Kenia, Jamaika, Simbabwe Mehrfach-Bündnisse werden in Deutschland immer mehr zu Regel

Berlin · Kenia, Jamaika, Simbabwe: Alleinregierungen sind Geschichte in Deutschland. Mehrfach-Bündnisse werden zur Regel. Je nach Wahlausgang in Thüringen und den laufenden Verhandlungen in Sachsen sitzen dann die Vertreter von acht Zweier- und acht Dreier-Bündnissen im Bundesrat.

 Der Bundesrat (Archiv)

Der Bundesrat (Archiv)

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Die bunte Bundesrepublik war über lange Zeit eine bestenfalls gut gemeinte Multikulti-Vision. Seit diesem Freitag ist die bunte Republik endgültig auch in den seriösen Staatsorganen Wirklichkeit geworden. SPD, CDU und Grüne haben sich in Brandenburg nach dem Vorbild in Sachsen-Anhalt ebenfalls zu einer Kenia-Koalition zusammen gefunden. Je nach Wahlausgang in Thüringen an diesem Sonntag und den laufenden Verhandlungen in Sachsen sitzen dann die Vertreter von acht Zweier- und acht Dreier-Bündnissen im Bundesrat. Das Regieren auf Länder- und vor allem auf Bundesebene wird dadurch schwieriger, komplizierter und weniger verlässlich.

Ein Blick in die Geschichte

Wer den weiten Weg zur bunten Republik ermessen will, sollte kurz in eine geschichtliche Phase eintauchen, in der sich das politische Establishment für die nächsten Jahrzehnte scheinbar fest gefügt hatte. Nehmen wir etwa das Jahr 1980. Damals gab es in der alten Bundesrepublik (ohne den Sonderfall Berlin) in den Ländern acht Alleinregierungen und zwei Koalitionsregierungen. Das war die Zeit, in der die SPD-geführte Bundesregierung, um Gesetze durch den Bundesrat zu bringen, zuerst die so genannten „A-Länder“ beackerte, in denen eigene Genossen den Hut auf hatten, dann mit den „B-Ländern“ in Verhandlungen eintrat, die von Unionsministerpräsidenten regiert wurden. Alles sehr übersichtlich. Das ist lange vorbei.

 Mehrfach-Bündnisse werden in Deutschland immer mehr zu Regel.

Mehrfach-Bündnisse werden in Deutschland immer mehr zu Regel.

Foto: grafik

Heute gibt es keine einzige Alleinregierung mehr. Es existieren noch zehn und bald wohl nur noch acht Zweier-Koalitionen. Darunter befinden sich lediglich zwei rot-schwarze und zwei schwarz-rote. Das bedeutet, dass die schwarz-rote Bundesregierung nur noch auf 14 Stimmen aus ähnlich regierten Ländern zählen kann. Um zustimmungspflichtige Gesetze durchbringen zu können, braucht sie aber 35 Stimmen. 

Rot-Rot ist Geschichte, sobald in Brandenburg SPD, CDU und Grüne das Okay der Basis zu Kenia bekommen. Das könnte gut sein. Denn SPD-Ministerpräsident Dieter Woidke hat die Verhandlungen in Potsdam so geführt, wie auch schon CDU-Regierungschef Daniel Günther sein schwarz-grün-gelbes Regierungsbündnis in Kiel klarziehen konnte: Nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner aus drei wenig kompatiblen Konzepten suchen, sondern jedem seine Kernanliegen gönnen. So vermag sich jede Partei im Regierungsprogramm wenigstens an einigen Stellen hundertprozentig wiederzufinden, statt sich mit keinem einzigen Punkt wirklich  identifizieren zu können.

Ähnlich zuversichtlich waren die drei Parteien in Sachsen-Anhalt ans Werk gegangen. Zwischenzeitlich knirscht es hier jedoch, gibt es gegenseitige Vorwürfe, sich nicht an Absprachen zu handeln. Auch in Sachsen laufen Kenia-Koalitionsgespräche. Sie sind durch das Erstarken der AfD nötig geworden. Weil zugleich die Volksparteien schrumpften, reicht es nicht mehr zu großen Koalitionen, brauchen CDU und SPD mindestens einen weiteren Partner. Denn mit der AfD will derzeit keiner zusammen arbeiten.

Die Regierungsfarbenlehre folgt in ihren Bezeichnungen den farbenfrohen afrikanischen und karibischen Flaggen. Die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen in Rheinland-Pfalz ist wegen Rot, Gelb und Grün auch schon Tansania-Bündnis genannt worden. Jamaika für Schwarz-Gelb-Grün hat sich seit dem Bündnis in Schleswig-Holstein und den Sondierungen 2017 im Bund eingebürgert. Kenia für Schwarz-Rot-Grün könnte sich angesichts von bald drei derartigen Regierungen zum Modell für Deutschland entwickeln. Und CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring möchte in Thüringen am liebsten nach Zimbabwe wechseln.

Das afrikanische Land hat auf seiner Flagge Streifen aus Schwarz, Rot, Gelb und Grün. Darüber wird in Erfurt intensiv nachgedacht, seit das amtierende rot-rot-grüne Bündnis von Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow in sämtlichen letzten Umfragen die Mehrheit verloren hat. Aber auch ein Zusammengehen von CDU, SPD, Grünen und FDP hatte nach den letzten Erhebungen keine Mehrheit. Die aber wäre unbedingt nötig, um überhaupt an Sondierungen denken zu können.

Wenn es weder für Rot-Rot-Grün noch für Zimbabwe reicht, bedeutet das jedoch noch nicht die Unregierbarkeit des Bundeslandes in der Mitte Deutschlands. Laut Landesverfassung bleibt ein Ministerpräsident so lange geschäftsführend im Amt, so lange die Mehrheit des Landtages keinen Nachfolger gewählt hat. Ramelow könnte sich dann für seine Projekte wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen und erst einmal weitermachen. Auch die Minister von SPD und Grünen blieben geschäftsführend in ihren Ämtern. Vorsorglich hatte sich Thüringen schon einen Doppelhaushalt für zwei Jahre zugelegt, um Zeit für komplizierte Verhandlungen zu gewinnen.

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