Kommentar zum angekündigten Rückzug Merkel hat verstanden

Meinung | Bonn · Mit der Ankündigung, nicht erneut für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren, hat Angela Merkel den Neubeginn der Union eingeläutet. Für diese Entscheidung verdient sie Respekt.

Es brodelte lange im Kessel namens CDU – und am Montag, dem Tag nach dem Hessen-Debakel, ist nun der Deckel weggeflogen. Angela Merkels Rückzugsankündigung versetzte ihre Partei in helle Aufregung, jeder meldete sich zu Wort und gefühlt minütlich erklärte jemand, Merkels Nachfolger werden zu wollen. Die Partei lebt auf. Es ist der Beginn einer neuen CDU.

Merkel hat verstanden. Mit ihrem Rückzug als Parteichefin nach 18 Jahren und dem angekündigten Komplett-Abschied aus der Politik zum Ende der Legislaturperiode 2021 macht sie den Weg frei für das, was ihre Partei so dringend braucht: einen Neuanfang. Merkel hat verstanden, dass mit ihr keine Zukunftsvisionen mehr zu vermitteln sind. Dass sie nicht mehr Garantin für CDU-Siege ist, sondern für Niederlagen. Dass eine „Rückkehr zu Sacharbeit“ nicht mehr die Depressionen nach Wahlniederlagen überdecken kann. Dass die Menschen wirkliche Veränderungen sehen wollen. Im Land wie auch in der Partei.

Weite Teile der CDU – entmutigt von Wahlpleiten, zerstritten über den Kurs, bedrängt von der AfD und zerfallen in Merkel-Freunde und -Gegner – sehnten sich nach Veränderung. Die macht Merkel nun möglich. Dafür verdient sie Respekt. Es ist eines ihrer letzten großen Verdienste für die Union.

Merkel musste umdenken

Merkel will im Dezember also nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren, aber noch drei Jahre lang Kanzlerin bleiben. Dabei hatte sie stets beschworen, dass sich die Ämter niemals trennen ließen. Doch Merkel musste umdenken, wollte sie den Zeitpunkt ihres Rückzugs noch selbst bestimmen. Der Druck im Parteikessel wurde zu groß. Aber kann sie, nur noch mit der halben Macht ausgestattet, Kanzlerin bleiben – vorausgesetzt, sie hat das auch wirklich vor? Das hängt einerseits davon ab, ob die waidwunde SPD nicht doch noch bald in Panik die große Koalition verlässt. Andererseits von der Frage, wer Merkels Nachfolger an der CDU-Spitze sein wird.

Leichter hätte sie es mit Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer („AKK“), ihrer Wiedergängerin in Politikstil und -inhalten. Schwerer hätte sie es mit ihrem Kritiker Jens Spahn, der Galionsfigur der Konservativen und Wirtschaftsliberalen. Richtig schwierig bis unmöglich wäre es mit Friedrich Merz, der am Montag plötzlich aus dem politischen Grab auferstand, in das ihn Merkel vor 16 Jahren handstreichartig hineinbefördert hatte. Merz weckt noch immer Sehnsüchte bei den Merkel-Kritikern, er hat noch eine Rechnung offen – und er würde als CDU-Chef wohl schon bald auch nach dem Kanzleramt greifen.

Es ist schwer abzuschätzen, wer von den potenziellen Merkel-Nachfolgern derzeit die besten Chancen hat – oder ob es jemand ganz anderes wird, etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Merkel-Vertraute Armin Laschet. Die CDU-Delegierten werden darüber entscheiden müssen, ob ihnen der Neuanfang mit Laschet oder der gelegentlich als „Mini-Merkel“ bezeichneten Kramp-Karrenbauer groß genug wäre. Oder ob sie einen grundlegenden Politikwechsel wollen.

Erst einschläfernd, dann halsstarrig

Von der Personalie wird dann auch abhängen, ob die CDU die Reformen der vergangenen Jahre weiterführt oder rückabwickeln will. Kaum jemand hat die Partei so verändert wie Merkel. Mit ihrem nüchtern-pragmatischen Stil erreichte sie Undenkbares in der Union, ob Atomausstieg und Energiewende, Ende der Wehrpflicht, Mindestlohn oder die Ehe für alle. Merkel öffnete – Gegner sagen: entkernte – ihre Partei weit. Mit ihrer Taktik der „asymmetrischen Demobilisierung“, dem Kapern von Themen der politischen Gegner, konnte sie große Wahlerfolge für die CDU feiern. So war Merkel viele Jahre lang in der Partei unangefochtene Nummer eins.

Doch spätestens mit ihrer Flüchtlingspolitik ab 2015 wurde der Unmut in der Union lauter. Merkel wirkte erst einschläfernd, dann halsstarrig. Die Chefin begann, sich für unersetzlich zu halten. Dann verlor die CDU bei der Bundestagswahl 2017 stark und es dauerte Monate, bis Merkel eine Regierung zusammenhatte. Was folgte, ist bekannt: Die dritte große Koalition mit der SPD fiel vor allem durch Streit auf. Die Wähler grauste es und sie flohen in Scharen zu Grünen, FDP oder AfD.

Das ist nicht allein Merkels Schuld. Großen Anteil hat die Schwesterpartei CSU, die ihr das Leben schwer machte, sowie die SPD, die nicht weiß, ob sie Regierung oder Opposition sein will.

Seehofer sollte es Merkel nachtun

Merkel war die Richtige – für die Partei, für das Land und für die Zeit. Jetzt tut sie das Richtige, indem sie geht. Für die CDU kann ihr Coup die Rettung sein und die nötige Energie freisetzen, das langsame Siechtum zu überwinden. Merkels Politikstil, das Modell große Koalition, all das hat sich überlebt.

A propos Siechtum: Merkels Schritt könnte ein Beispiel sein für ihre Schicksalsgenossen: CSU-Chef Horst Seehofer sollte es ihr nachtun. Und was hat eigentlich SPD-Chefin Andrea Nahles so vor?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort