Untersuchungsausschuss zur Ahr-Flut Lagezentrum: Katastrophe war in Flutnacht nicht vorstellbar

Mainz · Was wusste das Innenministerium in der Flutnacht an der Ahr im Juli 2021? Dazu hat der Untersuchungsausschuss am Freitag zwei Beamte befragt, die eine Chronologie des Abends schilderten.

Ein Bild der Verwüstung: Eine völlig zerstörte Brücke wenige Tage nach der Flut in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Ein Bild der Verwüstung: Eine völlig zerstörte Brücke wenige Tage nach der Flut in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Foto: dpa/Boris Roessler

Das Lagezentrum im rheinland-pfälzischen Innenministerium ist während der Flutnacht mit mindestens 135 Toten von einem punktuell extrem starken Hochwasser ausgegangen. Das berichtete ein Mitarbeiter des Lagezentrums am Freitag im Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe des rheinland-pfälzischen Landtags. „Im Nachgang stellt sich uns die Frage, woher kam dieses Informationsdefizit in Richtung Lagezentrum?“, sagte David Wincek. „Wir sind von einem klassischen Hochwasser ausgegangen“, bestätigte sein Kollege Jörn Grünhagen.

In der Flutnacht sei er kurz vor Dienstschluss um 6 Uhr von einem Schwerpunkt der Lage in Trier, dem Eifelort Kordel und dem Ahrort Schuld ausgegangen, sagte der 54 Jahre alte Lagebeamte. Allerdings habe es für Schuld keinen Hinweis auf eine notwendige Luftrettung gegeben. Er habe noch von zwei Leuten in Kordel auf einem Dach und von zwei vom Wasser in einem Wagen eingeschlossenen Einsatzkräften bei Kordel gewusst, berichtete Grünhagen.

Lagezentrum: Ausmaß der Tragödie war nicht klar

Während der Vernehmung von Wincek wurden zwei - insgesamt 20 Minuten lange - Videos eines Polizeihubschraubers mit Aufnahmen vom 14. Juli ab 22.15 Uhr an der Ahr gezeigt und die Öffentlichkeit dazu ausgeschlossen. Die Landesregierung habe die Videos nicht freigegeben, weil Personen in Notsituationen darauf identifiziert werden könnten, erläuterte der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) im Anschluss vor den von den Videos sichtlich mitgenommenen Abgeordneten.

Die Videos hätten dem Lagezentrum in der Nacht nicht vorgelegen, er wisse auch nicht, wo sie gelandet seien, sagte Wincek. „Bis zu meinem Dienstende um 2.30 Uhr war mir nicht bewusst, welches Ausmaß diese Tragödie hatte“, hatte der 39-Jährige zuvor gesagt. Die Wörter „Flutwelle“ oder „Sturzflut“ seien ihnen in ihrem Dienst in der Nacht und auch danach nicht begegnet, sagten die beiden Beamten auf diese Frage von Haller.

Das Lagezentrum sei gegen 21.30 Uhr vom Polizeipräsidium Koblenz darüber informiert worden, dass auf dem Campingplatz in Dorsel ein Camping-Mobil mit einem Menschen abgetrieben sei und in Schuld mehrere Häuser eingestürzt seien, berichtete Grünhagen. Daraufhin sei das Polizeipräsidium Koblenz aufgefordert worden, eine sogenannte Besondere Aufbauorganisation (BAO) einzurichten, sagte Wincek. Die Bestätigung dafür sei um 22.30 Uhr gekommen.

Um 23.40 Uhr habe er Fotos der Polizeihubschrauberstaffel bekommen, auf der die Ahr als eine große Wasserfläche mit Häusern zu sehen war, die teilweise bis zum Dach unter Wasser standen, berichtete Wincek. Diese Bilder habe er an das Büro von Innenminister Roger Lewentz (SPD) weitergeleitet. Erkenntnisse über Verletzte oder gar Tote habe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Grünhagen sagte, er sei auch dann noch von einer Hochwasser-Lage ausgegangen. Die Dimension, die dies im Ahrtal hatte, sei nicht absehbar und auch nicht vorstellbar gewesen.

Lagezentrum stand nicht in Kontakt mit dem Kreis Ahrweiler

Zum Anruf von Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) im Lagezentrum sagte Wincek, es komme nicht oft vor, dass ein Staatssekretär aus einem anderen Ministerium anrufe. Zu der Information von Manz, dass ein extremer Pegelstand von mehr als 6,80 Meter erreicht sei, hätte das Lagezentrum aber mehr Informationen gebraucht. Die Beamten hätten nicht gewusst, „wozu das führt“. Grünhagen sagte, über den Anruf sei nicht viel gesprochen worden und das Wort „Katastrophe“ auch nicht bei ihm angekommen, „sonst hätten wir mit der ADD Rücksprache gehalten“.

Grünhagen berichtete auch, die Lagebeamten hätten sich im nördlichen Rheinland-Pfalz nicht gut ausgekannt. Zudem habe es Kommunikationsprobleme mit der dem Innenministerium unterstellten und für Katastrophenschutz zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) gegeben, sagte der 54-Jährige. Diese seien auf eine Priorisierung der Rettung mit Hubschraubern hingewiesen worden.

Mit dem Kreis Ahrweiler sei das Lagezentrum zu keinem Zeitpunkt direkt in Kontakt gewesen, sagte Wincek. Die Bevölkerung sei auch nicht gewarnt worden. Die Verantwortung für das MoWaS-System des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe habe die oberste Katastrophendienststelle gehabt, erläuterte der 39-Jährige.

Mit dem Innenminister habe der Leiter des Lagezentrums in der Flutnacht einmal persönlichen Kontakt gehabt. Dabei sei es vor allem um die Anforderung von Hubschraubern und die Lage auf dem Campingplatz in Dorsel gegangen. Die weitere Kommunikation sei über das Minister-Büro gelaufen. Es sei Usus, das Ministerbüro „über jede Kleinigkeit“ und niederschwellig zu informieren. „Der Minister ist sehr wissbegierig, was die Innere Sicherheit und die Lage betrifft.“ Erst vor einigen Wochen habe er angerufen und gefragt was los sei, nachdem er ein Martinshorn in seinem Heimatort gehört habe.

(dpa)
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