Bonn-Vertrag Regierungsumzug von Bonn nach Berlin erneut diskutiert

Berlin · Die Klimakrise und Pendelflüge haben die Debatte über einen Komplettumzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin neu entfacht. Berlin greift an, Bonn wehrt ab.

Schalten statt Fliegen. Video statt Flugzeug. Nach der Sommerpause wollen sie es wirklich anpacken. Ein sehr heißes Eisen: Regierungsstandort Berlin, Regierungsstandort Bonn und ein möglicher (Komplett-)Umzug, den die einen seit Jahren einleiten, und die anderen mit allen verfügbaren Mitteln verhindern wollen.

Die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie Vertreter der Stadt Bonn und der Region sind bereit, mit der Bundesregierung in konkrete Verhandlungen über eine vertragliche Zusatzvereinbarung zum Berlin/Bonn-Gesetz, den sogenannten „Bonn-Vertrag“, einzusteigen, mit dem die Zukunft Bonns – auch als Standort von Ministerien und Bundesbehörden – abgesichert werden soll. Wie viele Bundesministerien am Ende noch in Bonn bleiben? Ergebnis: offen.

Die Debatte über das Klima, über ein CO2-emissionsarmes Leben und eine klimafreundliche Zukunft hat auch die Debatte über die geteilten Regierungssitze an der Spree und am Rhein neu entfacht. Zehntausende Regierungsflüge zwischen Bonn und Berlin mit Kosten in Millionenhöhe haben – verbunden mit der Klimadebatte – die Frage wieder nach oben gebracht: Ist das getrennte Regieren 20 Jahre nach dem Umzug von Parlament und großen Teilen der Regierung nach Berlin noch zeitgemäß? Die Reisekosten für Beamte der Ministerien für Finanzen, Verteidigung und Familie sowie das Kanzleramt beliefen sich im vorigen Jahr auf 1,35 Millionen Euro.

Die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), sagte dazu dem GA: „Ich verstehe, dass man in Bonn von der Debatte über einen möglichen Komplettumzug weiterer Ministerien nach Berlin nicht begeistert ist. Aber es ist an der Zeit, dass wir andere Prioritäten setzen. Wir müssen darüber nachdenken, welches Vorbild wir als Parlament und Regierung geben, wenn wir die Menschen auffordern, auf Inlandsflüge zu verzichten, und dann selber ununterbrochen Flüge produzieren.“

Berlin greift an, Bonn wehrt ab

Knapp 230.000 Dienstreisen im Inland hatten Mitarbeiter von Bundesministerien und Bundesbehörden im vergangenen Jahr absolviert – 52 Prozent davon auf der Strecke Bonn-Berlin. Kotting-Uhl hatte wegen der Regierungspendelei unlängst mit Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth verabredet, bei Sitzungen des Bundestags-Umweltausschusses künftig häufiger Videoschalten zu nutzen, statt Beamte teuer aus Bonn einfliegen zu lassen. Ihre Erfahrung: Häufig reisten zwei oder drei Referenten zu Sitzungen an, deren Expertise dann gar nicht gebraucht würde.

Die Berlin-Lobby ist jedenfalls munitioniert. Die laufende Klimadebatte liefert den nächsten Aufhänger, auf der Rutschbahn Bonn-Berlin alles in die Hauptstadt zu verschieben. Die Linke fordert ohnehin schon seit jeher: Gesamtumzug aller Bundesministerien nach Berlin. „Aus finanziellen, sozialen und ökologischen Gründen“, wie Fraktionschef Dietmar Bartsch den nächsten Vorstoß begründet.

Aber auch Abgeordnete, die es mit Bonn und der Region gut meinen, raten zu einer neuen Positionsbestimmung. SPD-Haushälter Johannes Kahrs sagte dem GA: „Ich kann nur raten, die Sache jetzt anzugehen: Je länger man mit einer Neuorganisation wartet, desto schlechter wird es für Bonn.“ Deshalb: „Die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sollten jetzt einen Vorschlag machen, wie sie sich die künftige Aufstellung zwischen Berlin und Bonn vorstellen. Man kann das in einem Prozess steuern und man sollte den Löwen reiten, so lange er sich reiten lässt. Sonst kann es sein, dass man selbst gesteuert wird. Es gibt eine gute Chance, die Aufteilung zwischen Berlin und Bonn im Konsens hinzubekommen.“ Neue Bundesbehörden nach Bonn, aber auch in Ostdeutschland sollen laut Kahrs Verwaltungsbehörden angesiedelt werden.

Berlin greift an, Bonn wehrt ab. Getreu der Devise: Halten, was zu halten ist. Zum Beispiel das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das wie gemalt zum UN-Standort Bonn passt. SPD-Haushälter Kahrs sagt zwar: „Ich würde sagen, die Bundesministerien gehören in Masse nach Berlin. Es geht um gutes Regieren, und das wiederum geht nur, wenn man die Mitarbeiter am Ort hat.“ Doch dann hat er doch einen Bonus für Bonn: „Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sehe es ich es anders.

Laschet verteidigt Bonn

Da darf man ruhig darüber nachdenken auch jenen Ministeriumsteil, der heute in Berlin ist, nach Bonn zu holen und auch dieses Ministerium dann an einem Standort zu vereinigen.“ Auch Kotting-Uhl sieht eine Chance für Bonn, wenn auch mit Opfern: „Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte auch wegen der räumlichen Nähe zum UN-Standort Bonn am Rhein bleiben, weil man sonst wieder sehr viel Flugverkehr produziert. Aber das Bundesumweltministerium ganz nach Berlin zu holen, ist nicht verkehrt.“ Kotting-Uhl will Regierungsmitarbeiter in Bonn aber nicht in Alarmstimmung versetzen: „Wer da sein Leben hat, eventuell ein Haus gekauft hat, der muss dort auch bleiben können.“

Derweil haben die Landesregierungen von NRW und Rheinland-Pfalz mit der Stadt und der Region Bonn ihr „Leitbild“ für künftige Verhandlungen mit dem Bund zum „Bonn-Vertrag“ vorgelegt. Grünen-Fraktionsvize Katja Dörner, selbst Bonnerin, sieht Bundesstadt und Region „mit dem Leitbild gut aufgestellt, in dem der Mehrwert Bonns als zweites bundespolitisches Zentrum sehr deutlich wird“. Die Bonner Vorstellungen seien „keine Wolkenkuckucksheime, sondern realistisch und im Sinne der gesamten Bundesrepublik“. Sie sei „optimistisch, dass Ende des Jahres eine Zusatzvereinbarung steht, die Bonn und die Region weiter stärkt“, so Dörner.

In ihrem „Leitbild“ betonen Bonn und die Region ihre Erwartung, dass sich der Bund zum Berlin/Bonn-Gesetz und zu einer „dauerhaften und fairen Arbeitsteilung“ zwischen Berlin und Bonn bekenne. „Dies beinhaltet den Verbleib von Teilen der Bundesregierung mit Bundesministerien und der entsprechenden ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn“, heißt es in dem Papier. Berlin-Befürworter lesen daraus, dass demnach nicht mehr alle Ministerien einen Bonner Sitz haben müssten.

Die NRW-Landesregierung will sich dieser Interpretation nicht anschließen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ist entschlossen, Bonn zu verteidigen, schließlich sei Berlin „doch schon heute völlig überhitzt und überfordert“. Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan will demnächst zu einem Werbefeldzug an die Spree ausrücken. Irgendwann müssten sie doch auch in Berlin das Rheinische Grundgesetz verstehen: „Et hätt noch immer jot jejange.“

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