgang Kubicki von der FDP auch jemanden, der sehr exponiert sagt, „mir geht die Sexismus-Debatte langsam auf den Senkel“. Das ärgert mich.

Was entgegnen Sie ihm?

Dörner: Wir müssen die Diskussion noch intensiver führen. Ob man auf Augenhöhe arbeiten kann, hängt davon ab, dass man nicht benachteiligt wird, die gleiche Wertschätzung erfährt und nicht belästigt und diskriminiert wird. Um die Debatte im Bundestag voranzubringen, müssen sich die Frauen vielleicht auch wie im EU-Parlament interfraktionell besser vernetzen. Wie bei dem ersten Treffen zum Paritätsgesetz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort