Interview mit dem FDP-Chef Lindner will in den demokratischen Normalbetrieb zurückkehren

Interview · Die Corona-Krise dominiert den politischen Betrieb in Deutschland seit Wochen. FDP-Chef Christian Lindner fordert nun ein Ende der Regierungs-Sonderrechte und die Rückkehr zum demokratischen Normalbetrieb.

 Fordert, dass alle Bürger die Corona-App installieren: FDP-Chef Christian Lindner.

Fordert, dass alle Bürger die Corona-App installieren: FDP-Chef Christian Lindner.

Foto: picture alliance/dpa/Sonja Wurtscheid

Deutschland hat die niedrigste Covid-19-Sterblichkeitsrate. Ist es Zeit, die Regierung zu loben?

Christian Lindner: Die staatliche Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Gemeinden hat gut reagiert. Vor allem waren die Menschen verantwortungsbewusst. Darauf können wir aufbauen. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie-Bekämpfung sind aber leider größer als sie sein müssten. Der Strategiewechsel auf Hygiene- und Abstandsregeln im Alltag, auf regionalisierte Zugänge und auf digitale Möglichkeiten der Nachverfolgung wäre nämlich früher möglich gewesen. Aber schauen wir nach vorn. Corona ist regional von den Behörden beherrschbar. Der epidemische Fall von nationaler Tragweite kann beendet werden, sodass die Sonderrechte der Bundesregierung wieder an das Parlament zurückgehen sollten. Wir können zum demokratischen Alltag zurück.

Haben Sie die Corona-App schon runtergeladen?

Lindner: Ja, und ich empfehle das allen Bürgerinnen und Bürgern. Da die  Datenschutzgrundverordnung auch für die Corona-App gilt, habe ich keine Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre. Dass es damit so lange gedauert hat, spricht übrigens für die Einrichtung eines spezialisierten Digitalministeriums, um solche Vorgänge zu beschleunigen.

Finanzminister Scholz plant eine Rekordneuverschuldung von 220 Milliarden Euro. Hätte auch weniger gereicht?

Lindner: Ja, die Schulden sind zu hoch. Das muss alles einmal zurückgezahlt werden. Man sollte also bei jeder Maßnahme fragen, ob sie wirklich Arbeitsplätze sichert und Strukturprobleme beseitigt. Zum Beispiel bin ich von der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer nicht überzeugt. Es wäre besser gewesen, auf Dauer kleine und mittlere Einkommen bei der Lohn- und Einkommensteuer zu entlasten. Das hätte die Zuversicht der Menschen gestärkt, statt mit riesigem Bürokratismus die Mehrwertsteuer vorübergehend zu senken. Gleichzeitig nehmen wir viel mehr Schulden auf als nötig, weil die Asyl-Rücklage nicht aufgelöst wird. Das sind knapp 50 Milliarden Euro. Kein Kaufmann würde Schulden machen, wenn er noch eine Rücklage hat. Offenbar will sich Herr Scholz hier eine Kasse für Wahlgeschenke im kommenden Jahr anlegen.

Der Bund übernimmt künftig auf Dauer 75 Prozent der Kosten der Unterkunft von Sozialleistungsbeziehern. Macht die FDP bei der Grundgesetzänderung mit?

Lindner: Ja, für dieses Vorhaben werden wir den Weg frei machen. Die Kommunen werden so entlastet und erhalten finanzielle Spielräume. Wenn wir über Kitas und Schulen sprechen, geht es auch immer um Investitionen durch die Kommunen. Ich hoffe, dass damit vor Ort gezielt die Bildungsinfrastruktur verbessert wird. Für den Rheinisch-Bergischen Kreis zum Beispiel, wo ich meinen Wahlkreis habe, macht das pro Jahr bis zu 14 Millionen Euro aus. Damit kann man schon etwas anfangen.

Auch die Sozialkassen haben derzeit viele Corona-Hilfen zu leisten. Wann ist als Folge mit steigenden Beiträgen zu rechnen?

Lindner: Im Augenblick haben wir es mit drei Problemen gleichzeitig zu tun: Die Kosten durch die Pandemie, die Alterung der Gesellschaft und die in den letzten Jahren entstandenen neuen sozialstaatlichen Leistungen, die nur in wirtschaftlichen Boomzeiten finanzierbar sind. Deshalb muss es ein Moratorium für weitere Belastungen der Sozialkassen geben. Angesichts der starken Rezession müssen wir uns fragen, wo der Sozialstaat treffsicherer wird, wie er diejenigen erreicht, die wirklich bedürftig sind. Und wir sollten das soziale Netz zum Trampolin machen, das Hilfeempfänger wieder in die Eigenverantwortung bringt.

In Umfragen liegt die FDP zwischen vier und sieben Prozent – macht Ihnen das Sorgen?

Lindner: Die Frage ist, wer sich im Moment wirklich überlegt, wen er im September 2021 wählen will. Wir beteiligen uns deshalb ganz sachlich an den Debatten. Die Wahrnehmung hat sich in den letzten Monaten auf die Regierung konzentriert. Alle Oppositionsparteien haben das zu spüren bekommen. Vor allem war der Charakter des strengen Landesvaters populär, nicht unser Eintreten für Freiheitsrechte und Öffnungen. Wir sahen das trotzdem als unsere Aufgabe an, selbst wenn man dafür nur wenig Applaus bekam.

Wollen Sie nach der nächsten Bundestagswahl tatsächlich regieren?

Lindner: Ja, genauso wie nach der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nur müssen die Inhalte stimmen. Wir haben gute Beiträge für die Zukunftsfähigkeit, für Arbeitsplätze, für Digitalisierung. Die Frage nach bürgerlichen Freiheitsrechten und nach der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe ist nicht nur bei der Pandemie-Bekämpfung wichtig, sondern auch in der Wirtschaft. Der Staat lässt seine Tentakel immer tiefer hineinwachsen, verstaatlicht Unternehmen, verschuldet sich. Das alles verändert das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Deutschland braucht hier dringend Alternativen.

Welche Machtoptionen hat die FDP denn?

Lindner: Wir regieren in den Ländern mit allen staatstragenden Kräften, also mit Union, SPD und Grünen. Ein gutes Beispiel ist hier NRW. Die Zusammenarbeit mit der CDU unter Armin Laschet funktioniert gut – auch für den Bund könnte Schwarz-Gelb ein interessantes Modell sein.

Ihre 13 Amtsvorgänger waren im Schnitt 4,8 Jahre lang Parteivorsitzende. Sie sind es nun bald seit sieben Jahren. Denken Sie daran, das Feld für eine Nachfolge zu bereiten?

Lindner: Nun ja, ich bin 41 Jahre alt und hochmotiviert. Mein Ziel ist es, die FDP in Regierungsverantwortung zu führen und etwas für das Land zu bewirken. Ich sehe es als meinen Auftrag, die FDP im Bund wie hier zuvor in Nordrhein-Westfalen erkennbar als Gestaltungsfaktor in einer Regierung zu platzieren. Dieser Auftrag ist noch nicht erledigt.

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