Kommentar zur Neuregelung der Sozialhilfe für EU-Ausländer Schlecht für Europa

Meinung | Bonn · Freizügigkeit hat positive Seiten, weil sie allen Menschen neue Möglichkeiten schafft. Aber sie kann auch dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Jetzt reagiert die Politik auf ein Problem, das ihr auch die Gerichte eingebrockt haben.

 Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will mit ihrem Gesetzentwurf angesichts widersprüchlicher Gerichtsurteile zu Sozialleistungen für Ausländer Klarheit schaffen.

Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will mit ihrem Gesetzentwurf angesichts widersprüchlicher Gerichtsurteile zu Sozialleistungen für Ausländer Klarheit schaffen.

Foto: dpa

Wann immer es um Fragen von Einwanderung oder auch nur Freizügigkeit von Arbeitskräften geht, macht Deutschland selten eine gute Figur. Es hapert immer wieder an der Abstimmung zwischen Europäischen Regelungen und der nationalen Umsetzung. Mal geht es um die Ausbeutung von Arbeitskräften aus Osteuropa, die beispielsweise in deutschen Schlachthöfen schuften, aber nach den miesen Standards ihrer Herkunftsländer bezahlt werden.

Dann geht es um Zuwanderer, denen die Möglichkeiten des deutschen Sozialstaates weit verlockender erscheinen als die Armut in der Heimat. Hiesigen Verantwortlichen fallen die Probleme meist erst dann auf, wenn die Sache eskaliert. Die Gesetzesinitiative von Andrea Nahles gehört genau in diese Kategorie.

Es war von Anfang an klar, dass ein Wohlstandsgefälle wie in der osterweiterten und von der Finanzkrise geplagten EU, sich nicht mit einem vollkommen liberalisierten Markt für Arbeitskräfte vertragen würde. Wenn EU-Bürger überall Ansprüche auf Sozialleistungen haben, dann setzt das eine Wanderungsbewegung in Gang. Freizügigkeit hat positive Seiten, weil sie allen Menschen neue Möglichkeiten schafft, sich selbst zu helfen. Aber sie öffnet auch dem Missbrauch die Tür.

Wenn in Deutschland die Sozialhilfe eines Monats so viel Geld bringt, wie andernorts die Arbeit eines ganzen Jahres, dann kann das System nicht funktionieren. Hier wirkt das bekannte Dilemma der EU. Die Gemeinschaft regelt, die betroffenen Systeme aber liegen in der Hand der Nationalstaaten. Während die EU auf der einen Seite die Globalisierung vorantreibt, scheitert sie an den Details der sozialen Lebenswelten in 28 Staaten.

Immerhin 440.000 Menschen aus EU-Ländern bezogen in Deutschland Ende 2015 Sozialhilfe. Rund 120.000 unter ihnen stammen aus Rumänien oder Bulgarien. Das waren immerhin 40.000 mehr als im Jahr zuvor. Der Wohlstand in Europa entwickelte sich nicht so, wie die Optimisten hofften. Die Unterschiede werden eher größer.

Im Dezember öffnete ein Gerichtsbeschluss die Schleuse weiter. Wer länger als sechs Monate in Deutschland ist und keine Arbeit hat, muss demnach Sozialhilfe bekommen. All das geht zu 100 Prozent zu Lasten der Kommunen. Die sollen die Bedürftigkeit prüfen und schaffen es noch nicht einmal, ihre Bürgerbüros zu organisieren. Kommunalverbände schätzen den finanziellen Mehrbedarf auf 600 bis 800 Millionen Euro pro Jahr. Geld das ohnehin nicht da ist.

Wenn es ein probates Mittel gibt, die Akzeptanz der Europäischen Union zu untergraben, dann sind es solche schwach durchdachten und offenbar schlampig gemachten Regelungen. Die Arbeitsministerin ist daher gut beraten, die Sozialhilfe als das zu erhalten, was sie sein soll: Eine Hilfe für Menschen, die sich nicht mehr selbst helfen können.

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