Öffentliche Bauprojekte Kostenexplosionen sind kein Naturgesetz

Berlin · Forscher haben Großprojekte der öffentlichen Hand untersucht. "Fehlgeleiterter Optimismus und strategische Fehlauskunft geschehen mit System"

Für einen Kostenexplosions-Weltrekord bei öffentlichen Bauprojekten taugt selbst der neue Flughafen in Berlin nicht: Der Suez-Kanal bringt es auf 1900 Prozent, das Opernhaus von Sydney auf 1400 Prozent. Aber die großen Bauskandale Deutschlands liegen alle oberhalb des Verteuerungsgrads (200 Prozent) des Panama-Kanals. So unterschiedlich dabei auch die Ursachen sind, sie haben mit dem haftenden Steuerzahler ihren kleinsten gemeinsamen Nenner.

Ist die Kostenexplosion bei Bauvorhaben von Bund, Ländern oder Kommunen ein Naturgesetz? Nein, sagt die Studie "Großprojekte in Deutschland - zwischen Ambition und Realität" der Hertie School of Governance (Berlin), die den Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie akribisch analysierte. Danach wurden die Weichen bereits ganz zu Anfang falsch gestellt: "In beiden Fällen hätte ein Großteil der Kostenüberschreitungen nicht mehr verhindert werden können, nachdem die Projektorganisation falsch aufgesetzt und Verträge auf unzureichender Planungsbasis geschlossen waren", erklärt Professor Jobst Fiedler.

Die Fallstudie zum Flughafen offenbart ihn als "Muster-Negativbeispiel" und berichtet von "zehn aufeinander aufbauenden Fehlern". Die Flughafengesellschaft sei "nicht ausreichend kompetent" gewesen, dem überwiegend aus Politikern bestehenden Aufsichtsrat habe "das notwendige Fachwissen" gefehlt. Auf ein unabhängiges, externes Controlling wurde verzichtet, "das Fehlentscheidungen hätte anzeigen können". Schließlich habe der Verzicht auf einen Generalunternehmer (GU) "das finanzielle Risiko zu 100 Prozent auf den Steuerzahler verlagert. Die Aufteilung in viele kleine Gewerke führte zu einem exorbitanten Steuerungsaufwand, der wiederum von Anfang an gleichzeitiges Planen und Bauen erforderlich machte." Als die Puzzle-Teile zusammengefügt wurden, passte der Brandschutz nicht. Das "Chaos-Management rund um den geplatzten Eröffnungstermin im Juni 2012 sind Folgen der verfehlten Governance-Entscheidungen weit vor dem ersten Spatenstich".

Kurzum: Das anschließende Hire-and-Fire-Management des Aufsichtsrates war für die Katz, weil die sogenannten Retter eigentlich chancenlos waren.

Und täglich grüßt das Murmeltier

Die Wissenschaftler bezeichnen den Flughafen als "Standard-Großprojekt" - im Gegensatz zur Elbphilharmonie, wo jedoch ein "vergleichbarer Fehlermix" wie beim Flughafen analysiert wurde, dazu "Selbstüberschätzung der Verantwortlichen". Insgesamt hat die Hertie-School-Studie 170 öffentliche Großprojekte seit 1960 analysiert. Ergebnis: Die Diskrepanz zwischen Plan- und Mehrkosten liegen bei durchschnittlich 73 Prozent.

Auch der Däne Bent Flyvbjerg hat Bausünden analysiert. Der an der Universität Oxford lehrende Ökonomie-Professor hat weltweit 258 öffentliche Großprojekte analysiert. Was der Volksmund "Schönrechnen" nennt, bezeichnet Flyvbjerg als "Kultur der Fehlinformation".

Damit ein Projekt den demokratischen Slalom durch Dagegen-Bürgerinitiativen, kritische Gremien und die Opposition in Stadtrat oder Parlament erfolgreich besteht, müssen die Zahlen möglichst klein und die Business-Pläne maximal zuversichtlich ausfallen. Flyvberg im "Technology Review": "Personen, die wollen, dass das Projekt genehmigt wird, unterschätzen die Kosten und überbewerten den Nutzen. (...) Fehlgeleiteter Optimismus und strategische Fehlauskunft geschehen mit System." Das klingt, als würde Flyvbjerg die Anfangsphase des Erlebnisparks am Nürburgring oder des World Conference Center Bonn (WCCB) beschreiben.

Das WCCB hat viele Parallelen - kein GU, kein externes Controlling - zu Flughafen und Elbphilharmonie, aber insbesondere zum Nürburgring-Skandal auf. Weil kein privater Investor ein Kongresszentrum oder einen Erlebnispark in der Eifel als renditetaugliche Geschäftsidee bewertete, landeten die Politiker bei dubiosen Figuren.

Die Routine ist beängstigend

Der jüngste geplatzte Verkauf des Flughafens Hahn in Rheinland-Pfalz an eine chinesische Briefkastenfirma setzt die Lehrstücke, aus denen nichts gelernt wird, weiter fort. Werden Investoren durch private Unternehmen oder, wie beim WCCB, durch die Sparkasse KölnBonn geprüft, können Politiker sich über die Ergebnisse in der Regel ohne Risiko hinwegsetzen, denn Schweigepflicht oder Bankgeheimnis schützen sie davor, dass die Prüfer ihre Ergebnisse öffentlich machen dürfen.

In Bonn ist allein das Kapitel "städtische Bürgschaft" (über mehr als 100 Millionen Euro) ein heikles und bis heute von keinem Richter aufgeklärtes.

Ende 2016 könnte vor Gericht das Fallbeil fallen, denn die EU-Kommission hat (der GA berichtete) hinter den Kulissen bereits ihr Votum abgegeben: Die städtische Bürgschaft gegenüber der Sparkasse KölnBonn sei nicht beihilfewidrig. Bonn müsste demnach zahlen, womit die WCCB-Kostenspirale sich noch einmal nach oben dreht. Gleichzeitig stottert die im Vorfeld beschworene Umwegrendite, da es mit der Vermietung hapert und bei UN-Veranstaltungen ein Rabatt von 90 Prozent auf die Raummiete gewährt werden muss.

Läuft bei einem Projekt schließlich alles aus dem Ruder und werden Untersuchungsausschüsse oder Staatsanwälte aktiv, sind die Verantwortlichen meist nicht mehr im Amt, die Akten "sauber" oder die "politisch Beteiligten betreiben ein Versteckspiel", so Professor Werner Rothengatter vom Karlsruher Institut für Technologie im GPM-Fachmagazin für Projektmanagement.

Bleibt die Frage, welcher Steuerzahler von den politischen Bauabenteuern besonders betroffen ist. Für Flughafen (Bundesland Berlin), Elbphilharmonie (Bundesland Hamburg) oder Nürburgring (Bundesland Rheinland-Pfalz) stiftet der Länderfinanzausgleich eine gewisse Hoffnung. Das witterte auch ein Münchner Bürger bei einer Visite von Kurt Beck, einst Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, in der bayerischen Landeshauptstadt: "Wir Bayern zahlen für den Nürburgring", rief er vor laufenden Kameras, woraufhin der SPD-Politiker aus der Haut fuhr: "Können Sie nicht einfach mal das Maul halten?"

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