Nach Anschlag in Dortmund Menschlichkeit gegen den Terror

BVB-Verantwortliche und Fans demonstrieren nach dem Anschlag auf den Dortmunder Mannschaftsbus Zusammenhalt. Der Fokus liegt auf der Gemeinsamkeit im Sport.

 Ein Anwohner spricht an einer Straßensperre in Dortmund mit einem Polizisten.

Ein Anwohner spricht an einer Straßensperre in Dortmund mit einem Polizisten.

Foto: dpa

Als Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke am Mittwoch um 9.50 Uhr mit seinem Auto auf das Trainingsgelände im Stadtteil Brackel rollt, stehen fünf Einsatzwagen der Polizei vor dem Zaun. Die Botschaft des Bosses teilt der BVB über die sozialen Medien mit: „Ich habe gerade in der Kabine an die Mannschaft appelliert, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken. Wir spielen heute nicht nur für uns. Wir spielen für alle.“

Am Mittag bittet Trainer Thomas Tuchel seine Profis für eine halbe Stunde auf den Platz. „Anschwitzen“ heißt das neuerdings. Manche Spieler verlassen das Gelände danach mit dem eigenen Wagen. Ein paar Stunden dauert es zu diesem Zeitpunkt noch bis zum Anpfiff eines denkwürdigen Spiels. Es ist die Partie nach dem Anschlag – dem Bombenangriff auf den Mannschaftsbus des BVB.

Spieler Marc Bartra ist einer von zwei Verletzten, die der Anschlag gefordert hat. Ein Polizist auf einem Motorrad, der den Bus – wie üblich – zum Stadion eskortieren sollte, erlitt zudem ein Knalltrauma. Er sei dienstunfähig, schreibt die Polizei. Auch Bartra wird seinen Beruf in den kommenden Wochen nicht ausüben können. „Bruch der Speiche im rechten Handgelenk und Fremdkörpereinsprengungen“, teilt der BVB als Diagnose mit. „Wir haben gehört, dass die Operation gut verlaufen ist“, sagt Vereinspräsident Reinhard Rauball. Sportdirektor Michael Zorc stattet Bartra einen Besuch im Krankenhaus ab.

Der Spanier verspricht , dass er das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen AS Monaco im Fernsehen verfolgen will und dem Team bei der Partie um den Einzug ins Halbfinale die Daumen drückt. Ihm gehe es bereits „deutlich besser“. Das schreibt der 26-Jährige am Mittwoch bei Twitter und Instagram auf Spanisch und Englisch. Auf einem Foto trägt der lächelnde Spanier einen Gipsarm und reckt den Daumen der gesunden linken Hand in die Luft: „Meine ganze Kraft widme ich meinen Mannschaftskameraden, den Fans und dem BVB“.

Die Kollegen von Bartra treffen sich am Mittwochmorgen, um sich auf eines der wichtigsten Spiele der Saison vorzubereiten. Die Chance ist da, unter die besten vier Mannschaften Europas zu kommen. Aber wie soll sich jemand darauf konzentrieren, wenn ihm kurz zuvor Nägel am Kopf vorbeigeflogen sind? Nur ein knapper Tag liegt zwischen Anschlag und Anstoß zur Neuansetzung des Spiels. Anders ist es angeblich nicht gegangen.

Sportlicher Erfolg bringt Terminnot. Die nächsten Wochen sind gepflastert in den Ligen und Pokalwettbewerben. Torsten Frings, ehemaliger Spieler des BVB und heute Trainer bei Darmstadt 98, schimpft in der „Bild“-Zeitung: „Es ist eine absolute Frechheit, dass die heute wieder spielen müssen.“

Auch Dortmunds Trainer Thomas Tuchel ist mit der schnellen Wiederansetzung des Champions-League-Spiels gegen den AS Monaco nur einen Tag nach der Attacke auf den BVB-Mannschaftsbus nicht einverstanden. „Wir hätten uns mehr Zeit gewünscht, damit umzugehen“, sagt der Coach kurz vor dem Anpfiff im TV-Sender Sky. Bei der Uefa in Nyon sei entschieden worden, „wird gleich noch gespielt oder wird am nächsten Tag gespielt, ohne dass das Ausmaß irgendwie klar war“, sagt Tuchel weiter und kritisiert damit auch die Europäische Fußball-Union. „So ist es ein etwas ohnmächtiges Gefühl.“ Man müsse vor allem den Spielern zugestehen, nicht „mit einem mulmigen Gefühl in den Bus zu steigen“. Mit der Anstoßzeit und der Vorgeschichte fühle sich „das nicht wie ein Champions-League-Feiertag an“, meint Tuchel.

Auch in der Wittbräucker Straße herrscht am Mittwoch Ausnahmezustand. Einige der besten Restaurants Dortmunds sind hier zu finden, unter anderem das „Vivre“. Das Restaurant des Hotels „l’Arrivée“ ist vor der Neuansetzung des Spiels einer der am besten bewachten Orte Deutschlands. Polizisten stehen mit Maschinenpistolen an den Sperren auf der Wittbräucker Straße, die im Abschnitt vor dem Hotel weiträumig gesperrt ist.

Journalisten werden von Einsatzwagen in die Nähe der Einfahrt gebracht, in der am Dienstag um 19.15 Uhr drei Sprengsätze explodiert waren. „Das hat dermaßen geknallt, dass das ganze Haus gewackelt hat. Ich bin vor Schreck vom Toilettentopf gefallen“, berichtet Elvira Drees, die hier in der Straße wohnt. Sie sei noch einmal kurz am Hotel vorbeigekommen, weil sie „für die Mannschaft eine Kanne Kaffee gekocht hatte.“ Die Spieler hätten sich gefreut. Später sei diese Freude blankem Entsetzen gewichen, das in Dortmund auch am Mittwoch noch an vielen Orten zu spüren ist.

Lucas, Abderamane, Kevin und Charaf hätten um diese Zeit schon längst wieder zu Hause in Paris sein sollen. Zwei der vier Jungs hätten arbeiten müssen. Sie sitzen aber mittags bei Stefan Kilmer am Frühstückstisch. Der Dortmunder hatte, wie viele andere auch, Betten für Auswärtsfans angeboten, die nach der Spielabsage eine Bleibe gesucht hatten.

Die Aktion lief bei Twitter unter dem Hashtag #bedforawayfans und zeigt, was der Fußball auch kann. „Eine halbe Stunde nach meinem Angebot waren die Vier hier“, sagt Kilmer. Kevin, 23 Jahre alt, ist ein Fan von Monaco, Charaf, 20, unterstützt den BVB. Die beiden anderen sind mitgefahren, weil sie Spaß daran haben, mit ihren Freunden Fußball zu sehen. Diese Fahrt wird ihnen lange in Erinnerung bleiben.

Am Abend hatten sie noch einen Termin beim Fernsehen. Zwischen den Terrorexperten, die einmal mehr nach einem Anschlag am Rande eines Fußballspiels zusammengerufen worden waren, gaben sie ein gutes Bild ab.

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