Krippen sind in Ost und West längst Normalität

Leipzig · Schlagworte wie Töpfchenzwang und Rabenmütter haben lange Jahre die Diskussion um die DDR-Krippenerziehung bestimmt. Das ist vorbei. Man hat dazugelernt - hüben wie drüben.

 So sah es in einem Kindergarten in Lichtenberg in Berlin (DDR) im April 1986 aus. Heute sind Kitas im Osten und Westen akzeptiert. Archivfoto: Zentralbild

So sah es in einem Kindergarten in Lichtenberg in Berlin (DDR) im April 1986 aus. Heute sind Kitas im Osten und Westen akzeptiert. Archivfoto: Zentralbild

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Es gab eine Zeit im Berufsleben der Erzieherinnen Cornelia Bräunlich und Katrin Thön aus Leipzig, die von großer Verunsicherung geprägt war. Mit der Mauer 1989 fielen auch die alten Regeln und Gewissheiten aus der DDR-Krippenerziehung. "Was haben wir diskutiert damals. Aber wie!", erinnert sich Thön. "Das waren für uns unsichere Zeiten. Wir haben uns gefragt: Dürfen wir den Kindern überhaupt noch Angebote machen? Auf einmal sollten die ja alles selber können!" Dazu kam die West-Ablehnung des DDR-Krippensystems, mitsamt Diskussionen um Töpfchenzwang und Rabenmütter.

Heute sitzen Bräunlich (41) und Thön (48) entspannt in der Integrativen Kindertagesstätte in der Leipziger Eisenbahnstraße. Die städtische Einrichtung kann sich vor Anfragen nach Krippenplätzen kaum retten. "Die Plätze sind so schnell weg. Es lohnt sich nicht mal, Wartelisten zu führen", sagt Bräunlich. Wie in Leipzig sieht die Lage im Prinzip bundesweit aus. Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Unter-Dreijährige überstieg nach Angaben der Bertelsmann Stiftung noch 2012 in allen Bundesländern das Angebot. Krippen sind 25 Jahre nach dem Mauerfall eine gesamtdeutsche Realität.

"In Westdeutschland hat es einen Mentalitätswandel in der Bevölkerung gegeben", sagt die Bildungsexpertin der Stiftung, Anette Stein. Die höhere Nachfrage nach Betreuung sei staatlich und gesellschaftlich gemacht. Den größten Schwung erhielt die Debatte von der einstigen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die einen Rechtsanspruch auf die Betreuung Unter-Dreijähriger ab 2013 durchsetzte.

Auch der Erziehungswissenschaftler Prof. Christian Glück von der Universität Leipzig sagt: "Es ist so, dass die Veränderungen am Arbeitsmarkt und der Fachkräftemangel, auf den wir zusteuern, auch in der West-CDU dazu geführt haben, die hohe Qualifikation der Frauen besser schützen und achten zu wollen." Zudem habe es einen Wandel im Selbstverständnis der Mütter gegeben: "Diejenigen, die ihr Kind in eine Fremdbetreuung geben, sind eher die Hochqualifizierten." Kind und Karriere unter einen Hut bringen - das wollten inzwischen auch die Frauen in Westdeutschland.

Noch immer gibt es aber gravierende Unterschiede zwischen Ost und West. Während nach dem jüngsten " Ländermonitor frühkindliche Bildung" der Bertelsmann Stiftung 2012 in Sachsen-Anhalt 57,5 Prozent der Unter-Dreijährigen betreut wurden, waren es in Nordrhein-Westfalen lediglich 18,1 Prozent. Eine aktuellere Studie ist gerade in Arbeit.

Auch bei der Qualität gibt es nach Angaben von Bildungsexpertin Stein ein deutliches Ost-West-Gefälle - das sich allerdings zu ungunsten der Ost-Länder neigt. Dort betreuen die Erzieher deutlich mehr Kinder. Der Betreuungsschlüssel, eine statistische Größe, liege zum Beispiel in Sachsen-Anhalt bei 1:6,5, in Brandenburg bei 1:6,2 und in Sachsen bei 1:6,1. Empfohlen werde ein Verhältnis von 1:3. "Internationale Forschungen haben gezeigt, dass das ein Schwellenwert ist", sagt Stein. Sei der Schüssel schlechter, leide die Qualität.

Erziehungswissenschaftler Glück betont, dass gerade bei Kleinkindern die Betreuungsqualität wichtig sei. "Die persönliche Zuwendung spielt im U3-Bereich eine deutlich wichtigere Rolle als bei größeren Kindern", sagt er. "Ein Teil der Qualität entsteht mit der Qualifikation der Erzieher." In der DDR-Krippenerzieher-Ausbildung habe es viel Positives gegeben. "Dort ist viel methodisches Wissen vermittelt worden: Reime, Kniereiter-Spiele, dialogisches Bilderbuchlesen - all das ist damals sehr gut ausgearbeitet gewesen." Problematisch sei dagegen der "Einheitsgedanke" gewesen, individuelle Lernwege der Kinder seien wenig akzeptiert worden.

Ähnlich erzählen das auch die Erzieherinnen Bräunlich und Thön. "Es war schon Druck da. Wenn ein Teddy gemalt werden sollte, mussten eben alle einen Teddy malen", sagt Bräunlich. Und auch die Sache mit den Töpfchen ("Die saßen da wie die Orgelpfeifen.") würde sie heute nicht mehr verteidigen wollen. Inzwischen habe es viele Veränderungen gegeben, und viel Weiterbildung. Ihren Job in der Krippe liebt Bräunlich noch immer: "Die Arbeit mit den Kleinen macht einfach Spaß. Man legt einen gewissen Grundstein. Die vergessen uns nicht."

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