Jugendliche Extremisten Nordrhein-Westfalen rüstet auf

Bonn · Die Behörden haben es mit einem „neuen Tätertyp“ zu tun. Jugendliche, die sich in der Anonymität radikalisieren und spontan Anschläge verüben. Es sei extrem schwierig, eine solche „Turboradikalisierung“ rechtzeitig zu erkennen, meint NRW-Innenminister Ralf Jäger.

 Innenminister Thomas de Maizière fordert nach dem Anschlag Konsequenzen.

Innenminister Thomas de Maizière fordert nach dem Anschlag Konsequenzen.

Foto: dpa

Der jugendliche Axt-Täter aus Würzburg passt in dieses Schema, wohl auch der Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel.

Mit zahlreichen Maßnahmen versucht der Staat, Sicherheit zu gewährleisten. So wird die NRW-Polizei seit Monaten aufgerüstet und die Beamten systematisch auch auf Begegnungen mit Terroristen vorbereitet. Sie bekommen 11 000 Kunststoffschusswesten, die auch gegen den Beschuss mit Kriegswaffen schützen sollen. Das Land stattet die Polizisten zudem mit 5000 neuen Maschinenpistolen aus. „Bisher gab es eine MP pro Streifenwagen, bald werden es zwei sein“, sagte Arnold Plickert, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP, dieser Zeitung.

Terrorgefahren spielen auch bei der Ausbildung der Polizisten eine größere Rolle. Bisher werden die Beamten für Amoklagen in geschlossenen Räumen geschult, erklärt die GdP. Dieser Unterricht werde nun erweitert durch ein „Terrorismus-Modul“ mit Einsatzszenarien auf Wegen und freien Plätzen. Wegen der besseren Ausrüstung und Ausbildung werde von den Polizisten künftig auch ein konsequenteres Einschreiten in gefährlichen Situationen erwartet, gibt Plickert zu Bedenken. Das NRW-Innenministerium gibt sich bei der Frage nach den neuen Sicherheitsmaßnahmen zurückhaltend. „Sie sind auf hohem Niveau. Aber wir reden nicht über Details“, sagte ein Sprecher. Man möchte nicht, dass die „Gefährder“ zu viel darüber erfahren. Natürlich zeige die Polizei mehr Präsenz auf belebten Plätzen. Dass die Behörden schnell reagieren könnten, hätten die vergangenen Tage gezeigt. Während des Putschversuches in der Türkei seien türkische Einrichtungen und Orte, an denen sich Oppositionelle aufhalten, schnell gesichert worden.

GdP-Chef Plickert spricht von einen „Paradigmenwechsel“ bei der inneren Sicherheit. Die personelle Ausstattung werde endlich spürbar verbessert. Bis 2023 sollen in NRW jedes Jahr 2000 Nachwuchspolizisten eingestellt werden. „Erstmals seit langer Zeit wird in diesem Land wieder Polizei aufgebaut“, freut sich Plickert.

Bahn und Bundespolizei reagieren auf die Sicherheitslage mit einer verbesserten Videoüberwachung. Bundesweit sind aktuell 5000 Kameras an 700 der größten Bahnhöfe installiert, knapp 20 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. In Nahverkehrs- und S-Bahnzügen sind 27 000 Kameras eingebaut, doppelt so viele wie 2012. In NRW sei der Trend ähnlich, so die Bahn. Erste Sicherheitskräfte tragen Schulterkameras (Bodycams). Ein Pilotprojekt läuft bis Jahresende in Berlin – danach könnten sie auch in NRW zum Einsatz kommen.

Auf ein Sicherheitsproblem machte gestern André Kuper, Fraktionsvize der CDU im Landtag, aufmerksam. Noch immer seien mehr als 10 0000 Flüchtlinge in NRW nicht erkennungsdienstlich erfasst.

„Im Bundesländer-Vergleich ist das einmalig schlecht“, sagte Kuper. In der Phase des großen Zustroms wurden die Menschen kurzerhand den Kommunen zugewiesen und warten dort seit Monaten darauf, einen Asylantrag stellen zu können. Mit einem neuen Konzept sollen nun bis zum Herbst alle Altfälle abgearbeitet sein, verspricht Minister Jäger.

Zugleich erhöht das Land den Druck bei den Abschiebungen, bis Jahresende peilt das Land eine Verdoppelung der Ausreisen an. So wurden 2016 bereits 11 000 Flüchtlinge „freiwillig zurückgeführt“, wie es heißt – ebenso viele wie im gesamten Vorjahr.

Auch die Zahl der zwangsweisen Abschiebungen sei bis Mai um 62 Prozent auf 2167 in den ersten fünf Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitrum gestiegen. Das sei bundesweit die höchste Zahl.

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