Interview mit Sebastian Hartmann Nordrhein-Westfalens SPD-Chef kritisiert Dividenden-Ausschüttung von Unternehmen

Düsseldorf · Der diesjährige Tag der Arbeit wird historisch. Das steht fest. Sebastian Hartmann, Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen, spricht im Interview über Staatshilfen für Unternehmen und die Folgen verfrühter Lockerungen.

 „Es reicht nicht, abends zu klatschen oder einen einmaligen Bonus zu zahlen“, sagt der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann. Beschäftigte in der Pflege oder bei der Polizei bräuchten auch Entlastung bei ihrer Arbeit.

„Es reicht nicht, abends zu klatschen oder einen einmaligen Bonus zu zahlen“, sagt der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann. Beschäftigte in der Pflege oder bei der Polizei bräuchten auch Entlastung bei ihrer Arbeit.

Foto: dpa/Fabian Strauch

Dass der diesjährige Tag der Arbeit ein historischer sein wird, steht fest. Erstmals in Friedenszeiten kann am 1. Mai auf der Straße nicht für Arbeitnehmerrechte demonstriert werden, sondern nur virtuell. Auch SPD-Landeschef Sebastian Hartmann wird das Geschehen im Internet verfolgen.

Was muss NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei den Verhandlungen mit  seinen Amtskollegen und der Kanzlerin in der Telefonkonferenz an diesem Donnerstag für NRW herausholen?

Sebastian Hartmann: Nordrhein-Westfalen muss wieder zum Vorbild für Stabilität werden und dem Bund Orientierung geben. Das sprunghafte, widersprüchliche Handeln des Ministerpräsidenten muss ein Ende haben. Auf der einen Seite ein hartes Epidemiegesetz beschließen zu wollen und parallel in scheinbar willkürlich ausgewählten Bereichen Lockerungen durchzusetzen, das passt nicht zusammen.

Was bedeutet das auf die Zukunft bezogen?

Hartmann: Die Schulministerin zum Beispiel muss mehr auf die Kommunen hören, wenn sie die Schulen öffnen will. Mit E-Mails am Wochenende ist es nicht getan. Natürlich sollen die Kinder wieder zurück in die Schulen, aber mit ausreichendem Vorlauf, damit ihre Gesundheit nicht gefährdet wird. Die Konzepte sehen nach Mogelpackung aus. Es ist meilenweit von Normalität entfernt, wenn Schüler nur für einen Tag pro Woche wieder zur Schule gehen. Genauso überambitioniert ist, dass die Schulen für die Viertklässler nun ab dem 7. Mai, also schon in der kommenden Woche, öffnen sollen. Und die Landesregierung muss natürlich in dieser Krise die Arbeitnehmer stärker in den Blick nehmen.

Deutschland wird um seine Kurzarbeit-Regelungen im Ausland beneidet…

Hartmann: Die Kurzarbeit-Regelungen sind gut. Wo Tarifverträge Aufstockungen auf bis 87 Prozent regeln noch besser. Doch mehr als die Hälfte aller Beschäftigten unterliegen gar keinem Tarifvertrag, profitieren eben nicht. Eine bundesweit einheitliche Aufstockung scheiterte an der Union, jetzt kommt zumindest eine Staffelung und Steigerung nach Bezugsdauer. Der Lockdown wirkt sich auf die Arbeitnehmer sehr unterschiedlich aus: Beschäftigte in der Pflege oder bei der Polizei leiden unter noch höherer Arbeitsbelastung. Da reicht es nicht, abends zu klatschen oder teils einen einmaligen Bonus zu zahlen. Wir brauchen jetzt auch dringend die Grundrente, die von der CDU im Bund gerade blockiert wird, damit Niedrigverdiener später ihre Renten aufstocken können.

Halten Sie die Lockerungen in NRW für angemessen? Schließlich hilft das auch den Betrieben und ihren Beschäftigten…

Hartmann: Die Lockerungen dürfen nicht dazu führen, dass die Gesundheit von Menschen gefährdet wird. Dieses Risiko sehe ich aber zurzeit in NRW. Die Schritte kommen zu früh, zu unüberlegt und nicht abgestimmt nach Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen.

Sollten staatliche Hilfen genutzt werden, um notleidende Unternehmen zu sozialpolitischen Zugeständnissen zu zwingen?

Hartmann: Wenn ein Unternehmen mit staatlicher Hilfe gerettet wird, dann kann es nicht gleichzeitig Managerboni oder Dividenden zahlen. Ziel dieser Hilfen muss es sein, Arbeitsplätze zu erhalten und Arbeitnehmerschutzrechte durchzusetzen.

Soll BMW also vom Staat subventionierte Kurzarbeit anmelden können oder nicht?

Hartmann: BMW meldet Kurzarbeit an, will Staatshilfe bekommen und profitiert von gesparten Sozialversicherungsbeiträgen, aber will Dividenden zahlen. Das geht nicht – unter diesen Umständen darf es keine staatliche Unterstützung geben. Wir brauchen mehr Druck auf die Konzerne, es ist Geld des Steuerzahlers.

Die Umfragewerte der NRW-SPD liegen jüngsten Umfragen zufolge mit 19 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt, knapp hinter den Grünen. Was machen Sie falsch?

Hartmann: Umfragen kommentiere ich nicht, weil es sich immer nur um Momentaufnahmen handelt. Entscheidend ist der Wahltag, und wir haben uns inhaltlich stark mit Konzepten zu Bildung, dem vorsorgenden Sozialstaat oder mehr Sicherheit aufgestellt. Die Krise zeigt die Bedeutung der Themen.

Der nächste Wahltag in NRW ist der 13. September, die Kommunalwahl. Sollte sie verschoben werden?

Hartmann: Der Termin 13. September steht einstweilen und unterbrochene Vorbereitungen laufen wieder an. Damit das geht, brauchen wir aber klare Regelungen und Hygienekonzepte für die Aufstellungsversammlungen der Kandidaten. Das muss der NRW-Innenminister jetzt schnell klären.

Aber wie kann Wahlkampf in Corona-Zeiten funktionieren? Halten Sie ein rein virtuelles Werben um die Gunst der Wähler für denkbar?

Hartmann: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Jeder Wahlkämpfer muss eine faire Chance haben, für sich zu werben. Politik lebt vom direkten Austausch, rein virtuell ist das nicht möglich. Diese Frage muss die Landesregierung eindeutig und fair vor einem Wahlgang geregelt haben.

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