GA-Interview mit Torsten Verell „Massiver Kontrolldruck, Gefährderansprachen, Auto-Sicherstellungen“

Bonn · Der Bonner Kriminologe Torsten Verell spricht im Interview über den Kölner Prozess, die Raserszene und Möglichkeiten, illegale Autorennen zu verhindern.

Torsten Verrell

Torsten Verrell

Foto: Uni Bonn

Die Anklage im Kölner Raser-Prozess lautet unter anderem auf fahrlässige Tötung. Mit welcher Strafe müssen die Angeklagten rechnen?
Torsten Verrel: Bei diesen Vorwürfen reicht der Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein besonders leichtfertiges und gefährliches Verhalten, sodass ich bei einem Schuldspruch von einer mehrjährigen Freiheitsstrafe ausgehe.

Wie wird das Gericht das Verhalten der Verursacher nach dem Unfall bewerten? Polizisten berichteten, die Männer hätten sich nicht um die Verletzten gekümmert und sich teilnahmslos verhalten.
Verrel: Das Verhalten nach der Tat ist ein Strafzumessungsgrund, der auch zulasten der Angeklagten gewertet werden kann. Für das Gericht wird im Falle einer Verurteilung insbesondere eine Rolle spielen, wie die Angeklagten sich im Prozess verhalten, wie sie heute zu der Tat und ihren Folgen stehen, ob sie einsichtig geworden sind und aufrichtige Reue zeigen.

Auch strafmindernd?
Verrel: Wenn sie deutlich zeigen, dass sie sich mit der Tat und ihren Folgen auseinandergesetzt haben und ein Signal der Umkehr an die Raserszene geben, kann das strafmindernd wirken.

Ist der Strafrahmen angemessen?
Verrel: Für die Angehörigen wird wahrscheinlich kein Strafmaß angemessen sein, auch wenn es im Vergleich zu anderen fahrlässigen Tötungen im Straßenverkehr hoch ausfällt. Das Strafverfahren kann nicht das Leid kompensieren, das Eltern und Verwandte der Opfer erleiden. Es kann aber vielleicht dabei helfen, die Tat zu verarbeiten.

Kann man in so einem Fall eigentlich von „Fahrlässigkeit“ sprechen? Ist das nicht verharmlosend oder zumindest missverständlich?
Verrel: Im konkreten Fall hat das Gericht es mit einem besonders erschreckenden Maß von Leichtfertigkeit und Rücksichtslosigkeit zu tun. Die Schwelle zu einer vorsätzlichen Tat ist aber erst dann überschritten, wenn sich die Täter vorgestellt haben, dass ihre Wettfahrt tödlich enden kann und das auch billigend in Kauf genommen haben. Da man jedoch als Fahrer von einem möglichen Unfall selbst betroffen wäre, liegt eine solche Billigung selbst bei riskantem Verhalten in aller Regel nicht vor, sondern vertrauen die Täter darauf, dass nichts passieren wird. Das Gericht wird aber auch bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung das äußerst leichtsinnige Verhalten straferschwerend berücksichtigen.

Reichen die bestehenden Gesetze aus, wenn Raser ihre Autos wie Waffen gebrauchen?
Verrel: Die juristischen Mittel, gegen Raser vorzugehen, sind da und sie reichen aus. Die Probleme liegen darin, rechtzeitig Kenntnis von Gefahrenlagen zu erlangen und bei potenziellen Tätern das Bewusstsein dafür zu erzeugen, wie gefährlich ihr Verhalten für andere ist und welche einschneidenden rechtlichen Konsequenzen ihnen drohen. Dafür ist die Verherrlichung von Geschwindigkeit, irrwitzigen Rennen und Verfolgungsfahrten, wie sie in vielen Spielfilmen, Serien und Computerspielen zu sehen ist, leider nicht hilfreich.

Welche Maßnahmen sind denkbar, um die Bevölkerung besser zu schützen?
Verrel: Die Botschaft, die von Strafverfahren und Verurteilungen ausgeht, ist wichtig, darf aber nicht überschätzt werden. Noch mehr Erfolg verspricht ein massiver Kontrolldruck auf die Raserszene, der nicht nur Geschwindigkeitsüberwachungen, sondern auch Gefährderansprachen, Auto-Sicherstellungen und das Einschreiten gegen Rasertreffen umfasst. Da ist übrigens auch die Bevölkerung gefragt, die die Polizei informieren muss, wenn es zu solchen Ansammlungen kommt. Es geht darum, das Risiko einer Entdeckung und Sanktionierung glaubhaft zu erhöhen.

Zudem hat nicht nur die Polizei, sondern haben auch Eltern, Schulen und das weitere soziale Umfeld die schwierige Aufgabe, gerade jungen Menschen klar zu machen, wie fatal falsch verstandene Motorleidenschaft und Imponiergehabe auf der Straße sein können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Helge Matthiesen
zu fehlenden Ärzten in
Am Bedarf vorbei
Kommentar zum ÄrztemangelAm Bedarf vorbei
Zum Thema
Jana Wolf, Berlin,
zur politischen Debatte
Planlose Reformidee
Kommentar zum AbtreibungsgesetzPlanlose Reformidee
Aus dem Ressort
Armutszeugnis
Kommentar zum Zustand der Schulen in NRW Armutszeugnis