Fragen im Fall Amri Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sieht Fehler

Düsseldorf · Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft stellt sich hinter NRW-Innenminister Ralf Jäger, will Behördenversagen jedoch untersuchen lassen.

 Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (r.) und ihre Vize Sylvia Löhrmann sprechen beim landespolitischen Jahresauftakt im Landtag.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (r.) und ihre Vize Sylvia Löhrmann sprechen beim landespolitischen Jahresauftakt im Landtag.

Foto: dpa

Hannelore Kraft hatte sich all die schönen Neujahrsbotschaften aufschreiben lassen. Arbeitsmarktzahlen, Haushaltsdaten, Infrastrukturmittel, Sozialprojekte. Die Ministerpräsidentin wollte das Wahljahr am Mittwoch vor der Landespressekonferenz mit einem Reigen der Leistungsnachweise ihrer rot-grünen Regierung eröffnen. Doch der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri, der in NRW gemeldet war und hier früh als islamistischer „Gefährder“ erkannt wurde, überlagerte alles. Vier Monate vor der Landtagswahl kennt Düsseldorf nur noch ein Thema: Innere Sicherheit.

Kraft stärkte ihrem angeschlagenen Innenminister Ralf Jäger (SPD) so deutlich wie nur möglich den Rücken. Ob sie weiter hinter Jäger stehe, den die Opposition nach einer Reihe von innenpolitischen Krisen wie den Hogesa-Krawallen oder der Kölner Silvesternacht längst zum Gesicht der allgemeinen Verunsicherung gemacht hat? „Das kann ich mit einem klaren Ja beantworten“, sagte die Ministerpräsidentin.

Gleichwohl scheint in der Staatskanzlei erkannt worden zu sein, dass die bisherige Verteidigungsstrategie des Innenministers nachgebessert werden muss. Jäger hatte vergangene Woche vor dem Innenausschuss des Landtags den Eindruck vermittelt, im Fall Amri seien die Behörden „an die Grenzen des Rechtsstaats“ gegangen und seien trotz „durchgehender, engmaschiger Beobachtung“ des 24-jährigen Tunesiers schlicht machtlos gewesen. Bei zwölf Toten und 55 Verletzten klang das aus dem Mund eines Regierungsverantwortlichen arg schicksalsergeben.

Seit Tagen bezweifeln renommierte Juristen die von Jäger wortreich beschriebene Ohnmacht der Behörden. Zumal Amri den Staat mit 14 Identitäten narrte, Sozialbetrug beging, in Islamisten-Netzwerken verkehrte und dabei beobachtet wurde, wie er sich über Bomben und Waffen informierte. Kraft sprach nun erstmals von Fehlern.

Bei den Beratungen von 40 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) sei es bei der Bewertung des späteren Terroristen zu Fehleinschätzungen gekommen. „Das Gremium trifft verantwortlich Entscheidungen. Und manchmal trifft es auch falsche Entscheidungen“, sagte Kraft.

Obwohl der Kreis Kleve für Amri ausländerrechtlich verantwortlich war und der „Gefährder“ offenkundig in den NRW-Netzwerken des radikalen Salafismus ein und aus ging, will sich die Ministerpräsidentin von der Sicherheitsdebatte nicht länger treiben lassen. Sie regte eine überparteilich eingesetzte und abhängige Expertenkommission des Landtags zur Klärung von möglichen Versäumnissen der Landesbehörden an. Zudem solle auf Bundesebene ein Sonderermittler die Abläufe durchleuchten. Die Opposition in Düsseldorf dürfte wenig Interesse an solchen Gemeinsamkeiten zeigen. Die FDP signalisierte bereits, lieber ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben.

„Wir werden beweisen, dass die Politik ein lernendes System ist“, sagte Kraft am Mittwoch gleich zweimal. Man verschließe sich keiner Diskussion. Wie schon nach den Kölner Silvesterübergriffen 2015/2016, als Rot-Grün eilig ein Sicherheitspaket zusammenschrieb und Vorschläge der Opposition übernahm, muss jetzt Tatkraft demonstriert werden. Auch die Grünen wollen über ihren Schatten springen, um nicht von der Wucht der innenpolitischen Debatte weiter erfasst zu werden. „Unsere Verantwortung ist es zu fragen, ob und wo Fehler gemacht wurden“, sagte Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Mit Blick auf die Sicherheitsgesetze, die in Berlin bereits auf den Weg gebracht werden, warnte sie jedoch: „Wir sagen nicht reflexhaft Nein, aber auch nicht unkritisch Ja.“

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