Kommentar zur europäischen Migrationspolitik Populismus siegt

Meinung | Brüssel · Die deutsche Willkommenskultur scheint am Ende. An diesem Sonntag wurde sie als europäisches Modell noch nicht endgültig zu Grabe getragen. Doch das wird am Donnerstag und Freitag passieren, kommentiert Detlef Drewes.

Als der damalige Bundesinnenminister Otto Schily 2004 von der Errichtung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Migranten sprach, fielen alle über den SPD-Politiker her. Doch wir haben 2018. Es ist das Jahr drei nach den offenen Grenzen. Und es hat sich viel getan. Die deutsche Willkommenskultur scheint am Ende. An diesem Sonntag wurde sie als europäisches Modell noch nicht endgültig zu Grabe getragen. Das wird am Donnerstag und Freitag passieren, wenn alle EU-Staats- und Regierungschefs eben diesen Plan zur offiziellen Linie erheben: keine Aufnahme oder Kontrolle auf europäischem Boden mehr, sondern Abschottung, kombiniert mit Abweisung.

Zuständig für die, die nach Europa wollen, sind die Drittstaaten außerhalb der Union. Es ist ein Sieg der Orbans und Contes dieser Gemeinschaft. Die einzige Lösung, die gemeinsam funktioniert, besteht in Ausgrenzen. Selbst das üble Wort von der „Asylantenflut“, das in Deutschland lange als politisch tabu galt, nahmen fast alle Staats- und Regierungschefs am Sonntag in Brüssel in den Mund. Nur der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fand in seinem Statement noch den Raum, über Werte zu sprechen.

Auch wenn es an diesem Sonntag noch keine Beschlüsse gab, so ist die Richtung doch absehbar, in die diese Union nun gehen wird. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich seiner unpopulären, aber letztlich doch wirksamen Abschottungsvorschläge rühmte, hat bereits gewonnen, noch bevor er am Wochenende den EU-Vorsitz übernimmt. Aus seiner Regierung stammt der Entwurf dieser neuen Solidarität, die vor allem in der Zurückweisung weiterer Ankömmlinge bestehen soll. „Europa First“ wird zur offiziellen Politik der 28 erhoben, wie viel Platz da für das Asylrecht bleibt, erscheint offen. Eine faire Verteilung der bereits aufgenommenen Migranten ist vorerst völlig vom Tisch.

Jahrelange Rufe der besonders belasteten Länder nach Solidarität sind verhallt. Heute gibt man sich lernfähig und betont, es habe keinen Sinn an einer Quote, die nicht mehrheitsfähig sei, festzuhalten. Also einigt man sich auf das, was machbar ist. Damit bleiben ein straffer Grenzschutz und Aufnahmezentren in Drittstaaten übrig. Die EU löst nichts, sie grenzt aus. Dem Populismus wird nichts entgegengesetzt, man gibt ihm Recht.

Wenn es so etwas wie einen Rest an Hoffnung gibt, dass Humanität und Menschenrechte nicht völlig unter die Räder kommen, dann liegt dies am Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen. Der machte es den 16 gestern in Brüssel versammelten europäischen Staatenlenkern mit seiner Zusage, die neuen Zentren für die Aufnahme von Migranten zu betreiben, leicht, die Verantwortung abzuschieben. Auf diese Weise muss niemand ein schlechtes Gewissen haben, weil Flüchtlinge in libyschen Auffangzentren verbleiben.

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