Hartes Training angesagt Neues Fitnessprogramm soll die Bundeswehr leistungsfähiger machen

Hagenow · Der Tod eines Offiziersanwärters bei einem Marsch in Munster sorgte im vergangenen Sommer für Schlagzeilen. Durch ein neues Fitnessprogramm will die Bundeswehr die körperlichen Leistungen der Kameraden verbessern. Das Pilotprojekt läuft bereits.

 Soldaten des Panzergrenadierbataillon 401 nehmen an einem Fitness-Test teil. Die Bundeswehr will die körperliche Leistungsfähigkeit mit einer neuen Grundausbildung steigern.

Soldaten des Panzergrenadierbataillon 401 nehmen an einem Fitness-Test teil. Die Bundeswehr will die körperliche Leistungsfähigkeit mit einer neuen Grundausbildung steigern.

Foto: dpa

Die ersten hundert Meter sind überragend, die zweiten hundert Meter sind sehr gut. Noch wären Panzergrenadier Stetzuhn und Panzergrenadier Fey an der Seite von Wilson Kipsang, wenn der kenianische Weltklasseläufer einen sehr ruhigen ersten Kilometer eines Marathons anläuft. 36 Sekunden auf 200 Meter, doch es kommen noch 800 Meter – die letzten 300 Meter davon mit Laktatgarantie.

Es geht hier um die Frage, die die militärische Führung der Bundeswehr seit Monaten umtreibt: Wie fit ist der deutsche Rekrut? Und wenn er nicht fit genug für den Truppendienst ist, wie kriegen wir ihn dahin? Ein neues Fitnessprogramm für die Bundeswehr soll es möglich machen, das, wenn es erfolgreich ist, womöglich auf die gesamte Truppe übertragen wird. Heer, Marine, Luftwaffe, Sanität, Streitkräftebasis.

Darüber müsste der Generalinspekteur entscheiden. Bis dahin könnte noch einige Zeit ins Land gehen. Und noch sind es ja 800 Meter bis ins Ziel. Stetzuhn und Fey schwitzen in ihren Trikots: Bundesadler auf hellblauem Grund, dunkelblaue kurze Sporthose, Uniform.

Generalleutnant prüft Pilotprojekt

Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne, Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern, Außentemperatur 28 Grad, keine Wolken. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, steht am Rande der 400-Meter-Bahn. Der Drei-Sterne-General ist gekommen, um sich persönlich ein Bild vom „Pilotprojekt zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit in der Grundausbildung“ zu machen. Am Ende geht es hier auch um Jobs, es geht um Bewerber, es geht um den immer härter werdenden Wettbewerb um qualifizierte und motivierte junge Menschen, dem sich die Bundeswehr als Arbeitgeber mit der freien Wirtschaft stellen muss.

IT-Fachleute dringend gesucht. Problem: „ITler sind oft ziemlich unfit“, sagt ein Rekrut, der nach sechs Wochen Training in der Grundausbildung seine Zeit über 1000 Meter um fast eine Minute verbessert hat. Eine Minute über 1000 Meter – das ist im Laufsport eine Welt.

Die Panzergrenadiere Stetzuhn und Fey haben nach 700 Metern ihre anaerobe Schwelle erreicht. Die Beine werden schwer. Trotzdem duellieren sie sich über die letzten 30 Meter noch im Sprint. Zielzeit: 3:31 Minuten. Top-Wert. Pep Guardiola würde sagen: Toptoptop-Wert, erst recht für Nicht-Leichtathleten.

Einteilung in drei Leistungsklassen

Sportlehrer Philipp Zimmermann vom Landeskommando Niedersachsen sagt: „Ich bin stolz auf meine Jungs.“ Zimmermann gehört zu jenen Leuten bei der Bundeswehr, die Rekrutinnen und Rekruten fit machen sollen für den Truppendienst – Ernährungsberatung inklusive. In der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne des Panzergrenadierbataillons 401 läuft dazu gegenwärtig das bislang einzige Pilotprojekt der Bundeswehr. 46 Rekruten, eingeteilt in drei Leistungsklassen. Alles dabei, was die Gesellschaft sonst auch bietet: Sehr gute Sportler, aber eben auch müde Krieger.

Statt bislang 70 Stunden Sport für die Dauer der Grundausbildung jetzt 110 Stunden Sport. Dafür weniger Gefechtsdienst: knapp 90 Stunden statt bislang rund 120 Stunden. Irgendwo muss die Fitnesszeit ja herkommen. Die Disziplinen: Pendelsprint aus der Liegeposition von einer Matte um eine Pylone, zurück zur Matte, ablegen, die Hände auf dem Rücken abklatschen, nächster Sprint. In diesem Fall fünf Mal gegen die Uhr. Klimmhang an der Stange, wenigstens sechs Sekunden. Und 1000-Meter-Lauf, wenigstens 5:59 Minuten.

Die Rekruten in Hagenow trainieren, um dieses Ziel möglichst zu schaffen. Sport am Morgen, Sport am Nachmittag. Doch der Kommandeur des Bataillons, Oberstleutnant Alexander B. Radzko, sagt: „Alleine durch Sport ist es nicht getan.“ Es gebe auch die militärische Fitness: Rekruten in Uniform mit Schutzweste ziehen einen 50 Kilo schweren Sack über den Sportplatz um eine Pylonenbahn. Die Übung simuliert, wie sie einen verletzten Kameraden im Einsatz aus der Schusslinie bringen.

Unterschiedlich starke Rekrutierungsprobleme

Bei allen Übungen schwingt im Hintergrund mit: Die Bundeswehr ringt im Spiel der freien Kräfte mit der Welt da draußen um die besten Kandidaten. General Vollmer: „Wer einmal zu uns gekommen ist, den wollen wir auch halten.“ In Nordrhein-Westfalen und auch im deutschen Osten habe man auch bei den Mannschaftsdienstgraden keine oder kaum Rekrutierungsprobleme.

In Baden-Württemberg, wo die Bundeswehr mit Porsche oder Mercedes in Konkurrenz um Fachkräfte steht, sehe es schon anders aus. Dafür biete die Bundeswehr eben Arbeitsplatzsicherheit, wo die freie Wirtschaft wieder und wieder nur Halbjahresverträge verlängere. Doch die Kandidaten sollen fit sein – für den Gefechtsdienst und den Einsatz.

Nach dem Tod eines Offiziersanwärters bei einem Marsch im vergangenen Sommer in Munster hatte die Bundeswehr angekündigt, die Ausbildung der Soldaten zu überprüfen. Auch im baden-württembergischen Standort Pfullendorf sorgte der Zusammenbruch eines Rekruten bei einem Geländelauf im Januar für Schlagzeilen. Mehrere weitere Rekruten mussten damals ihr Training abbrechen.

„Verhaltenssicherheit“ schaffen

Jetzt soll das neu aufgelegte Fitnessprogramm auch den Ausbildern „Verhaltenssicherheit“ geben, was sie den Soldatinnen und Soldaten körperlich abverlangen können. Gemeinsam trainiert, gemeinsam ins Feld. Bisher hätten in Hagenow noch kein einziges Mal Sanitäter eingreifen müssen. Man könne die Leistungssteigerung auch sonst sehen: Mancher Rekrut habe in sechs Wochen acht bis zehn Kilo abgenommen, erzählt Kommandeur Radzko. Einfach fit.

Heeresinspekteur Vollmer umschreibt das Ausgangsproblem mit dem Nachwuchs mit den Worten des militärischen Führers: „Wir müssen die jungen Menschen da abholen, wo sie stehen.“ Das ist – gemessen an der körperlichen Fitness – oft ziemlich weit unten. Zu wenig für den Soldatenberuf. Eigentlich.

Aber bitte: Was nicht ist, soll möglichst noch werden. Vollmer: „Wir können es uns nicht leisten, jemanden nicht zu nehmen, nur, weil er zunächst die körperlichen Anforderungen nicht erfüllt. Wer einmal weg ist, der kommt nicht wieder.“ Die Truppe habe ein Riesenspektrum: Auf der eine Seite Leistungssportler, die in der Regionalliga Fußball spielten, aber eben auch Einser-Abiturienten in Mathematik und Physik, „die sich noch nicht so um ihren Körper gekümmert haben“. Zu viele Formeln, zu wenig Fitness.

Gesucht: Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer. Damit dann möglichst tauglich für die Gefechtsausbildung – und später auch für Einsätze. Ein Ausbilder schimpft über das „Hotel Mutti“, das junge Frauen und Männer zu lange sorgenfrei halte. Heeresinspekteur Vollmer sagt, es bringe nichts, darüber zu diskutieren, „ob unsere Generation vielleicht fitter war. Sie war anders.“ Einfach weniger Playstation, mehr Bewegung. Aber das sagt Vollmer nicht. Er betont: „Wir müssen unsere Soldaten so ausbilden, dass sie im Gefecht bestehen.“ Mali, Afghanistan, Irak. Der nächste Einsatz kommt bestimmt.

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