Meldeplattform im Internet Lehrer stehen am Pranger der AfD

Berlin · Die Partei beruft sich bei ihrem Online-Angebot, das es Schülern ermöglicht, Lehrer zu melden, auf das Neutralitätsgebot. Kritiker sprechen hingegen von einer Denunziationsplattform.

 Schüler in einer Grundschule in Rostock: Auch in Mecklenburg-Vorpommern will die AfD eine Meldeplattform einrichten.

Schüler in einer Grundschule in Rostock: Auch in Mecklenburg-Vorpommern will die AfD eine Meldeplattform einrichten.

Foto: dpa

Der Kampf der AfD um die gesellschaftspolitische Deutungshoheit ist in den Klassenzimmern angekommen. Die AfD-Fraktion in Hamburg war die erste, die Schüler und Eltern dazu aufrief, Lehrer zu melden, die sich negativ über die AfD äußerten. Nun entstehen auch in anderen Bundesländern solche Onlineportale. Konkrete Planungen der AfD gibt es für Sachsen, Bayern, Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bremen und Sachsen-Anhalt. Was die AfD in großem Stil inszeniert, scheint bislang von Schülern und Eltern nicht sehr ernst genommen zu werden. 90 Prozent der Einträge seien satirischer Art, betont der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger.

Die AfD aber meint es ernst. Die Hamburger prangern auf ihrer Internetseite „Informationsportal Neutrale Schule“ Verstöße gegen das Neutralitätsgebot für Lehrer an. „Diese reichen von plumpem AfD-Bashing über fehlerhaftes und unsachliches Unterrichtsmaterial bis hin zu Pädagogen, die mit ,FCK-AfD-T-Shirts‘ vor die Schüler treten“, heißt es auf der Seite.

Sollten Lehrer tatsächlich im Unterricht T-Shirts mit politischem Statement tragen, dann verstoßen sie gegen das Neutralitätsgebot, das ihnen ihr Job auferlegt. „Das Neutralitätsgebot muss eingehalten werden. Da gibt es kein Vertun. Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei. Insofern ist der Beamte, die Beamtin zur Neutralität verpflichtet“, sagt Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes.

Mit Thesen der AfD kritisch auseinander setzen

Der Verbandschef sieht aber dennoch die Notwendigkeit, sich im Unterricht mit den Thesen der AfD kritisch auseinanderzusetzen. „Wenn aber von Politikern verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt werden, rechtsextremistisch oder linksextremistisch, dann haben Lehrer die Verpflichtung, auf der Basis der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufklärend tätig zu werden. Das gilt auch, wenn beispielsweise von einem AfD-Politiker der Holocaust geleugnet wird.“

Also: Ein Anti-AfD-T-Shirt darf ein Lehrer im Unterricht genauso wenig tragen wie einen Anti-Atomkraft-Sticker. Zu Letzterem gibt es sogar ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Für Lehrerverbandschef Meidinger ist das aber kein Anlass, im Unterricht kontroverse Debatten zu vermeiden: „Die Schüler sollen zu mündigen Staatsbürgern erzogen werden. Man muss auch über problematische Positionen diskutieren können.“ Wenn ein Lehrer seine persönlichen Ansichten äußere, müsse er diese kennzeichnen. Sie dürften keinesfalls die Notengebung beeinflussen.

„Ich habe aber keinerlei Anlass daran zu zweifeln, dass die übergroße Mehrheit der deutschen Lehrerschaft mit ihrer Aufgabe der politischen Bildung verantwortungsbewusst umgeht“, betont Meidinger, der auch darauf verweist, dass politische Bildung nicht nur eine Aufgabe des Gemeinschaftskunde- oder Politikunterrichts sei. „Sie ist eine Querschnittsaufgabe, die von allen Lehrkräften wahrgenommen wird.“

Material gegen Lehrer

Während die AfD heute Material gegen Lehrer sammelt, die offensiv die etablierte Parteipolitik verteidigen, sah sich der Staat Anfang der 70er Jahre veranlasst, extremistischen Einfluss aus Klassenzimmern und Amtsstuben per Radikalenerlass fernzuhalten. 1967 hatte Rudi Dutschke seine Verbündeten zum „Marsch durch die Institutionen“ aufgefordert. Zwischen 1972 und 1985 überprüfte der Staat 3,5 Millionen Personen auf ihre Demokratiefestigkeit. 1250 überwiegend als linksextrem eingestufte Lehrer und Hochschullehrer wurden damals nicht eingestellt, rund 260 Personen entließ der Staat.

Lehrer prägen Schüler mit ihrer ganzen Persönlichkeit. Es wäre lebensfremd, politische Debatten aus Schulen herauszuhalten – insbesondere in einer Zeit, da sich die Spaltung der Gesellschaft in Großdemonstrationen auf der Straße und in wütenden Wortwechseln in den sozialen Netzwerken zeigt.

Der Geilenkirchener Gesamtschulleiter Uwe Böken, gegen den ein AfD-Abgeordneter Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt hat, sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk: „Neutralität bedeutet nicht, dass ich meinen eigenen Verstand in dem Moment an die Garderobe hänge, wenn ich die Schule betrete.“ Er könne Kinder und Jugendliche nur zu mündigen Bürgern erziehen, wenn er sich „sowohl historisch mit Ereignissen auseinandersetze als auch aktuell politisch mit Ereignissen“. Böken war ins Visier der AfD geraten, nachdem er in einem Interview gesagt hatte, seit der Bundestagswahl säßen wieder „rechtsextreme Abgeordnete“ im Bundestag – ohne die AfD explizit zu nennen. Bei Verstößen gegen die Neutralitätspflicht findet auch Böken Meldungen richtig – nicht aber auf einer „Denunziationsplattform“. Man müsse mit den Kollegen darüber sprechen und den Fall auch untersuchen.

Kontroverse Debatte

Mit der Aktion hat es die AfD erneut geschafft, sich vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen in die kontroverse öffentliche Debatte zu bringen. Lehrerverbandschef Meidinger sieht zugleich den Versuch, Lehrer mit solchen Portalen einzuschüchtern. „Die AfD will verhindern, dass eine kritische Auseinandersetzung mit AfD-Positionen im Politikunterricht stattfindet“, sagt Meidinger, aus dessen Sicht der Schuss aber nach hinten losgegangen sei. „In der Lehrerschaft ist eher eine Solidarisierungswelle erkennbar.“

Es spricht wiederum für die politische Reife der Schülerschaft, dass sie das Denunziationsangebot der AfD überwiegend satirisch beantwortet. Dennoch hat diese Auseinandersetzung einen ernstzunehmenden Kern. Sie belegt einmal mehr, dass die AfD auch vor den Mitteln autoritärer Systeme nicht zurückschreckt, um ihre Interessen durchzusetzen.

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