Linkspartei-Chefin im Interview Katja Kipping fordert kostenlose Bahncard 50

Berlin · Im Interview spricht Linkspartei-Chefin Katja Kipping über den Parteivorsitz, den Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, den rot-rot-grünen Senat in Berlin und ihre Koalitionsvorstellungen für den Bund.

 „Ich will eine Regierung der Hoffnung“, sagt Katja Kipping.

„Ich will eine Regierung der Hoffnung“, sagt Katja Kipping.

Foto: dpa/Matthias Rietschel

Die Linkspartei-Chefin Katja Kipping erklärt, wie sie sich einen sozial-ökologischen Umbau des Landes bei einem rot-rot-grünen Machtwechsel vorstellt und warum es in Bhutan im Himalaya paradiesische Zustände gibt.

Frau Kipping, Sie sind im Jahr 2020 acht Jahre Vorsitzende der Linken. Ein ungeschriebenes Gesetz der Partei sagt, mehr geht nicht, danach muss es jemand anderes machen. Gilt das auch für Sie?

Katja Kipping: Wir werden die Partei zu Beginn des Jahres strategisch aufstellen, um für die Bundestagswahl gerüstet zu sein, ganz gleich wann sie stattfindet. Wie wir uns personell positionieren, darüber reden wir später.

Sie wollen noch einmal antreten?

Kipping: Heute ist nicht der Tag für personalpolitische Ankündigungen. Also zu den Inhalten. Zum 1. Januar 2020 sind die Hartz-IV-Gesetze 15 Jahre in Kraft. All unsere Kritik daran hat sich bestätigt. Wir brauchen einen Sozialstaat der Zukunft und der muss folgendes leisten: Eine Grundsicherung für Kinder, eine Schutzgarantie vor Armut für alle – gleich ob in der Stadt oder auf dem Land – eine universelle Grundversorgung für medizinische Angebote, Breitband und Mobilität. Niemandem wird sein Auto weggenommen, aber die Tausenden stillgelegten Schienen-Kilometer im Land müssen reaktiviert werden.

Wie kommt man auf dem Land dann vom Bahnhof nach Hause oder zum Einkaufen?

Kipping: Für die letzten Kilometer bieten sich Anrufsammeltaxis, kleine Busse oder das Fahrrad an, in hügeligen Gegenden dann auch als E-Bike.

Soll es dann eine Kaufprämie nicht nur für E-Autos, sondern auch für E-Bikes oder Bahncards geben?

Kipping: Genau. Anstatt den Umstieg aufs E-Auto zu subventionieren, was sich ohnehin nur Menschen leisten können, die mehr als 30.000 Euro für ein Auto übrig haben, sollte es lieber die Bahncard 50 kostenfrei für alle geben. Das wäre ein richtiger Beitrag zum Klimaschutz. Und dann müsste es ausreichend Plätze für Fahrräder und Abteile mit Arbeitsplätzen für Berufspendler, die während der Zugfahrt arbeiten, und ansonsten die 1. Klasse für alle geben. Das würde das Bahnfahren attraktiver machen. Wir können in den Weltraum fliegen. Dann muss auch ein guter Bus- und Bahnverkehr möglich sein.

Zum Schutz vor Armut: Ist das ihr – umstrittener – Wunsch nach bedingungslosem Grundeinkommen?

Kipping: Das wäre die beste Form der sozialen Absicherung, die immer mehr Menschen begeistert. Aber es geht auch eine Stufe darunter: die sanktionsfreie Mindestsicherung nach einer Prüfung des Einkommens. Das ist Konsens bei den Linken und weitgehend bei den Grünen. Bei der SPD ist da immerhin etwas in Bewegung geraten.

Welche Entscheidungen wollen sie für die Bürger der Mitte und die Millionäre treffen?

Kipping: Wir wollen die Sozialversicherungssysteme zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln und die Mitte deutlich besser stellen. Mehr Personal in Bildung, Pflege und Gesundheit. Und Millionenvermögen wie Millionenerbschaften müssen wir stärker besteuern. Um das zu verwirklichen, brauchen wir eine andere politische Mehrheit im Land. Einen sozial-ökologischen Umbau wird es nur mit einer neuen linken Mehrheit geben.

Und wie stellen Sie das jetzt an?

Kipping: Zunächst müssen wir inhaltlich Begeisterung entfachen, damit wir in der Summe zulegen ...

...und die SPD sich mit der Linken dafür vereinigen?

Kipping: Mir geht es um Zusammenarbeit, nicht um eine Parteifusion. Um etwas grundlegend zu verbessern, brauchen wir sowohl eine schwungvolle SPD wie eine starke Linke als moderne sozialistische Partei links der Sozialdemokratie. Wir brauchen aber kein Koch-Kellner-Spiel mehr. Die Aufteilung zwischen einer großen Volkspartei und einem kleinen Partner ist vorbei. Wir müssen klar ausstrahlen: Wir können etwas verändern und aus der Ohnmachtsfalle herauskommen, dass die Linke immer nur etwas fordert, es aber nicht durchsetzen kann. Ich will eine Regierung der Hoffnung. SPD, Grüne und Linke haben Gemeinsamkeiten in der Sozial- und Umweltpolitik.

Der rot-rot-grüne Senat in Berlin ist für viele eher ein Schrecken, wie beim Mietendeckel zum Beispiel.

Kipping: Er schützt die gesellschaftliche Mitte aber vor faktischer Enteignung durch explodierende Mieten ...

... erst einmal haben Vermieter in Berlin Mieten erhöht.

Kipping: Das hätte es doch eh gegeben. Aber jetzt sind die Mieter für fünf Jahre geschützt. Und mit dieser Konsequenz würden wir auch Konzernen ans Leder gehen. Ein Mitte-Links-Bündnis wird kein Spaziergang. Plastik-Strohhalme zu verbieten, reicht für die sozial-ökologische Wende nicht aus. Die Grünen müssen sich überlegen, ob sie mit uns echten Klimaschutz oder mit der Union nur eine Simulation davon bekommen wollen. Ich bin nicht dafür, dass wir uns schon vor der Wahl verloben, und wir gehen keine Koalition um jeden Preis ein. Aber wir sollten ernsthaft debattieren, was wir gemeinsam für das Land verbessern können.

Also eine Koalitionsaussage light?

Kipping: Interessante Übersetzung. Wäre jetzt nicht meine Formulierung. Es ist eher ein Bekenntnis zu Inhalten. Klare Haltung in der Sache und der ausdrückliche Wille, grundlegende Verbesserungen nicht nur zu fordern, sondern auch in einer Regierung durchzusetzen.

Gibt es ein Land auf der Welt, in dem der Sozialstaat besser funktioniert als in Deutschland?

Kipping: Es gibt noch kein Paradies auf Erden. In Skandinavien werden schon in der Schule soziale Unterschiede besser ausgeglichen. Und um mal zu hinterfragen, wie wir Wohlstand messen: Das Himalaya-Königreich Bhutan bemisst den Fortschritt des Landes nicht am Steigen des Bruttoinlandsprodukts, sondern an Glück und Zufriedenheit der Menschen. Das wurde als Staatsziel aufgenommen. Da geht es um Bildung, Kultur, Natur und soziale Gleichheit. Wenn die soziale Schere zwischen Arm und Reich und Stadt und Land in Deutschland immer weiter aufgeht und sich die Gesellschaft weiter spaltet, wird der gesellschaftliche Zündstoff gefährlich, übrigens auch für jene, denen es jetzt gut geht.

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