Feierstunde im Plenarsaal Klaus Töpfer gegen Anwerbeoffensiven
Bonn · Der renommierte Umweltpolitiker Klaus Töpfer setzt im ehemaligen Plenarsaal in Bonn den Ton in der Feierstunde zur Deutschen Einheit.
Klaus Töpfer war als Bundesumweltminister von 1987 bis 1994 in der Regierungszeit von Helmut Kohl einer der profiliertesten Politiker der Bundesrepublik Deutschland. Unvergessen, wie er 1988 publikumswirksam in Bonn den Rhein durchschwamm oder bei „Wetten, dass“ zur besten Sendezeit ein Förderprogramm für Drei-Wege-Katalysatoren in Verbrenner-Autos ankündigte. Später leitete Töpfer mit hohem internationalem Ansehen das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi. Ende Juli ist er 85 Jahre alt geworden. Das war wohl Anlass genug für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, Töpfer im Bonner Forum zu Einheit, Deutschland und Europa, einer Feierstunde zur Deutschen Einheit, noch einmal die große Bühne zu bieten. Schließlich traten beide deutschen Staaten vor exakt 50 Jahren den Vereinten Nationen bei. Da ist Töpfer ein veritabler Gesprächspartner.
Was Töpfer zu sagen hat im alten Plenarsaal des Bundestages in Bonn, dürfte der heutigen Parteispitze der CDU kaum gefallen. Erst im Frühjahr hatte CDU-Chef Friedrich Merz Klimaschutz in der Politik öffentlich für überbewertet erklärt. Entwicklungspolitik und Klimaschutz spielten bei den Vereinten Nationen eine viel zu geringe Rolle, hält Töpfer dagegen. Statt mantraartig, aber erkennbar erfolglos einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu fordern, solle die Bundesrepublik lieber Vorschläge für eine Strukturreform der Vereinten Nationen unterbreiten, die das heutige Kräftegleichgewicht, sprich die Stärke von Ländern wie Indien, Brasilien und dem afrikanischen Kontinent ebenfalls berücksichtigten.
Auch der deutschen Politik und Gesellschaft redet Töpfer ins Gewissen. Man könne nicht von Entwicklung reden und gleichzeitig qualifizierte Arbeitskräfte aus den unterentwickelten Ländern abwerben. „Das ist das Kapital, was sie haben“, sagt er. Gerade Afrikaner sollten nicht als Armutsflüchtlinge ins Land kommen, sondern als Studierende, um anschließend ihre Heimat selbst zu entwickeln. Statt nur Fördergeldern brauche es einen Wissenstransfer auf Augenhöhe und gemeinsam entwickelte angepasste Technologien für den globalen Süden, um dem Klimawandel endlich zu begegnen. Gleichzeitig müsse die deutsche Gesellschaft sich selbst bescheidener geben, andere Werte als Kapitalertrag in die Berechnung des Volkswohls einbeziehen. Die Wünsche junger Menschen nach einem besseren Gleichgewicht von Arbeit und Leben kämen nicht von ungefähr. „Wir können uns die Wegwerfgesellschaft für unseren Wohlstand nicht mehr leisten“, sagt Töpfer. Mit 85 und seinem Renommee darf man so etwas auch in der CDU.
Nun haben die Organisatoren dem bekanntermaßen streitbaren Töpfer für die Podiumsdiskussion zur Zukunft der Vereinten Nationen durchaus profunde Gegensprecher zur Seite gestellt. In einer Art Kathederrede kanzelt der Völkerrechtler Stefan Talmon, Professor an der Universität Bonn, Töpfers Ideen als Utopie ohne Chancen auf Realisierung ab. Der Weltsicherheitsrat tage noch heute nach der provisorischen Geschäftsordnung aus dem Nachkriegsjahr 1946, berichtet Talmon. In 52 Jahren habe es keine Veränderung mehr gegeben. Man müsse die UN in Deutschland weniger idealistisch und dafür nüchterner betrachten. Ihre Ideale von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Liberalismus seien in der Mehrzahl der 193 Mitgliedsstaaten nicht erfüllt.
Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nutzte Töpfers Vorlage für einen Seitenhieb in Richtung der Ampel-Koalition im Bund. Die habe im kommenden Bundeshaushalt erstmals weniger Geld für Entwicklungshilfe eingestellt. Davon rate er angesichts der Herausforderungen dringend ab, sagte Frei. Ansonsten warb er für Pragmatismus: Auch mit Russland als Aggressor eines Angriffskrieges und Vetomacht im Weltsicherheitsrat seien die UN noch immer die beste Institution zum weltweiten Dialog. „Wir müssen mit dem arbeiten, was da ist“, sagte Frei.
Vanessa Vohs, ein Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, erinnerte hingegen an Reformprozesse wie das Völkerstrafrecht, die sich außerhalb einer institutionellen Reform der UN entwickelt hätten. Hier gelte es anzusetzen und ansonsten im Gespräch zu bleiben.
Klaus Töpfer nimmt die Gegenreden gelassen: „Hätte ich auch Jura studiert (wie die drei anderen auf dem Podium, Red.), wäre ich vielleicht auch anderer Meinung“, äußert er launig. So halte er es für leichtfertig, zu analysieren, was alles nicht gehe und dann nach Hause zu gehen. „In Kenntnis, was nicht geht“, solle man nach neuen Wegen und Institutionen suchen. Da gibt ihm sein jüngerer Parteikollege Frei schließlich Recht. Man müsse, so meint er, Generaldebatten mit Optimismus führen, um den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Auch nicht unbedingt ein typisch deutscher Ton. Die Nationalhymne bringen die Diskutanten und Besucher im annähernd voll besetzten alten Plenarsaal dann zum Abschluss schon einmal gemeinsam über die Lippen.