Wolfgang Schäuble in Bonn „Unsere Geschichte kann kein Feigenblatt sein“

Bonn · Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in Bonn seine Vision von Deutschlands Rolle in der Welt skizziert – und was diese mit Konrad Adenauer zu tun hat. Am Dienstagabend war er im Haus der Geschichte zu Besuch.

 Schäuble in Bonn: „Es braucht politische Führung.“

Schäuble in Bonn: „Es braucht politische Führung.“

Foto: Benjamin Westhoff

„Mehr Verantwortung übernehmen“: Das ist einer dieser Politiker-Sätze, die immer häufiger fallen, die gut klingen, aber erst einmal nichts kosten. Die Vertreter der großen Parteien, bis auf die Ränder vielleicht, sind sich einig: Deutschland müsse eine stärkere Rolle auf der Weltbühne spielen. So weit, so bedeutungslos, solange große Uneinigkeit herrscht, wie das mit Leben gefüllt werden soll.

Dies anzumahnen hat sich an am Dienstagabend Wolfgang Schäuble vorgenommen. Der Bundestagspräsident ist ins Haus der Geschichte nach Bonn gekommen, um über „Deutschlands Rolle in einer grundlegend veränderten Welt“ zu sprechen. Und diese Rolle, so wird er fordern, müsse eine größere sein als bisher. Das schließe auch die Bereitschaft ein, das Militär einzusetzen, wenn nationale Interessen berührt seien – natürlich nur in multilateralem Rahmen. Schäuble wird an diesem Abend seinen Zuhörern im Saal und draußen in der Republik einiges zumuten.

Auch den Regierenden in der Hauptstadt. Wenn das Urgestein der Bonner und Berliner Republik seine Stimme zu einer Grundsatzrede erhebt, wird es für die politisch Handelnden selten erfreulich. „Es braucht politische Führung“, fordert Schäuble. Es gehe jetzt darum, „strategische Interessen zu definieren, außenpolitische Zusammenhänge immer wieder zu erklären und die Deutschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass wir uns in der Verteidigungspolitik noch weiter werden bewegen müssen. Auch gegen Widerstände.“ Dazu gehöre zum Beispiel, das Verteidigungsbudget zu erhöhen.

Angesprochen, ohne Namen zu nennen

Auch wenn er die Verantwortlichen – Kanzlerin Angela Merkel, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) – nicht erwähnt, so dürfen sie sich angesprochen fühlen. Es wäre ihre Aufgabe, so Schäuble zwischen den Zeilen, die pazifistischen Deutschen auf eine größere außenpolitische Rolle der Bundesrepublik in der Welt vorzubereiten. „Wir sind noch immer verwöhnt von Frieden und Wohlstand“, sagt Schäuble. „Über Jahrzehnte profitierte Deutschland von der Sicherheit und dem Schutz, den andere, namentlich die Vereinigten Staaten, uns garantierten.“ Aber das werde nicht so bleiben.

Der CDU-Politiker nimmt bei seiner Forderung Anleihen bei Konrad Adenauer. Der erste Bundeskanzler wurde vor 70 Jahren vereidigt, und das ist auch der Anlass für Schäubles Auftritt in Bonn. Er hält den diesjährigen Adenauer-Vortrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der erste Kanzler habe mit der Westbindung den Grundstein gelegt für ein „vereintes, souveränes, demokratisches Deutschland, fest verankert in einem geeinten Europa und im westlichen Bündnissystem“. Wenn Deutschland heute seine Rolle suche, „dann im Rahmen der Leitplanken, die Adenauer gesetzt hat“.

Schäuble geht ausführlich ein auf den Wandel, den die Welt seit dem Fall des Eisernen Vorhangs erfahren hat. Die Bipolarität mit ihrer klaren Trennung von Freund und Feind sei abgelöst worden von einer neuen „Weltunordnung“. Neue, illiberale Mächte träten auf den Plan, scheinbar gefestigte Demokratien seien im Rückbau, die USA als ordnende Weltmacht zögen sich zurück. Diese „Krise des Multilateralismus“ betreffe Deutschland „in besonderem Maße“, denn kaum ein Land sei so stark mit der Welt vernetzt.

Deutschlands Zukunft liegt in Europa

Heraushalten sei deshalb „keine Option, jedenfalls keine tragfähige außenpolitische Strategie“. In Schäubles Augen liegt Deutschlands Zukunft klar im westlichen Bündnis – in Europa und auch an der Seite der USA, trotz aktueller Schwierigkeiten. „Der Westen ist zwar auch eine Verteidigungsgemeinschaft, aber doch vor allem eine Wertegemeinschaft“, sagt der Transatlantiker. Deutschland müsse gemeinsam mit Frankreich vorangehen auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung. Um die EU außenpolitisch „weltpolitikfähig“ zu machen – da zitiert Schäuble den scheidenden EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker –, müsse man sowohl das Einstimmigkeitsprinzip in Europa überdenken als auch nationale Sonderregelungen wie in Deutschland den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr reformieren.

„Unsere Geschichte kann kein Feigenblatt sein“, sagt Schäuble. „Sie darf nicht als Ausrede für Verantwortungslosigkeit dienen.“ Man dürfe nicht ewig nur Mahnungen aussprechen. Kramp-Karrenbauers Vorstoß für eine Schutzzone in Nordsyrien etwa findet er „vom Gedanken her“ richtig.

Am Ende fragt Schäuble: „Haben wir wirklich ausreichend begriffen, dass Deutschland keine Trauminsel ist, die mit der rauen globalen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat?“ Und weiter: „Sind wir bereit, unsere Macht einzusetzen, um zu schützen und zu fördern, was die Grundlage unseres Lebensmodells ausmacht? Und: zu welchem Preis?“ Für ihn sind die Antworten klar. Für viele andere, so glaubt er, noch nicht.

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