GA-Interview mit Verdi-Chefin Leni Breymaier: "Alte Stereotype wirken noch heute fort"

BONN · Im GA-Interview spricht die Verdi-Chefin von Baden-Württemberg, Leni Breymaier, über Rollenklischees und die speziellen Anforderungen in typischen Frauenberufen.

 Die 1960 in Ulm geborene Leni Breymaier ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Seit 1982 arbeitet Breymaier hauptamtlich als Gewerkschafterin, seit 2007 ist sie Landesbezirksleiterin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende der Landes-SPD.

Die 1960 in Ulm geborene Leni Breymaier ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Seit 1982 arbeitet Breymaier hauptamtlich als Gewerkschafterin, seit 2007 ist sie Landesbezirksleiterin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende der Landes-SPD.

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Leni Breymaier, Verdi-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, fordert höhere gesellschaftliche Wertschätzung und mehr Lohn für typische Frauenberufe. Mit Breymaier sprachen Markus Grabitz und Norbert Wallet.

Frau Breymaier, wir sind der Meinung, dass es keine Lohndiskriminierung in Deutschland gibt. Was stört Sie an der Feststellung?Leni Breymaier: Es gibt eine historisch gewachsene Diskriminierung bei der Bezahlung berufstätiger Frauen. Bis zum Jahre 1977 hieß es noch im BGB: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist." Frauen sollten eigentlich gar nicht arbeiten, und wenn, dann verdienten sie eben ein bisschen dazu. Diese Struktur wirkt bis heute nach.

Aber die heutigen Frauen entscheiden selbstbewusst und souverän über ihre Berufswahl.
Breymaier: Ja, aber die Rahmenbedingungen sind noch die gleichen. Wir haben immer noch das Ehegattensplitting, das auf dem klassisch-patriarchalischen Rollenbild basiert. Es kann auch gar nicht die Rede von einer flächendeckenden Kleinkindbetreuung sein, die Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erheblich erleichtern würde.

Nichts von dem hat mit dem Thema Lohndiskriminierung irgendetwas zu tun.
Breymaier: Doch, natürlich. Es sind alles Beispiele dafür, dass alte Stereotype heute noch fortwirken. Typische Frauenberufe werden schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Und in typischen Frauenbranchen wird weniger verdient als in typischen Männerbranchen.

Wenn in Sozialberufen anders gezahlt wird als in Ingenieursberufen, ist das doch keine Geschlechtsdiskriminierung. Auch ein männlicher Erzieher verdient weniger als ein männlicher CNC-Dreher.
Breymaier: Das eine stimmt: Männer in typischen Frauenbranchen verdienen auch weniger, Frauen in typischen Männerbranchen verdienen auch mehr. Da sind wir uns einig. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass bei typischen Frauenberufen wesentliche Anforderungen erheblich unterbewertet werden: etwa die gesamte psychosoziale Kompetenz, die in Berufen notwendig ist, in denen mit Menschen umgegangen wird. Ganz zu schweigen von den psychischen Belastungen für die betreffenden Mitarbeiter. Das betrifft aber den gesamten Dienstleistungsbereich: Einfühlungs- und Kommunikationsfähigkeit, Belastungen durch die öffentliche Ausübung des Berufes - etwa als Kassiererin. All diese Faktoren finden bei der Bezahlung durchweg keine angemessene Berücksichtigung. Der Versuch, das zu verändern, macht einen wichtigen Teil unserer gewerkschaftlichen Arbeit aus. Wir werden dieser Tage die Öffentlichkeit wieder strapazieren müssen, wenn wir in den Kindertagesstätten streiken werden. Es geht um die Aufwertung des typischen Frauenberufs der Erzieherin.

Dann sollen junge Frauen eben verstärkt typische Männerberufe wählen.
Breymaier: Sie stellen eine Selbst-schuld-Theorie auf. So einfach ist es nicht. Irgendjemand muss sich um die Alten in unserer Gesellschaft kümmern, irgendjemand muss sich um die Betreuung der Kinder kümmern. Es kann doch nicht sein, dass es eine ganze Gesellschaft hinnimmt, dass diese Tätigkeiten als minderwertig angesehen werden. Offenbar gibt es gesellschaftliche Strukturen, die dazu führen, dass von Frauen geleistete Arbeit weniger anerkannt wird. Ganz zu schweigen davon, dass Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit leisten.

Das Reden von Lohnlücke und Diskriminierung suggeriert doch vor allem eines - einen fiesen Arbeitgeber, der mutwillig Frauen schlechter behandelt als Männer. Unsere These: Den gibt es nicht.
Breymaier: Den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit haben wir von den gesetzlichen Rahmenbedingungen her umgesetzt. Wenn im Einzelfall unterschiedliche Löhne bezahlt werden, kann man dagegen klagen.

Mehr wollten wir gar nicht sagen.
Breymaier: Wir unterscheiden uns in einem Punkt: Frauen müssen leider erkennen, dass Diskriminierung nicht allein im konkreten tariflichen Vertragsverhältnis geschehen kann. Auch gesellschaftlich tief eingeprägte Strukturen können diskriminieren. Das wirkt ganz tiefgehend - bis hin zur Teilhabe von Frauen an Führungspositionen und ihrer Bezahlung.

Zur Person

Die 1960 in Ulm geborene Leni Breymaier ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Seit 1982 arbeitet Breymaier hauptamtlich als Gewerkschafterin, seit 2007 ist sie Landesbezirksleiterin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende der Landes-SPD.

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