Kommentar zum Verkehrskonzept für Gehwege Krieg auf allen Wegen

Meinung | Bonn · Wir brauchen einen öffentlicher Raum, in dem sich jeder – vor allem der Autofahrer – am Langsamsten, dem Fußgänger, orientiert, findet GA-Redakteurin Tina Stommel.

 E-Scooter dürfen unter Umständen auch auf Gehwegen fahren.

E-Scooter dürfen unter Umständen auch auf Gehwegen fahren.

Foto: picture alliance/dpa

Es klingt dramatisch, aber es entspricht der Wahrheit: Auf deutschen Gehwegen herrscht Krieg – und der Verlierer steht längst fest: Es ist der, der angeblich die Hoheit über den Gehweg hat – der Fußgänger. Jeden Tag in jeder deutschen Stadt sieht er sich auf „seinem“ Weg mehr und mehr Radfahrern, E-Bikern, demnächst noch E-Scooter-Fahrern gegenüber.

Deutsche Verkehrsplanung im Jahr 2019 sieht so aus: Alles, was nicht Auto ist, muss möglichst weg von der Straße. Der Konflikt zwischen Auto und Rad respektive E-Bike respektive E-Scooter wird schlicht verschoben – auf den Gehweg, wo er zum Konflikt zwischen Fußgänger und Rad (E-Bike, Scooter) wird. Und so wie die Autos dem Radler auf der Straße gefährlich werden – weil erstere ignorant die Radwege zuparken und die Fahrbahn aus alter Gewohnheit nur als Auto-Fahrbahn definieren, so wird nun der Radler für die Fußgänger gefährlich. Rast er aggressiv an ihnen vorbei, gibt es kein Nummernschild oder sonst ein Merkmal, das sich der Fußgänger merken kann, um Rücksichtslosigkeiten zu ahnden.

Der Fußgänger ist das schwache Glied in der zunehmend motorisierten Verkehrsteilnehmer-Kette. Zu seiner Gruppe gehören ältere Menschen, deren Reflexe weit entfernt davon sind, mit der schnellen neuen Verkehrssituation auf den Gehwegen klarzukommen. Dazu zählen auch Kinder, die spontan nach links oder rechts drängen – Achtung: Lebensgefahr. Und was macht die (Verkehrs-)Politik? O-Ton Anke Rehlinger (SPD), Saarbrücker Ressortchefin und Vorsitzende der Konferenz der Verkehrsminister: Entscheidend sei, „den Weg freizumachen“.

Die mächtige Autolobby

Nur: welchen Weg? Und frei für wen? Die Autostraße ist – wie immer – nicht gemeint. Mit der machtvollen Autolobby nämlich will man sich nicht anlegen. Mit der immer machtvoller werdenden Rad-Lobby auch nicht. Also wird der Gehweg jetzt so was von frei für alle Auto-Alternativen auf Rädern, dass alles, was nur auf zwei Beinen unterwegs ist, am besten ganz zu Hause bleibt.

Oder der Fußgänger zieht ebenfalls in den Krieg. Nur – womit? Mit Worten ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. In einer Verkehrswelt, in der das Recht des Stärkeren (also Schnelleren) regiert, wird er den Kürzeren ziehen.

Die Alternative? „Shared Space“. Ein öffentlicher Raum, in dem sich jeder – vor allem der Autofahrer – am Langsamsten, dem Fußgänger, orientiert. In den Niederlanden gehören „Shared Spaces“ zum Städtealltag. In Deutschland wird das wohl erst möglich, wenn der Auto-Mensch das Steuer abgibt – ans selbstfahrende Auto.

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