Neue Lockerungen der Corona-Maßnahmen Merkel: „Deshalb bleibt Vorsicht das Gebot“

Berlin · Schritt für Schritt werden die Corona-Maßnahmen gelockert. Aber es gibt keinen großen Sprung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat derweil Mühe, den Laden zusammenzuhalten.

 Kanzlerin Angela Merkel spricht bei einer Pressekonferenz über die aktuelle Corona-Lage.

Kanzlerin Angela Merkel spricht bei einer Pressekonferenz über die aktuelle Corona-Lage.

Foto: AP/Kay Nietfeld

Angela Merkel hat gerade noch einmal den Deckel auf den brodelnden Kessel bekommen, aber die Ministerpräsidenten kochen parallel dazu ihre eigenen Süppchen. Je stärker die Wirtschaft in die Corona-Krise rutscht und sich die bösen Folgen auf dem vor kurzem noch intakten Arbeitsmarkt abzeichnen, desto größer wird der Druck auf die Kanzlerin - sie soll locker lassen und die Kontaktbeschränkungen weiter aufheben. Die Ministerpräsidenten haben selber Druck von den Unternehmen, der Gastronomie, der Hotellerie, den Menschen, die es zuhause nicht mehr aushalten. Und dennoch: Laut Umfragen stützt die ganz große Mehrheit der Bürger den vorsichtigen Kurs der Kanzlerin.

So sagt Merkel bei der Pressekonferenz mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Donnerstag im Kanzleramt wieder, regionale Abweichungen werde es in einem föderalen Staat wie Deutschland immer geben. „Ganz wichtig“ sei aber, dass es für ganz Deutschland eine gemeinsame Zielsetzung gebe. Und diese bleibe, das Gesundheitssystem stabil zu halten bis es Medikamente und einen Impfstoff gegen das Coronavirus gebe. „Deshalb bleibt Vorsicht das Gebot.“ Abstand halten, Masken tragen, Hände waschen. Diszipliniert bleiben.

Söder spricht von „surrealen Debatten“. Er verweist auf die Umfragen, die doch den Wunsch der Bürger nach einer vorsichtigeren Gangart bestätigten. Wenn jetzt darüber debattiert werde, welche Folgen der Lockdown habe, stelle er die Gegenfrage: „Welche Folgen hätte es gehabt, wenn es keinen Lockdown gegeben hätte?“ Europa schaue bewundernd, aber auch verwundert auf Deutschland, wenn ein Stresstest so gut bestanden werde und es trotzdem so viel Kritik gebe.

Merkel geht auf den Unmut über die vielen verschiedenen Äußerungen der Virologen ein

Kennzeichen von Wissenschaft sei, immer das Neueste herauszubekommen, sagt die promovierte Naturwissenschaftlerin. Das schließe ein, dass sich Einschätzungen änderten. „Damit müssen wir leben.“ Und: „So ein Virus kann sich auch verändern.“ Sie mahnt: „Es wäre ganz schlimm, wenn die Wissenschaftler nicht publizieren würden.“ Sie warne davor, den Überbringer der Botschaft dafür verantwortlich zu machen, dass Wünsche nicht in Erfüllung gingen. Klar sei: „Entscheiden müssen wir politisch.“

Es seien wieder sehr mühsame Verhandlungen von Bund und Ländern gewesen, verlautete aus den Kreisen der Länderregierungschefs. Etwa in punkto Erleichterungen für Großveranstaltungen – hier gilt das Verbot weiter bis zum 31. August. Zur Vorbereitung der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Merkel am Donnerstag sei ein nichtssagender Passus formuliert worden, nichts Greifbares, verlorene Zeit, Provokation zu Alleingängen, jedenfalls sei der Unmut groß. Und es gebe einen Stimmungsumschwung zugunsten der von Merkel als „zu forsch“ kritisierten Ministerpräsidenten. Nun schreite die Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) voran, so wie es zuvor Armin Laschet (CDU) aus NRW getan habe. Nur habe der mehr Prügel dafür bekommen. Quelle: Kreise der „zu forschen“ Ministerpräsidenten. Söder mahnt zu „Besonnenheit statt Lobbyismus.“

Im MPK-Beschluss steht nun: „Ab wenn und unter welchen Bedingungen kleinere öffentliche oder private Veranstaltungen oder Feiern sowie Veranstaltungen ohne Festcharakter künftig stattfinden können, ist derzeit aufgrund der in diesem Bereich besonders hohen Infektionsgefahr noch nicht abzusehen und abhängig vom weiteren epidemiologischen Verlauf.“ Also auf absehbare Zeit auch keine Kirmes, kein Schützenfest.

Die eigentliche Schwierigkeit vor der Schalte am Donnerstag war die Erklärung, wie das Vakuum zwischen dem 4. Mai - dem bisherigen Datum für die Dauer der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie - und dem 6. Mai, dem Tag der nächsten Entscheidung der MPK und Merkel genau darüber, gefüllt werden sollte. Recht überraschend stellte sich Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Morgen einfach vor eine Kamera des Nachrichtensenders n-tv und verkündete, die Kontaktbeschränkungen würden sicher bis zum 10. Mai verlängert.

Weitere Entscheidungen am 6. Mai

Merkel bestätigt das dann am Abend so, als sei das ganz logisch. Sie hatte die Entscheidung über weitergehende Öffnungen auf den 6. Mai verschoben, weil erst dann belastbare Zahlen über die Entwicklung der Neuinfektionen seit den ersten Lockerungen nach dem 20. April vorlägen. Je niedriger die Infektionsrate, desto höher die Chance für weitere Öffnungen.

Aber erst einmal kein Aufatmen für Restaurantbetreiber, Hoteliers, Tourismus im Land. Aber Kinder bekommen mehr Luft zum Atmen. Spielplätze sollen unter strengen Auflagen wieder öffnen dürfen. Fragt sich nur wann. Einen einheitlichen Zeitpunkt gibt es nicht. Auch hier fahren die Länder in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Einige sind auch schon losgefahren. Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Zoos und botanische Gärten sollen ebenso unter Auflagen wieder öffnen dürfen. Einzelne Bundesländer hatten die behutsame Öffnung von Kultureinrichtungen und Tierparks auch bereits beschlossen.

Der Bund will außerdem die Gottesdienste und Gebetsversammlungen wieder zulassen. Dies gelte unter der Voraussetzung, dass den besonderen Anforderungen des Infektionsschutzes Rechnung getragen werde.

Am Tag vor dem 6. Mai gibt es noch einen Autogipfel im Kanzleramt. Die Autoindustrie, die in jüngerer Vergangenheit durch den Dieselskandal und Betrugssoftware in die Schieflage gekommen ist, ruft wieder nach der Hilfe des Steuerzahlers. Merkel sagt, am Dienstag werde nicht über Kaufprämien entschieden. Söder, sonst immer ganz bei der Kanzlerin, bekennt: „Ich bin für eine Innovationsprämie.“

Merkel macht aber deutlich, dass die Autoindustrie eine wichtige Kernbranche in Deutschland sei. Für die insgesamt gebeutelte Wirtschaft sei es wichtig, dass sie gute Chancen habe. Und dann versucht sie, den Menschen trotz steigender Arbeitslosenzahlen und Kurzarbeit Mut zu machen: Deutschland habe ein komfortables Niveau in der Corona-Krise erreicht. Es werde bald auch über Öffnungen der Schulen, Kitas, Restaurants und Hotels gesprochen. In anderen Ländern, Frankreich zum Beispiel herrsche noch der totale Lockdown.

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