Widerstand bei den Sozialdemokraten Olaf Scholz sieht sich als kommenden Kanzler

Berlin · Olaf Scholz sieht sich als kommenden Kanzler, doch in der Partei gibt es Widerstand. Auch die Kandidatenkür für den Vorsitz ist ein ermüdender Prozess.

 Olaf Scholz will die Beteiligung des Bundes für Flüchtlingskosten von derzeit 4,7 Milliarden auf rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr senken.

Olaf Scholz will die Beteiligung des Bundes für Flüchtlingskosten von derzeit 4,7 Milliarden auf rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr senken.

Foto: Michael Kappeler

Am Morgen nach dem großen Knall im politischen Berlin sitzt Olaf Scholz im Regierungsflieger nach Frankreich. Vor dem Abflug zum G7-Gipfel der Finanzminister in Chantilly bei Paris Mitte Juli kommt er noch schnell nach hinten zu den mitreisenden Journalisten. Die wollen natürlich eine Reaktion des Vizekanzlers auf die elektrisierende Nachricht des Vorabends, dass die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin ins Bundeskabinett einrückt. Er sei der Erste gewesen, der es wusste, prahlt Scholz. Außer der Bundeskanzlerin und „AKK“ selbst.

Scholz mag es, wenn er der Erste ist, doch in der Bundesregierung ist er nur der Zweite. Am Mittwoch durfte der Bundesfinanzminister eine Kabinettssitzung leiten, weil die Kanzlerin im Urlaub ist. Sie überlässt ihm den Chefsessel am Kabinettstisch aber nur ein einziges Mal, die anderen Kabinettstermine lässt sie ausfallen. Scholz gibt hinterher keine Pressekonferenz, frühere Vizekanzler sind damit schon hereingefallen. Aber er hat einen kleinen Auftritt im ZDF-Morgenmagazin und sorgt dafür, dass mehrere finanzpolitische Projekte vorankommen, zum Beispiel das neue Geldwäschegesetz und die verbesserte Förderung von Elektroautos.

Besondere Aufmerksamkeit hat ihm das nicht eingebracht, aber Scholz bleibt cool. Er hat sich Gelassenheit, Kurshalten und solide Arbeit verordnet. Das passt auch zu seiner nüchternen Art, die wegen seiner immer wieder aufflackernden Hybris auch mal arrogant wirkt. Unvergessen, wie er 2018 bei seinem ersten internationalen Auftritt in Washington als Finanzminister auf die Frage von Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde antwortet, warum Deutschland die Finanzkrise 2009 so gut überwunden habe: „Das war ich.“ Er habe schließlich als Arbeitsminister damals das Kurzarbeitergeld erfunden.

Manche haben den Eindruck, er verweigere sich der Wirklichkeit – und auch der politischen Konsequenz. Als in Hamburg der G20-Gipfel Mitte 2017 aus dem Ruder gelaufen war und Randalierer einen ganzen Stadtteil stundenlang verwüsteten, lauschte der damalige Erste Bürgermeister in der Elbphilharmonie neben den Mächtigen der Welt Beethovens Neunter. Erst später gestand er ein, die Polizei habe den Schutz der Bevölkerung nicht voll gewährleisten können. Die Frage, ob das ein Rücktrittsgrund ist, empfand er aber als Frechheit.

Zuverlässige Regierungsarbeit wird die SPD im Ansehen der Bürger und ihn selbst nach vorn bringen, ist Scholz weiterhin überzeugt. Seine SPD, die um ihre Existenz kämpft, wolle den nächsten Kanzler stellen, hat er im Januar gesagt, als längst klar war, dass die Sozialdemokratie durch ihr tiefstes Tal geht. Scholz widerspricht nicht, wenn daraus geschlussfolgert wird: Er will selbst ins Kanzleramt. Wie das funktionieren kann bei 15 Prozent in den Umfragen für die SPD und seiner Unbeliebtheit in der Partei, sagt er nicht.

SPD-Altkanzler Gerhard Schröder hat Wahlen in der Mitte gewonnen, Scholz will das auch. Die „schwarze Null“ im Haushalt will er deshalb unbedingt halten – auch um nicht der erste Finanzminister nach Wolfgang Schäuble (CDU) zu sein, der sie schon beim kleinsten Hauch des Abschwungs aufgibt. Hinter den Kulissen lässt er zwar Konzepte erarbeiten, wie er für mehr öffentliche Investitionen sorgen kann, ohne den ausgeglichenen Haushalt zu gefährden. Die Schuldenbremse könnte aufgeweicht werden, indem etwa Bundesbehörden und nicht der Bund selbst sich neu verschulden. Aber Scholz zögert: Das könnte ihm gehörig um die Ohren gehauen werden.

Ein linker Genosse soll ihn wegen seines Mitte-Kurses einen „kaltherzigen Technokraten“ gescholten haben, Scholz hat das getroffen. Er ist eben kein Schröder, der darüber nur gelacht hätte. Der Vizekanzler trägt seit seiner Zeit als SPD-Generalsekretär von 2002 bis 2004 den Beinamen „Scholzomat“, weil er so emotionslos und umständlich spricht. Im Innern aber ist er eitel und verletzlich. Sein Problem darüber hinaus: Eine eigene Agenda, ein finanzpolitisches Projekt mit sozialdemokratischer Handschrift, sind auch nach eineinhalb Jahren nicht erkennbar. Den Mangel versucht er auszugleichen mit Forderungen nach einem Mindestlohn von zwölf Euro oder einer großzügigen Grundrente für Geringverdiener. „Scholz wirkt im Kabinett und auf internationaler Bühne wie ein stiller Schüler auf einer der hinteren Bänke“, findet der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar.

Sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire ist da ein anderes Kaliber. Schauplatz Chantilly: Gastgeber Le Maire drückt dem G7-Gipfel seinen Stempel auf. Elegant und wortgewandt verspricht der Franzose einen „gerechteren Kapitalismus“ durch die Einführung einer Mindeststeuer für internationale Konzerne. Auch Scholz hat seit Monaten im G7-Maschinenraum dafür geackert. Doch auf seiner Pressekonferenz bleibt er blass: „Die Mindestbesteuerung ist ein sehr ernsthaftes, effizientes und progressives Projekt zur Sicherung unserer Wohlfahrt.“ Scholzomat.

In der SPD wachsen derweil die Zweifel, ob sein solider Kurs der Partei gut tut. Wenn ihm die Partei die Gefolgschaft aufkündigt, bricht diese Sollbruchstelle der großen Koalition. Er selbst hat Zweifel, ob das Bündnis Weihnachten überlebt. Das Ende der Groko wäre auch das Ende seines Ministerdaseins. Dass es der Beginn einer Kanzlerkandidatur würde, ist zweifelhaft.

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