Abfrage zur Herkunft von Verdächtigen Kritik und Zweifel an Vorgehen der Stuttgarter Polizei

Bonn · Nach den Krawallen in Stuttgart nimmt die Polizei nun die Abstammung mutmaßlicher Täter unter die Lupe. Ein normales Vorgehen?

 Feststellung der Personalien: Ein Polizist blickt in einen Ausweis. Die Frage, wo mutmaßliche Täter oder deren Vorfahren herkommen, bewegt viele Menschen im Land.

Feststellung der Personalien: Ein Polizist blickt in einen Ausweis. Die Frage, wo mutmaßliche Täter oder deren Vorfahren herkommen, bewegt viele Menschen im Land.

Foto: dpa/Felix Kästle

Bahar Aslan ist Kölnerin, im Rheinland aufgewachsen, hat hier Abitur gemacht, einen deutschen Pass, ihr Studium erfolgreich hinter sich gebracht und arbeitet heute als Autorin und Lehrerin. In Kindheit, Jugendzeit und als junge Erwachsene sei ihr immer wieder gesagt worden: Integration ist ganz wichtig. Wenn Ihr Euch in der Schule anstrengt und Erfolg habt, eine gute Ausbildung oder ein Studium macht, dann gehört Ihr dazu. Ihr Fazit daraus: „Ich erfahre also Anerkennung, weil ich etwas geschafft habe, nicht weil ich ich bin.“ Vielen Menschen, deren Eltern aus der Türkei gekommen sind, gehe es ähnlich.

Gerade deshalb hat sich Bahar Aslan am Wochenende sehr geärgert – und ihre Verärgerung ist auch am Montagnachmittag am Telefon noch spürbar –, als bekannt wurde, dass die Stuttgarter Polizei in Standesämtern nachgefragt hat, welche Nationalität die Eltern von mutmaßlichen Tatverdächtigen haben. Bahar Aslan will klarstellen, dass sie nicht in Ordnung findet, wenn, wie in Stuttgart, Menschen Straftaten begehen oder pöbelnd durch die Stadt ziehen. Dennoch sieht auch sie sich ausgegrenzt. „Jetzt will also eine Polizei wissen, wo ich wirklich herkomme“, sagt sie im Gespräch mit dem General-Anzeiger. Dass eine mögliche Straftat im Zusammenhang mit der Herkunft der Eltern steht, darin sieht sie „die Befriedigung eines öffentlichen Interesses, das rassistisch motiviert“ sei, fügt die Kölnerin hinzu.

Kritik an Stuttgarter Polizei

Kritik an der Stuttgarter Polizei – zuweilen als „Stammbaumforschung“ bezeichnet – wird in diesen Tagen von vielen Seiten geübt. Michael Maatz, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, sagt zum Beispiel: „Das ist ein Ermittlungsansatz, der entbehrlich ist.“ Es sei wichtig, lückenlos aufzuklären und Ross und Reiter zu nennen, also auch zu sagen, welche Staatsbürgerschaft die Täter hätten. „Dass Menschen kriminell werden, hat aber nichts damit zu tun, ob Eltern oder Großeltern zugewandert sind, sondern eher mit fehlender Bildung und Erziehung sowie mangelnder Integration.“

Die nordrhein-westfälische Polizei legt unterdessen Wert darauf, dass die Vorgehensweise aus Stuttgart nicht Teil ihrer polizeilichen Arbeit ist, wie eine Sprecherin in Düsseldorf dem GA mitteilt. Auch die Polizeibehörden in Bonn und Köln äußern sich ähnlich.

Ermittlungen zu Familien, um kriminelle Strukturen aufzudecken

„Über den Namen hinausgehende Recherchen im familiären Umfeld“ könnten im Einzelfall aber schon einmal notwendig sein, wenn bei Namensgleichheit familiäre Hintergründe für eine zweifelsfreie Identifizierung erforderlich sind“, heißt es in Köln. Nach GA-Informationen werden im Zusammenhang mit Clankriminaltät oder der Mafia zuweilen Ermittlungen zu Familien durchgeführt, um kriminelle Strukturen aufzudecken.

Derweil hat sich der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) hinter das Vorgehen der Polizei nach der Stuttgarter Krawallnacht gestellt. Eine Stammbaumforschung, so Strobl, finde nicht statt. Die Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse könne aber ein Teil der polizeilichen Ermittlungen sein. „Das ist wichtig etwa für die strafrechtliche Aufar­beitung und für geplante Präventionsmaßnahmen“, so der Innenminister am Montagnachmittag.

Der Kölner Kriminologe Frank Neubacher nennt das, was in Stuttgart gemacht worden ist, eine „ungewöhnliche Vorgehensweise der Polizei“. Er meldet Zweifel an, ob es überhaupt sinnvoll ist, wenn für Präventionskonzepte in erster Linie die Polizei zuständig ist.

Polizei kümmert sich vermehrt um kommunale Kriminalprävention

„Kriminalprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wenn es um lokale Gruppen von jungen Menschen geht, die Corona-bedingt frustriert und alkoholisiert durch die Stadt ziehen, müsste es zunächst die Aufgabe der kommunalen Behörden sein, Prävention zu betreiben“, sagt der Direktor des Instituts für Kriminologie der Kölner Uni und meint damit Jugend- und Ordnungsämter, die sich gegebenenfalls mit der Polizei abstimmen könnten. „Die Polizei greift ein, wenn es knallt, warum sollte die Polizei allein auch für das Aufräumen zuständig sein?“, also die Prävention in Angriff zu nehmen, fragt Neubacher. Vielmehr sei es sinnvoll, mehr auf die Expertensicht der Sozialarbeiter zu setzen.

Neubacher sieht seit den 90er Jahren eine Tendenz dazu, dass sich die Polizei vermehrt um kommunale Kriminalprävention kümmert. Statt vor allem repressiv wahrgenommen zu werden, habe die Polizei mehr das Image eines Kümmerers angenommen. Sie sei damals in Lücken gestoßen und habe „ein schönes Betätigungsfeld“ gefunden, auch weil andere Akteure wie kommunale Behörden sich mehr und mehr aus der Prävention zurückgezogen hätten. Aus seiner Sicht hat man der Polizei das Feld zu sehr überlassen.

Kritisch sieht Neubacher auch Landesprogramme wie „Kurve kriegen“ für jugendliche Intensivtäter. Das habe sicher Teilerfolge gezeitigt, doch dass hier pädagogische Arbeit unter dem Dach der Polizei durchgeführt wird, das hält er für wenig sinnvoll. „Die Jugendämter sind in erster Linie für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zuständig“, sagt der Kriminologe.

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