Debatte um das Turbo-Abitur NRW-SPD liebäugelt mit „G8 Flexi“

Düsseldorf · Die Partei von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bereitet einen Kurswechsel beim Turbo-Abitur vor. Die Sorge um einen Schul-Wahlkampf 2017 wächst.

 Schulkinder sollen nach jüngsten Plänen nun doch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zum Abitur gelangen können.

Schulkinder sollen nach jüngsten Plänen nun doch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zum Abitur gelangen können.

Foto: dpa

Als Eva-Maria Voigt-Küppers, Vize-Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, im August 2015 öffentlich über einen „Plan B“ zum „Turbo-Abitur“ nachdachte, brach in Düsseldorf ein parteiinternes Sommertheater los. Voigt-Küppers hatte gewagt, Wahlmöglichkeiten zwischen acht und neun gymnasialen Jahren ins Gespräch zu bringen und ein „G 8,5“ nicht ausgeschlossen. Fraktionschef Norbert Römer, enger Vertrauter von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), pfiff seine Kollegin rüde zurück: „Es gibt in der SPD-Landtagsfraktion keine Pläne, das Abitur nach acht Jahren infrage zu stellen oder gar abzuschaffen.“

Dass sich der Umgang der SPD mit dem Thema „Turbo-Abitur“ seither gewandelt hat, war zu Wochenbeginn zu beobachten. Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD) bezeichnete die verkürzte Schulzeit als „Versündigung“ an der jungen Generation und ermunterte ganz unpräsidial dazu, „Scheiße zu nennen, was scheiße ist“.

Längst gilt es als ausgemacht, dass die Sozialdemokraten beim Landesparteitag am 24. September in Bochum eine Kehrtwende in Sachen „G8“ einleiten werden. Die Parteispitze will auf Drängen der Basis einen Leitantrag formulieren, der die Schulstrukturdebatte in NRW neu eröffnet. Mehrere SPD-Unterbezirke fordern eine Art „G8 Flexi“, damit auch an Gymnasien Schüler in unterschiedlicher Geschwindigkeit den Weg zum Abitur nehmen können.

Als Blaupause könnte ein Parteitagsantrag der Kölner SPD dienen: Die Sekundarstufe I an Gymnasien soll wieder auf sechs Jahre erweitert und die Sekundarstufe II dafür je nach Leistungsvermögen des Schülers flexibilisiert werden. Problem: Die Kultusminister-Konferenz hat festgelegt, dass die Oberstufe drei Schuljahre umfassen muss.

Ministerpräsidentin Kraft hatte noch in den Sommerferien Reformen abgelehnt und auf die Verbesserungsvorschläge eines „Runden Tisches“ von Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) verwiesen. Löhrmann hatte Interessengruppen wie Eltern- und Lehrervertretungen eingeladen und Ende 2014 verschiedene Maßnahmen wie weniger Hausaufgaben, Nachmittagsunterricht und Lernstoff festgelegt. Am Modell „G8“ sollte jedoch nicht gerüttelt werden. Die grüne Schulministerin, ironischerweise selbst nie G8-Befürworterin, hatte 2010 zum letzten Mal den Schulen die G9-Rückkehr freigestellt. Nur 13 von 628 Gymnasien entschieden sich damals dafür.

Um das Regierungs-Duo Kraft/Löhrmann scheint es bei diesem Thema jedoch einsam zu werden. Mit der Landeselternschaft der Gymnasien hat eine entscheidende Interessenvertretung dem „Turbo-Abitur“ die Loyalität aufgekündigt. Selbst Bayern und die einst glühendsten Befürworter der NRW-FDP sind in den vergangenen Monaten von der Schulzeitverkürzung abgerückt.

Acht Monate vor der Landtagswahl ist der Druck gewachsen. In der SPD werben deshalb viele für ein „G8 Flexi“, selbst wenn sich daran unbeantwortete Fragen knüpfen: Wie viele zusätzliche Lehrer würden benötigt? Wie groß würde der organisatorische Aufwand? Politisch begründen wollen die Sozialdemokraten ihre Kehrtwende offenbar mit einer Art „Geburtsfehler-Theorie“. Diese lautet: Schwarz-Gelb habe bei der Einführung von G8 mit der Verdichtung des Lernstoffes in der Sekundarstufe 1 das Gelingen der Schulzeitverkürzung unmöglich gemacht. Rot-Grün habe seit 2010 alle erdenklichen Rettungsversuche unternommen, nun müssten leider Strukturreformen her.

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