Mord im Sommer 2019 Killer vom Berliner Tiergarten trainierte bei Russlands Geheimdienst

Moskau · Im Fall des Berliner Tiergartenmordes im Sommer 2019 gibt es neue Hinweise auf eine Verwicklung des russischen Staates. Moskau reagiert mit Schweigen.

 Polizeiexperten bei der Spurensicherung im Tiergarten.

Polizeiexperten bei der Spurensicherung im Tiergarten.

Foto: dpa/Paul Zinken

Vadim Krasikow hatte gute Bekannte in russischen Geheimdienstkreisen. Etwa Eduard Benderski, Veteran der Spezialeinheit Wimpel des Staatssicherheitsdienstes FSB, Chef eines gleichnamigen Wohltätigkeitsfonds und mehrerer Security-Firmen. Diese bewachen unter anderem Objekte russischer Ölfirmen im Irak. Und vor seiner Dienstreise nach Berlin Anfang August rief Killer Krasikow Benderski noch häufiger an, etwa nach seiner Rückkehr aus Brjansk am 3. Juli, wo er einen echten Pass auf den Namen Sokolow erhalten hatte.

Das berichten Bellingcat, das russischen Portal The Insider und Der Spiegel nach einer gemeinsamen Recherche. Krasikow tötete am 23. August 2019 im Berliner Tiergarten den georgischen Staatsbürger Selimchan Changoschwili mit zwei Schüssen aus einer Glock 26-Pistole mit Schalldämpfer. Changoschwili kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg als Feldkommandeur gegen die Russen, die Bundesstaatsanwaltschaft vermutet, russische Sicherheitsorgane seien in dem Mord verwickelt.

FSB soll Krasikow ausgebildet haben

Laut The Insider besuchte Krasikow vergangenes Jahr acht Tage lang eine Trainingsbasis des FSB-Zentrums für Sondereinsätze in Balaschicha bei Moskau, vier Tage ein anderes FSB-Trainingslager im Dorf Awerkijewo östlich der Hauptstadt, außerdem zweimal das nationale Antiterrorzentrum des FSBs im Moskauer Südwesten. Das gehe aus den Billingdaten des Smartphones Krasikows hervor. „Wir haben herausgefunden, dass das Zentrum für Sondereinsätze des FSB Vadim Krasikow für den Mord vorbereitet hat“, schreibt The Insider. Chefredakteur Roman Dobrochotow vermutet sogar, dass Krasikow selbst Wimpel-Mann ist.

„Nach seinem ersten Mord 2007 in der karelischen Kleinstadt Kostomukscha wurden zwei Komplizen verhaftet, die beide bei Wimpel dienten“, sagt Dobrochotow unserer Zeitung. Das Verfahren sei eingestellt werden, auch ein Mord in Moskau 2013, nachdem Krasikow auf russische Fahndungslisten geraten war, ahndete niemand. „Trotz der Verbrechen blieb er auf freiem Fuß, einen normalen Sterblichen hätten sie verhaftet und vor Gericht gestellt.“ Und im August 2019 passierte der Killer die russischen Grenzkontrollen, er reiste über Paris und Warschau nach Berlin.

Moskau reagiert mit Schweigen. Immerhin, der Wimpel-Veteran Waleri Popow bezeichnete die Presse-Berichte als „Dilettantismus und Provokation.“ Wäre Wimpel wirklich beteiligt gewesen, hätte niemand etwas davon mitbekommen.

„So arbeiten russische Dienste nicht“

Oleksi Kuropiatnyk, ukrainischer Geheimdienstexperte, zweifelt ebenfalls. „So arbeiten russische Dienste nicht. Der Täter ließ sich sofort und auf dumme Weise erwischen, alle Beweise liegen auf der Hand, niemand hat seine Operation gedeckt.“ Tatsächlich nahmen von Jugendlichen alarmierte Polizisten Krasikow nur einen Steinwurf vom Tatort fest, dort hatte er Fahrrad, Tatwaffe und andere Utensilien in die Spree geworfen und sich in einem Gebüsch umgekleidet – wenig kluges Fluchtverhalten am hellen Tag im Berliner Stadtzentrum.

Dass die russischen Sicherheitsorgane Krasikow unterstützten, scheint sicher zu sein. Aber es bleibt offen, ob der Killer auf einer FSB-Gehaltsliste stand oder sich als „freier Mitarbeiter“ im Dunstkreis der „Organe“ bewegte. Dafür spricht auch, dass seine ersten zwei Mordopfer Geschäftsleute waren.

Krasikows blutiger Job in Berlin lief jedenfalls nicht nach Plan. „Unser Bild der Geheimdienste stammt fast ganz aus dem Kino“, sagt Dobrochotow, „sie scheinen geheimnisvoll und allmächtig zu sein. Tatsächlich geben sie Unsummen für sehr zweifelhafte Resultate aus.“ In der deutschen Hauptstadt, bei der Exekution eines alten Staatsfeindes, erlaubte man sich einige Fehler.

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