Kampf gegen Clans NRW baut Zentrale für Clan-Ermittler

Essen. · Ab Sommer 2020 sitzen Vertreter sämtlicher relevanter Sicherheitsbehörden unter einem Dach, um effizienter gegen kriminelle Familienclans vorgehen zu können. Die Ermittlereinheit „Siko Ruhr“ ist bundesweit einzigartig.

 Wie kommt man kriminellen Clans am besten bei? NRW-Innenminister Herbert Reul bei einer Polizeirazzia.

Wie kommt man kriminellen Clans am besten bei? NRW-Innenminister Herbert Reul bei einer Polizeirazzia.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Selbst Thomas Jungbluth muss sich erst einmal orientieren. „Ich suche eigentlich die Toilette“, sagt der Chefermittler für Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamtes (LKA), nachdem er eine Tür geöffnet hat, die statt aufs stille Örtchen nach draußen auf die Straße führt. Nicht nur die WC-Beschilderung fehlt noch in der neuen Einsatzzentrale der NRW-Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität in Essen. „Es muss auch noch ein bisschen Farbe an die Wand, und die Ausstattung ist auch noch nicht da“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).

Alle Informationen über kriminelle Clans in NRW werden künftig in der Essener Zentrale gebündelt und analysiert. Mitte kommenden Jahres sollen die Ermittler ihr Quartier an der Müller-Breslau-Straße beziehen, das im Untergeschoss eines mehrstöckigen, weiß verputzten Gebäudes untergebracht ist. In diesem würde man eher Eigentumswohnungen vermuten als die Zentrale eines so wichtigen Sicherheitsorgans wie der „Siko Ruhr“, einer bundesweit einzigartigen Ermittlereinheit.

Die Siko (kurz für Sicherheitskooperation) besteht aus Vertretern von Landes- und Bundespolizei, Zollfahndern, Finanzermittlern sowie städtischen Ordnungshütern aus dem Ruhrgebiet, das besonders stark von Clankriminalität betroffen ist. Zudem gibt es Überlegungen, auch das Integrationsministerium an die zentrale Ermittlereinheit anzubinden. „In der neuen behördenübergreifenden Dienststelle treffen Kompetenz auf Wissen und Kenner der lokalen Szene auf kriminalistische Strategen“, sagt Reul.

Bisher haben die verschiedenen Stellen zwar auch schon zusammengearbeitet, aber nicht unter einem Dach. Durch die „kurzen Wege“ in einem Gebäude erhoffen sich die Verantwortlichen, künftig noch effizienter gegen die Clans vorgehen zu können. Polizisten aus Schweden, Dänemark und den Niederlanden, die ähnlich wie Deutschland mit Clankriminalität zu kämpfen haben, hätten sich schon über die Arbeit der hiesigen Ermittler informiert. „Und sie sagten uns alle: Was wir hier in NRW machen, das ist der richtige Weg“, sagt Essens Polizeipräsident Frank Richter. Er erwarte von dem neuen Projekt einen Quantensprung bei der Bekämpfung der Clankriminalität im Ruhrgebiet.

Die Polizei in Essen habe bereits beste Erfahrungen mit der engen Zusammenarbeit aller staatlichen Institutionen gemacht. „Dabei haben wir festgestellt, wie stark ein Rechtsstaat sein kann, wenn alle Partner ihre Möglichkeiten im Sinne eines gemeinsamen Ziels einbringen“, betont Richter.

Auch die Kommunen im Ruhrgebiet stehen hinter der neuen Spezialeinheit. Sie selbst werden einen ständigen Vertreter in der Zentrale am Tisch sitzen haben. „Wir fühlen uns betroffen von Clankriminalität. Wir wünschen uns mehr Sicherheit für unsere Bürger“, sagt Duisburgs Ordnungsdezernent Paul Bischof. „Wenn man mehr über die Zusammenhänge des Milieus weiß, kann man auch als Kommune vor Ort bessere Integrationsarbeit leisten“, sagt Bischof. Außerdem könnte man junge Menschen aktiv gegen den Einfluss krimineller Strukturen stärken, meint er.

Die „Siko Ruhr“ soll aber nicht nur in der Kriminalitätsbekämpfung tätig sein, sondern auch in der Prävention. Pädagogen, Sozialarbeiter und Wissenschaftler sollen Aussteigerprogramme entwickeln, die Kindern und Jugendlichen Wege aus dem Milieu aufzeigen. Vor allem Mädchen und junge Frauen könnten zu einem Umdenken bewegt werden, hoffen die Ermittler. „Wir wollen aufzeigen, dass es auch ein anderes Leben außerhalb des Clans gibt, ohne Kriminalität“, sagt Reul. Die bisher bekannten Aussteigerkonzepte, um etwa Rechts- und Linksradikale oder Islamisten aus der Szene zu holen, funktionierten bei Clans nicht, so Reul. Denn dabei handelt es sich um geschlossene Familienverbände – und niemand stelle sich gerne gegen seine eigene Familie.

Aber auch Geld spiele eine entscheidende Rolle, erklärt ein Polizist: „Sagen Sie mal einem jungen männlichen Clanmitglied, dass man für ihn einen Ausbildungsplatz zum Busfahrer hat, wenn er aussteigt. Dann fragt er: Wie viel Geld bekomme ich dafür? 300 bis 400 Euro. Und dann fragt er: Aber am Tag, oder?“

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